Neue Gesellschaft für bildende
Kunst e.V. -
Staatsanwalt Dr. M. Hohl Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Postfach CH-8023 Zürich per Fax 0041-1-252 40 95 Berlin,
den 23.10.1996
Verurteilung im Fall
des no budget Videos "Blutgeil"
mit völligem Unverständnis haben wir zur Kenntis genommen, dass einer der Mitautoren des Videos "Blutgeil", Seelenlos, für genau diese Tätigkeit zu einer Gefängnisstrafe von 33 Tagen verurteilt wurde. Die Kunstgeschichte ist voll von Beispielen, in denen Gutachter herbeigezogen wurden, um den Kunstcharakter eines Werkes festzustellen oder zu negieren. Viele Richter haben bereis "Recht" gesprochen über die Qualität von beanstandeten Werken. Allgemeingültige Kriterien für Kunst festzulegen ist ihnen allen nicht gelungen, wie sich an der Unterschiedlichkeit der in den Jahrhunderten zensierten Werke belegen lässt; hierzu lediglich zwei Beispiele: Die Übermalung gewagter Stellen in Michelangelos Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle, wird auch Ihnen heute grotesk vorkommen. Der Gedanke an eine heutige Beschlagnahmung von Groszs "Der Christus mit der Gasmaske" verbietet sich schon allein wegen der Kunstmarktpreise, die Groszs Werke heute erzielen. Wurden jahrhundertelang Begriffe wie "Majestätsbeleidigung", "Gotteslästerung" oder "Sittlichkeit" zum Massstab erhoben für Indizierungen, Verbote und Verfolgungen von Künstlern, waren zur Zeit des Nationalsozialismus das "gesunde Volksempfinden", der "Instinkt des unverdorbenen Volkes" die "Kriterien", nach denen Kultur von "entarteter Kunst" gesäubert wurde. Im Fall des Videos "Blutgeil" wird ein harmloser Film zum Anlass genommen, um einen der Macher zu kriminalisieren, der nichts anderes gemacht hat, als einer abstrusen Idee eine filmische Form zu geben, Unmengen an Tomatenketchup (o.ä.) zu verbrauchen und ein bisschen damit die Obrigkeitshörigkeit an Staat und Polizeigewalt zu kitzeln. Es ist eine Frage des Geschmacks, ob das Ergebnis gefällt, aber keine Frage von Staatsgefährdung und Demokratie oder von Freiheit oder Gefängnishaft. Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin, protestiert schärfstens gegen diese Form von Kriminalisierung eines Kunstschaffenden, da auf diese Weise die Entwicklung von Kreativität und Phantasie im Keim erstickt wird, die jede Gesellschaft braucht, um existieren zu können. Gleichlautendes Schreiben geht an den Herrn Regierungsrat Dr. Notter und Herrn Oberrichter Dr. Schmid. Mit freundlichen Grüssen Geschäftsführerin
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