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Ivo Kummer, Geschäftsleitung Schweizerische Gesellschaft Solothurner Filmtage 
  
                   
      24.Dezember 1993
  
BLUTGEIL 

Lieber Ärger 

Ich beziehe mich auf Dein Schreiben vom 20.12.94 und möchte gerne meine persönliche Ansicht zu Eurem Video BLUTGEIL formulieren versuchen: 

Eure Arbeit hat mich am falschen Bein erwischt. Als "dünnhäutiger" Mensch bin ich sehr erschrocken ob der Darstellung von Gewalt in Eurer Produktion. Das Abschlachten von Menschen, auch wenn als Parodie auf die Brutalo-Videos gedacht, ist für mich immer eine Qual, die ich mit meinem Menschenbild und der Würde gegenüber Menschen nicht gewillt bin zu ertragen. Dies einmal grundsätzlich. Selbstverständlich gibt es auch für mich Ausnahmen, wenn z.B. die Gewalt "funktionalisiert" wird: simpel gesagt in "Spagghetti Western", in Kriegsfilmen oder auch in sehr vielen Dokumentarfilmen gibt es ähnliche Darstellungen von Gewalt, allerdings mit der erwähnten Nuancierung. Und das ist der Unterschied zum Video BLUTGEIL, in dem Gewalt und Abschlachtungsszenen um ihretwillen eingesetzt werden. Dabei stürzt - filmisch gesehen - Euer Werk ab. 

Ganz offensichtlich ist das Produktionsjahr 1993 im Filmschaffen aus der Schweiz von Gewalt geprägt. Meine Erlebnisse während den zehn Tagen unserer Selektionssitzung für die 29. Solothurner Filmtage mit über 200 angemeldeten Filmen und Videos hinterlassen bei mir einen zwiespältigen Eindruck. BLUTGEIL bildet da keine Ausnahme, im Gegenteil, es gilt für mich als "überdrehtestes" Werk in diesem Bereich: In Trickfilmen, in Kurzspielfilmen und auch in wenigen Dokumentarfilmen scheinen die Filmschaffenden die wildesten Gelüste ausleben zu wollen. Offenbar hilft die Fiktion, die Realität zu ertragen! Möglicherweise ist es auch ein "Generationenkonflikt": die (Brutalo)-Video abgehärteten Newcomers konfrontieren mich mit ihren Phantasien, denen ich nicht folgen kann. 
Wie dem auch sei, gerne hätte ich eine geschlossene Disskussionsveranstaltung über das Thema "Gewaltdarstellung im Film/Video" organisiert. Da das Thema jdoch komplex und anspruchsvoll ist und kaum in der kurzen Zeit bis mitte Januar vorbereitet werden kann (nebst all den andern Arbeiten), haben wir uns entschlossen, vorläufig darauf zu verzichten. 

Ich möchte abschliessend festhalten, dass die Auswahl- und Programmkomission in Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung BLUTGEIL aus Qualitätsgründen nicht programmiert hat. Die Beschlagnahmung der Produktion durch die Bezirksanwaltschaft Zürich hatte keinen Einfluss auf unseren Entscheid. Zudem meine ich, dass BLUTGEIL ein zu schwacher Beitrag ist, um daraus ein Politikum starten zu wollen: von Euch als Machern und der Bezirksanwaltschaft als Zensorin. 

Ich wünsche Euch für das Neue Jahr alles Gute! 

Mit freundlichen Grüssen 
 

Ivo Kummer

 
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