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taz Bremen, 13.12.94
Natural Born Hausbesetzer
Heute im Lagerhaus:
"Blutgeil - Zurich Cop Eaters"
eine berüchtigte Splatter-Satire
Wenn ein etablierter Regisseur wie Oliver Stone mit einer pfiffigen Satire wie "Natural Born Killers" dem langweiligen Mainstream-Trott ein Schnippchen schlägt, bekommt die unheilige Dreifaltigkeit aus CSU, SzialdemokratInnen und "Bild"-Zeitung das schnell spitz und krakeelt noch vor Sichtung des Films nach Verbot. Um No-budget-Produktionen, wie sie zuhauf in Kellern und Wohnzimmer Videobegeisterter entstehen, kümmert sich die selbsternannte Moral Majority (gottlob, Anm. d. Red.) kaum. Zumindest hiezulande; in der Schweiz ist man da gründlicher. 

Im November letzten Jahres wusste eine Gruppe BewohnerInnen des besetzten Wohlgroth-Geländes nahe des Zürcher Bahnhofs gar nicht, wie ihnen geschah. Zu vorgerückter Stunde stürmten 33 Polizisten ohne Vorwarnung ihr Quartier, zerrten sie bei laufender Kamera aus den Betten, beschlagnahmten jeden greifbaren Gegenstand, steckten sieben Leute für einen Tag in Einzelhaft und verwiesen einen ausländischen Gast des Landes. Stein des Anstosses war das 25minütige Amateur-Video "Blutgeil aka Zurich Cop Eaters IV", das heute abend im Lagerhaus zu sehen sein wird. 

Das mit viel Herz und wenig Geld von den BesetzerInnen gedrehte Filmchen erzählt die Geschichte zweier Polizisten, die ausziehen, ihre beiden Kameraden zu rächen, welche bei ihrer Vereidigungsfeier von einer drogensüchtigen Terroristin in die Luft gesprengt wurden. Brutal prügeln und schiessen sie sich durch die Junkie-Szene, bis sie auf eine Gruppe HausbesetzerInnen treffen, die noch blutgeiler sind als sie selbst. Schliesslich verspeisen diese die Staatsdiener. 

Der Film ist klar als Satire erkennbar und ruft keineswegs zum Polizistenessen auf. Ebenso wie die Polizisten als spinnerte Spiesser dargestellt werden, sieht man die BesetzerInnen als verlotterten Haufen, dessen Lebensinhalt aus Saufen und Kiffen besteht. So parodiert der Film die Klischeevorstellungen, die die beiden Gruppen voneinander haben, sowie die Gepflogenheiten des Splatter-Genres, das ja gerne auf derartige Stereotypen zurückgreift. 

Die Schweizer Gesetzgebung mag davon nichts wissen. Dort besagt der sog. Brutalo-Artikel, dass Gewalt gegen Menschen und Tiere nicht filmisch dargestellt gehört. Jetzt droht den MacherInnen eine viermonatige Haftstrafe, weil sie Gewalt nicht nur dargestellt, sondern deren Darstellung auch noch vertrieben haben - sie verschickten Ansichtsexemplare an die Presse. 

In der Schweiz wurde "Blutgeil" zum Politikum. Mit Schlagzeilen wie "Die Chaoten zeigen ihr Gesicht" trat die Boulevard-Presse den Fall breit; die Polizei benutzte den Film um Schulkindern zu zeigen, "wie schlimm diese Besetzer" seien. 

Derweil schlägt sich die internationale Prominenz auf die Seite der Unverstandenen. Darunter u.a. der Schweizer Genital-Künstler und "Alien"-Erfinder H.R. Giger und der US-amerikanische Regisseur John Waters, der ewige Schutzpatron aller Trashfilmer, der die Schweizer Behörden anherrschte: "Erkennt ihr Kunst nicht, wenn ihr sie seht?" 

Ab 20 Uhr kann man heute im Lagerhaus selbst sehen, ob da Kunst zu erkennen ist, oder ob Leute, die sowas machen, eingekerkert gehören. Im Anschluss an den Film gibt es eine Autorenlesung aus dem literarischen Schaffen der Macher. 

Andreas Neuenkirchen 
 

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