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S K A N D A L !
Polizeisprecher zeigte in seinem Büro Minderjährigen den beschlagnahmten Untergrund-Video BLUTGEIL
- und niemand will davon gewusst haben!

Nun ist es amtlich, was böse Zungen schon seit geraumer Zeit munkeln: Bruno Kistler, Pressesprecher bei der Stadtpolizei Zürich, nimmt es mit der Wahrheit nicht immer so ganz genau - und dem zuständigen Bezirksanwalt, Herr Boll, ist dies unter Umständen noch so recht.

 An einem Medien- und Videokurs an der Kantonsschule Rämibühl in Zürich hatten die 16-jährigen Schülerinnen und Schüler das Thema "Wohlgroth" gewählt. Zwei machten hierzu ein Interview mit dem Polizeisprecher der Stadtpolizei Zürich, Bruno Kistler. Im Anschluss zeigte er ihnen das tags zuvor beschlagnahmte Untergrund-Video BLUTGEIL, "damit sie einmal sehen, wie schlimm das Wohlgroth wirklich war." Dies wurde den Produzenten des umstrittenen Streifens bereits letztes Jahr von direkt Beteiligten bestätigt. Ihr Kommentar:

"Kistler hat unser Zielpublikum klar erkannt und geht mit uns einer Meinung, dass unser Kunstwerk mit gutem Gewissen sogar Minderjährigen gezeigt werden kann. Es geht nicht an, ihn nunmehr als perversen Irren zu brandmarken, der die Jugendlichen vorsätzlich auf grausame Art und Weise seelisch habe schädigen wollen!"

 "Dass er hingegen unser Werk mit einem Dokumentarfilm verwechselt und übersieht, dass es sich dabei um eine künstlerische Auseinandersetzung mit in der hiesigen Bevölkerung weit verbreiteten Klischeevorstellungen handelt, zeigt allerdings, dass er selbst auch nicht frei davon ist, und - gravierender - dass er seine Klischeevorstellungen mit der Realität zu verwechseln scheint."
 

 Zu alt für solche Spässe?
 

 Doch eins nach dem andern: Von den ProduzentInnen von BLUTGEIL noch letztes Jahr telefonisch angefragt, ob es zutreffe, dass er ihren Underground-Video nach der Beschlagnahmung in seinem Büro minderjährigen SchülerInnen gezeigt habe, stritt er dies rundherum ab und flunkerte treuherzig, er habe den betreffenden SchülerInnen nur die Hülle gezeigt, nicht aber das Video selbst vorgeführt: "Wissen Sie, ich bin zu alt für solche Spässe!"

 Dass auch Alter vor Torheit nicht schützt, bestätigte sich allerdings ein paar Monate später wieder einmal mehr während der Verhöre Kistlers durch die Bezirksanwaltschaft Zürich im letzten März - wegen Gewaltdarstellung. EineR der AnwältInnen der ProduzentInnen hatte nämlich den für BLUTGEIL zuständigen Bezirksanwalt Boll darauf hingewiesen, dass auch Herr Kistler das Zielpublikum des Videos klar erkannt habe und zudem mit ihnen einer Meinung gehe, dass das betreffende Kunstwerk mit gutem Gewissen auch Minderjährigen gezeigt werden kann - wie dies Kistler anlässlich der Medienwoche der Kantonsschule Rämibühl in Zürich ja auch getan habe.
 

 Minderjährigen vorsätzlich BLUTGEIL gezeigt
 

 In Gegenwart von drei Beamten der Abteilung C der Bezirksanwaltschaft gab der Polizeisprecher daraufhin zu Protokoll, er habe anlässlich eines Interviews, das die SchülerInnen mit ihm geführt hatten, "während schätzungsweise einer Stunde ihre Fragen zum Wohlgroth" beantwortet. "Am Schluss kam ich auf die Videokassette "Blutgeil" zu sprechen, welche [zufällig? Die Verf.] auf meinem Pult lag. Ich erläuterte, dass es Aufgabe der Polizei und der Bezirksanwaltschaft sei, abzuklären, ob dieser Film gegen das Gewaltdarstellungsverbot verstosse und wo dieser Film allenfalls hergestellt sei."

