Interview TV-Stop, DK-Copenhagen mit
Seelenlos im Flughafengefängnis
Dienstag, 18. April 2000, 08.30 Uhr
Einleitung:
Hallo, liebe Zuschauer. Wir
befinden uns jetzt im Innern des Flughafengefängnis und möchten
als erstes der Leitung danken, die dieses Interview ermöglichte mit
Seelenlos, einem der beiden Produzenten der Ketchup-Komödie Blutgeil,
der wegen diesem Film hier einsitzt.
- Heute
ist dein 29. Hafttag. Wie geht es dir? Gesundheitlich und mental?
Guten Morgen, es geht mir schon
besser als zu Beginn, zumal ich seit bald 2 Wochen nun richtige Nahrung
zu mir nehmen kann und meine Medikamente inzwischen erhalten habe.
- Die
anderen wegen Blutgeil Mitangeklagten bezahlten oder sind immer noch am
Abbezahlen ihrer Busse. Was hat dich bewogen die Fr. 1000.- Busse zum Tagessatz
von Fr. 30.- gleich 33 Tage Haft in einem Gefängnis abzusitzen?
Nun, einerseits ist die Sache, dass
ich Fr. 1'500.- im Monat verdiene, d.h. wenn ich da Fr. 1000.- abbezahlen
muss, so ist das für mich ein ziemlich grosser Betrag. Die andere
Sache ist, dass ich irgendwie nicht ganz verwinden konnte, dass hier in
der Schweiz, wo ich aufgewachsen bin, wo man mir immer erzählt hat
in der Schule, wir leben in einem freien Land. In der DDR, wenn du das
falsche Buch liest, kommen sie morgens früh vorbei. So bin ich quasi
aufgewachsen und ausgerechnet hier ist es nun passiert, dass morgens um
7 hat's auch geklopft, nicht mal geklopft, da fiel gleich die Tür
ins Haus und schliesslich wurde der Film ja bekanntlich verbrannt. Dann
hab ich mir halt gedacht, wenn man hier schon so weit ist, dass Filme verbrannt
werden, dann machen wir gleich ne runde Sache und ich sitz die Sache ab.
- Eigentlich
hättest du deine Strafe in einem anderen Gefängnis absitzen müssen,
was geschah?
Nun, ich bin ja Kulturschaffender
und es ging mir darum auch in der Haftzeit meine Zeit nicht unnütz
verstreichen zu lassen, sondern meiner normalen Arbeit möglichst nachgehen
zu können. Ich hab mich da auch erkundigt im Gefängnis, wie das
so ausschaut, aber leider hat das nicht ganz so geklappt, mir wurden nicht
wirklich verbindlichen Aussagen gemacht, was schlussendlich möglich
wäre und was nicht, was mich dann dazu bewogen hatte als Protest eine
kleine Showeinlage vor den Toren darzubringen. Nun offensichtlich war die
Anstaltsleitung damit offensichtlich etwas überfordert. Obwohl niemand
verletzt wurde und auch kein Sachschaden entstand, wurde gleich die Kantonspolizei
alarmiert, es tauchten dann immer mehr Beamte auf und schlussendlich wurde
ich so quasi als gemeingefährlich hierher in dieses Gefängnis
verfrachtet.
- Bei
der Umwandlung der Busse in Gefängnis intervenierte die amerikanische
Bürgerrechtsvereinigung National Campaign for Freedom of Expression,
u.a. mit einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft. Gabt es da Reaktionen?
Nun, die Justizdirektion liess soviel
ich weiss gegenüber Journalisten verlauten, sie nehmen die Sache mit
dem Schreiben sowieso nicht ernst, es sei ja quasi nur ein Serienbrief,
der nicht einmal wirklich unterschrieben gewesen sei. Tatsache ist, ich
habe eine Kopie von dem Brief gesehen und er war wirklich vom Executive
Director handschriftlich unterschrieben, ich weiss auch nicht, was die
Leute dazu bewogen hatte, das so abzutun. Auf der andern Seite, der Staatsanwalt
hat der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin sogar ein
Antwortschreinben zukommen lassen, das ziemlich für sich spricht.
- Wie
sieht dein Tagesablauf im Gefängnis aus?
Nun, das ist jeden Tag ein bisschen
anders. Generell ist es so, dass irgendwann zwischen 06.15 und 06.30 ist
Tagwache, dann gibt's das Morgenessen. Anschliessend je nach Tag kommt
füher oder später 1 Stunde Hofgang, dann vielleicht morgens 2
Stunden und auch nachmittags je sogenannter Gruppenvollzug, wobei der Stundenplan
ändert sich da von Tag zu Tag ein bisschen. Abends gibt's dann um
17 Uhr das Nachtessen und dann ist Nachtruhe, sofern draussen auch ruhig
ist. Ich muss sagen, gleich 150 m von meinem Zellenfenster entfernt beginnt
die Start- und Landebahn, das ist genau der Punkt, wo sie jeweils die Triebwerke
hochfahren, bevor sie dann Schub geben und es losgeht, da herrscht halt
Betrieb so im Durchschnitt bis 24 Uhr nachts, morgens 06.45 geht's bereits
wieder los.
- Wie
reagieren die Mitgefangenen auf einen Künstler im Gefängnis?
Nun ich muss sagen, wie einer meiner
Kollegen treffend bemerkt hatte, hier bin eigentlich ich der Ausländer,
ich bin der einzige Schweizer im Stockabteil. Zuerst gab es da ein paar
Schwierigkeiten, weil wenn ich jeweils sagte, dass ich hier wegen einem
Film einsitze, dann haben sie mich erst ungläubig angekuckt, dann
fanden sie: "Waas, hast du denn einen Porno gemacht? Kein Porno? Was denn?