 "Ich fragte die Besucher, ob sie den Film sehen wollten. Sie hatten etwas Interesse an diesem Film. In der Folge zeigte ich ihnen diesen Film. Im Vorspann kam eine Szene, als ein als Polizeibeamter dargestellten Mann mit einem Schlagstock vom Trottoir ein Präservativ aufhob und zusammen mit einem weiteren als Polizeibeamten dargestellten Mann in ein Gebäude verschwand. Die Schülerin sagte nun, das sei "grusig", sie wolle das nicht sehen. Ich stellte den Film sofort ab." Vorhalt des Bezirksanwalts: "War denn die Schülerin ab der Vorführung schockiert?" Antwort Kistler: "Bis dahin enthielt der Film noch keine Gewaltdarstellung."

 Nur die Hülle gezeigt? Noch keine Gewaltdarstellung? Soso, Herr Kistler. Sie bestimmt nicht, alles klar. Nur, mal ehrlich: Wann ist Ihnen im Verlauf der Befragungen zum ersten Mal aufgegangen, dass das Leben vielleich doch etwas anders ist als ein drittklassiger Gangsterfilm, wo auch noch die allerplumpsten Notlügen jeweils prompt funktionieren? Sondern dass in der Realität Lügen mitunter kurze Beine zu haben pflegen, wie der Volksmund so schön sagt?
 

 Nur die brutalsten Szenen
 

 Spätestens zehn Tage nach der ersten Einvernahme dürfte dies nämlich auch dem Polizeisprecher schmerzlich bewusst geworden sein, als der/die erste als ZeugIn geladene SchülerIn - in Anwesenheit Kistlers - auf die Frage des Bezirksanwalts, "Was wurde im Film genau gezeigt?", prompt antwortete: "Ich habe gesehen, dass zwei Wohlgrothianer [?! Die Verf.] einem Polizisten das Bein abhackten, ihn bespuckten und auch einen Teil des Beins gegessen haben."

 Und der/die nächste ZeugIn: "Wir sahen, wie zwei als Polizisten verkleidete Darsteller in ein Gebäude eindrangen. Zwischen ihnen und den Hausbewohnern haben sich Kämpfe entwickelt. Es wurde geschossen. Einem der Polizisten wurde ein Bein abgehackt. Als einem der Polizisten der Bauch aufgeschlitzt werden sollte, haben wir von uns aus den Video selber abgestellt."

 Und so weiter. Ganz klar, dass es sich ob solch unbotmässigen Aussagen bei den betreffenden SchülerInnen nur um von den ProduzentInnen gedungene Lockvögel, wenn nicht gar um sie selbst handeln kann. Zumindest für unseren Polizeisprecher, der immer mal wieder derlei Andeutungen in die Protokolle einfliessen lässt.
 

 Polizeierfantasien
 

 Auch der zuständige Bezirksanwalt Boll ist für solche Verschwörungsfantasien durchaus empfänglich. In der Folge kreist die Befragung der ZeugInnen grösstenteils gar nicht mehr um die Filmvorführung, sondern vielmehr um das Umfeld der betreffenden SchülerInnen, mögliche Kontakte derselben zu den ProduzentInnen, oder woher diese allenfalls sonst von der Privatvorführung erfahren haben könnten etc., während die für die Strafuntersuchung wesentlichen Fragen sang und klanglos unter den Tisch fallen:

 - Das genaue Datum der Vorführung wurde so offengelassen, als wäre es nicht klar erwiesen, dass die Vorführung nach der Beschlagnahmung stattgefunden hatte.

 - Die genaue Dauer des gezeigten Ausschnitts wurde ohne genauere Überprüfung anhand der Aussage Kistlers kurzerhand nach unten auf 5 Minuten "gerundet", während sie den Schilderungen der SchülerInnen betreffend des gesehenen Ausschnitts nach deutlich länger sein muss.

 -Unhinterfragt bleibt auch die Motivation Kistlers, den SchülerInnen - aus dem Zusammenhang gerissen und offenbar gezielt - ausgerechnet diejenigen Szenen des Films zu zeigen, welche von der Bezirksanwaltschaft als "am gravierendsten" taxiert worden waren.