Dokumentarfilm vielleicht? Ja, es war gar nicht so einfach, das zu vermittelnquasi
weswegen ich überhaupt hier sitze.
- Wie
reagieren die Wärter auf einen Künstler im Gefängnis? Zeigen
die Verständnis dafür, dass du ein Exempel statuierst und für
die Kunst ins Gefängnis gehst?
Ich glaube die meisten sind nicht
eigentlich informiert, weshalb die einzelnen Häftlinge da einsitzen,
sondern die sind einfach da und es werden alle mehr oder weniger gleich
behandelt.
- Eine
Strafe sollte ja immer einen erzieherischen Wert haben? Hat die Strafe
ihr Ziel erreicht? Was ist deine Meinung?
Nun, da ich so gesehen ein Überzeugungstäter
bin, hat mich das Ganze eher in meinen Überzeugungen bestärkt.
Ich glaube, somit kann nicht gross davon ausgegangen werden, dass ich mich
auch nach meiner Haftentlassung, was Filme und Kultur anbetrifft, so gesehen
bessern werde.
- D.h.
du wirst in deinem künstlerischen Schaffen keine Konzessionen eingehen,
damit du künftig mit dem Gesetz nicht mehr in Konfrontation kommst?
Nein, ich denke als Künstler
hab ich den grossen Luxus, dass ich einzig und allein meinem künstlerischen
Gewissen verpflichtet bin. Ich meine die Art und Weise, wie ich da meine
Kunst und Kultur produziere, ist ja auch so, dass ich da nicht gross auf
kommerzielle Sachen auch Rücksicht nehmen muss, ich gehe sonst einer
Arbeit nach um meine Rechnungen zu bezahlen, nur damit ich die Dinge so
machen kann, wie ich sie für richtig halte und gut finde.
- Wie
steht es mit der Solidarität unter den Kulturschaffenden in der Schweiz?
Hattest du Reaktionen?
Nun ich glaube, ehrlich gesagt ist
es auch unter Künstlern so, dass jeder ist sich erst mal selbst der
nächste, also quasi jeder ist dann froh, sitzt ein anderer ein und
nicht er selbst oder sie selbst. Das andere ist natürlich, dass innerhalb
der Kunst und Kultur gibt es beliebig verschieden Richtungen und verschiedene
Meinungen und alle sind ja nicht besonders glücklich, dass wir da
mit unserem Film gleich so mit Fr. 1'500.- schnell einen Film produzieren
und dann gleich in die Schlagzeilen, während sich andere jahrelang
abrackern, ändern ihr Drehbuch bis sie die Kohle bewilligt bekommen
und nacher ist der Film eben so abgeflacht, dass ihn niemand mehr sehen
will.
Also eigentlich muss ich auch sagen,
hat sich glaube ich in den letzten 10 Jahren eben einiges getan. Ich meine,
als der Artikel eingeführt wurde, gab es ja noch eine ziemliche Protestwelle,
ich erinnere da auch an den Offenen Brief an den Nationalrat, wo sich auch
namhafte Künstler exponierten und protestierten, dass jetzt überhaupt
so ein Kulturzensurartikel eingeführt wird. Aber mittlerweile muss
ich denken, haben sich die allermeisten damit abgefunden, dass wie wir
halt aufgewachsen sind, einerseites die freie Schweiz und auf der anderen
Seite die totalitären Staaten, wo die Kultur kontrolliert wird, dass
das irgendwie zur Zeit der Vergangenheit angehört.
- Wie
steht es mit der Freiheit der Kunst im Gefängnis?
Tja, ich hab da ziemlich Zeit gehabt
die einschlägigen Verordnungen, die mir zur Verfügung standenzu
studieren und meiner Meinung nach sieht es nicht sehr gut aus. Konkret
in meinem Fall kann ich sagen, ich bin hier mit 5 Büchern, 5 Zeitschriften
und einem Laptop eingetroffen. Es hat dann 5 Arbeitstage gedauert, bis
ich wenigsten2 von den 5 Büchern, 2 Zeitschriften und den Laptop doch
bewilligt bekam, jedoch ist es mir nicht möglich irgendwelche Dateien
oder Disketten zu verschicken, so dass ich ohne weiteres für Magazine
oder auch Internet-Magazine tätig sein könnte. Von dem her ist
man doch ziemlich eingeschränkt.
- Über
welche Kanäle ist es dir möglich mit der Aussenwelt zu kommunizieren?
Ich habe hier 2 mal im Monat die Möglichkeit
10 min zu telefonieren und einmal in der Woche kann ich 1 Stunde Besuch
empfangen. Ausserdem kann ich Briefe schreiben soviel ich will.
- Hast
du bei den Dreharbeiten zu Blutgeil daran gedacht, dass alles hier im Gefängnis
enden würde?
Nein, das hätte ich mir in den kühnsten
Träumen nicht einfallen lassen, weil wie gesagt, ich bin immer davon
ausgegangen, wir sind hier ein freies Land und jeder kann die Bücher
und Filme machen, die er will und die er gut findet ohne dass es dann irgendwann
morgens um 7 Uhr nicht der Expresspöstler ist.
- Was
sind deine Pläne, wenn du entlassen wirst?
Nun ja, meine Pläne, ich werde mein
Leben weiterführen wie bis anhin, ich werde die Projekte tun, die
ich eh am laufen hab und so nebenbei hab ich natürlich hier auch so
die eine oder andere Inspiration da aufsaugen können und ich denke,
es wird bestimmt weitergehen.
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