 -Ferner wurde generell darauf verzichtet, die gesammelten Widersprüche bzw. dreisten Lügen Kistlers genauer unter die Lupe zu nehmen bzw. den Angeschuldigten überhaupt damit zu konfrontieren, sondern es wurde im Gegenteil noch munter von einer "Bestätigung der Aussagen Kistlers durch die Zeugen" fabuliert.
 

 Bezirksanwalt doppelt nach
 

 Den absoluten Clou liefert Bezirksanwalt Boll allerdings in der Begründung, weshalb das Verfahren gegen Kistler eingestellt wurde, während er für die mutmasslichen ProduzentInnen des Films 4 Monate Gefängnis fordert: Weil nämlich Herr Kistler den Film "in aufklärerischer Absicht" und zu einem "wissenschaftlichen Zweck" gezeigt habe.

 Wenn jedoch die ProduzentInnen mit demselben Film dasselbe tun, so ist es - zumindest für Bezirksanwalt Boll - plötzlich nicht mehr dasselbe. Weil Kistler ein Polizist ist und er nicht gegen einen (Amts-)Kollegen vorgehen mag? Oder eben doch, weil es im "Fall BLUTGEIL" letztendlich gar nicht um den Film selber geht, sondern vielmehr darum, einer - kulturell wie politisch - missliebigen Produktionsgemeinschaft mit einem billigen Vorwand einen Maulkorb zu verpassen oder ihr möglichst gleich ganz den Garaus zu machen? Wie auch immer: Deutlicher lässt sich wohl kaum zeigen, was es heisst, als Bezirksanwalt auf einem Auge blind zu sein und mit zwei Ellen zu messen.
 

 Eindeutig krimigeschädigt!
 

Aber schliesslich, wer wischt schon gerne vor seiner eigenen Tür - nicht wahr, Herr Kistler? Nicht nur, dass Sie eine Satire auf Klischeevorstellungen über HausbesetzerInnen und die Polizei ohne zu zögern mit einem Dokumentarfilm verwechselten, wie sie - offensichtlich chronisch, so dass es Ihnen gar nicht mehr bewusst wird - auch Ihre eigenen Klischeevorstellungen mit der Realität zu verwechseln belieben, und deshalb BLUTGEIL den SchülerInnen vorgeführt hatten, um ihnen "zu zeigen, wie schlimm die Besetzer wirklich sind".

Letztlich verdeutlichen nämlich sowohl die verlogene Taktik Kistlers wie auch die zahlreichen Lapsi seitens der Bezirksanwaltschaft im Verlaufe dieses Verfahrens, dass die Polizei und Bezirksanwaltschaft gescheiter einmal etwas gegen all die billigen Ganovenfilme und Krimiserien unternehmen sollten, die offensichtlich nebst ihrer Wahrheitsliebe auch ihr übriges Wahrnehmungsvermögen mittlerweile empfindlich umnebelt, beeinträchtigt und getrübt zu haben scheinen - statt übereifrig und krampfhaft zu versuchen, "den Jungen" ihren Spass an Horror- und Splatterfilmen zu vermiesen und die HerstellerInnen und GeniesserInnen solcher Streifen zu Untermenschen und Feindbildern zu stempeln - bloss weil solche Filme nicht ihrem (allerdings fragwürdigen) persönlichen Geschmack entsprechen.

 Denn wenn auch Alter nicht vor Torheit schützt, so muss es doch trotzdem nicht gleich damit hausieren gehen, oder? Und auch wenn das Geschäft damit zumindest in der Bezirksanwaltschaft alles andere als schlecht zu laufen scheint - warum in aller Welt nur ein halbes Jahr später dieselben peinlichen Lügen vor laufender Fernsehkamera noch einmal wiederholen, obwohl sie doch anhand der Akten klar widerlegt werden können? Was ist los, Herr Kistler? Das Hallowach vergessen? Zu lange gebuckelt? Das Denken verlernt? Schämen Sie sich wirklich nicht, der Jugend ein derart schlechtes Beispiel zu geben?

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