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Demokratie für Fortgeschrittene, Part 1  

Mehr als nur ein Film! 
Der "Fall BLUTGEIL" 

Kapitel 1: PRODUKTION
Kapitel 2: DIE MEDIEN  
Kapitel 3: DIE RÄUMUNG, Teil 1
Kapitel 4: DIE DENUNZIATION
Kapitel 5: DIE RAZZIA, Teil 1 / DIE RÄUMUNG, Teil 2
Kapitel 6: DIE RAZZIA, Teil 2: Im falschen Haus
Kapitel 7: DIE RAZZIA, Teil 3:  Deutschland 1942? DDR? CH 1993?

Kapitel 1: PRODUKTION 

 BLUTGEIL bezieht sich genremässig auf die Tradition (selbst-)ironischer Splatterfilme, wie sie u.a. von Sam Raimis "Evil Dead" und Peter Jacksons "Bad Taste" begründet wurden. Darüberhinaus spielt der Film mit gängigen Vorurteilen und Klischees aus der HausbesetzerInnen-Szene: Was denken / halten HausbesetzerInnen von PolizistInnen - und umgekehrt? 
 
Der Produktionshintergrund 

BLUTGEIL war im Frühsommer '93 gedreht worden. Die damalige Situation in Zürich war immer noch geprägt von der Räumung des Platzspitz (weltweit bekannt als "The Needle Park" auf einer Flusshalbinsel) und den in die Wohnquartiere quellenden Junkies und Dealern. Aufgrund massiver Proteste der dort lebenden Quartierbevölkerung versuchte die Polizei durch eine verstärkte Präsenz der Lage Herr zu werden und die "Glünggis" (Polizeijargon für "Kriminelles Subjekt") woanders hinzutreiben. Aber nicht nur wegen der verfehlten Drogenpolitik hatte die Polizei Sysiphus-Arbeit zu leisten, sondern auch wegen der städtischen Vertreibungspolitik, die versucht durch katastrophal hohe Mietzinsen Zürich von asozialem Gesocks ohne Master Card frei zu halten. Erwünscht sind saubere SchweizerInnen, die keinen Lärm oder Dreck machen und über Fr. 4000.- im Monat verdienen. (Zitat Stadtpräsident) Kein Wunder hatte sich die "Schmier" auch immer wieder mit lästigen HausbesetzerInnen herumzuschlagen, die sich ihr Grundrecht auf ein Dach über dem Kopf selbst in die Hand nehmen. 

"Zufälle" 

Vor diesem Hintergrund konstruierten wir eine Filmrealität, in der ebendiese Realität überspitzt dargestellt wird. Bis zur Fertigstellung des Films und der geplanten Uraufführung im Wohlgroth verstrich ein halbes Jahr. Während dieser Zeit hatte die Realität unsere Filmrealität "rechts überholt": Die im Film vorkommende "Drogensonderabteilung" ist in der Zwischenzeit, als Joint-Venture von Stapo und Kapo, bereits geschaffen. Während normale Stadtpolizisten keine Knüppel tragen sind die Beamten der Sondertruppe, genau wie die beiden Polizisten im Film, mit Schlagstöcken ausgerüstet. Die brisante Entwicklung der Drogenszene und die hilflosen Versuche der Polizei diese zu zerschlagen bescherte uns schliesslich auch noch ein verfassungswidriges "Drogengefängnis Hegibach" - zufälligerweise genau an derselben Strasse, an der auch wir wohnen und von der wir den Namen "Hegibach Productions" entliehen haben. Und auch die Situation zwischen HausbesetzerInnen und Polizei spitzte sich plötzlich unaufhaltsam zu... 

Die aktuelle Lage im Vorfeld der Uraufführung 

Anfangs November '93 kehren wir von einer Deutschland-Tour mit unserer Band DER KLEINE HIRNFICK in ein Zürich zurück, das erfüllt war von einer Spannung, wie sie nicht einmal 1982 herrschte, bevor das AJZ abgebrochen wurde. Die besetzte Wohlgroth, ein riesiges Fabrikareal mit verschiedenen Wohnhäusern, in denen ca. 200 HausbesetzerInnen leben, wird in fiebriger Hektik zur Festung ausgebaut. Das Gerücht ging um, dass Massen von ausländischen Chaoten anreisen, welche die drohende Räumung der "Alternativen Kultur Werkstatt Wohlgroth" militant zu verhindern wissen werden. 

Die Luxusläden an der Bahnhofstrasse hatten panische Angst um ihre Schaufenster und die ausbleibenden Kunden, standen doch die lohnenden Weihnachtseinkäufe ins Haus. Die Nerven der Polizei waren gespannt wie Drahtseile. Ein Erkundungsflug im tieffliegenden Helikopter sollte ihnen Aufschluss über das Vorgehen für die Räumung des verwinkelten Geländes geben. 

Zermürbungsstrategie 

Täglich überstürzten sich bei den BesetzerInnen die Gerüchte über die morgige Räumung. Mit dem Anbringen von Plakaten, welche die Welturaufführung von BLUTGEIL auf Freitag, den 26. November im Wohlgroth ankündigte - das Datum hatten wir schon Wochen vorher festgelegt, hatten es jedoch wegen unserer Deutschland-Tour nicht mehr früher ansetzen können - ernteten wir vielerorts bei den durch endlose Nachtwachen gebeutelten BesetzerInnen nur mitleidiges Kopfschütteln

Die Spannung steigt ins Unermessliche - wann endlich kommt der erlösende Einsatzbefehl? 
 

Kapitel 2: DIE MEDIEN 

Mitte November breitete sich eine unerträgliche Ruhe vor dem Sturm aus, wobei die Medien ihr bestes gaben, wilde Gerüchte über ein brennendes Zürich anzuheizen. 

In diese Stille hinein sandten wir am Mittwoch, dem 17. November je eine Visionierungskopie an vier Zürcher Zeitungen mit der Bitte, die geplante Welturaufführung unseres Videos in ihren Veranstaltungskalender aufzunehmen und nach Belieben eine vernichtende Kritik zu schreiben. 

Blick ist dabei 

Am Donnerstagmorgen landete eine Kopie auf der Redaktion des BLICK [die schweizerische BILD-Zeitung]. Die Showgruppe fand sich erwartungsvoll zu Kaffee und "Gipfeli" ein und kuckte sich unser appetitanregendes Video an. Die Hörnchen blieben ihnen im Halse stecken, und alle waren so sturzbetroffen, dass sie nicht mehr zwischen ihren Vorurteilen und der Realität unterscheiden konnten. Niemand habe gelacht. Ihre schlimmsten Alpträume, dass nämlich BesetzerInnen allesamt grausame Bestien und wirklich zu allem fähig seien, schienen durch unser Video voll und ganz bestätigt

Jedenfalls verbreiten sie am nächsten Tag mit einem wunderschön hetzerischen Artikel Angst und Panik:"Video Blutgeil - Wohlgroth-Chaoten entlarven sich" steht im Regionalaushang, "Ein Video-Film der perversesten Art, 25 Minuten Blut, Abschlachtung" in der Zeitung selbst. Genüsslich wird festgehalten, dem einen Polizisten werde "bei lebendigem Leib ein Bein abgehackt" und der andere "schwerverletzte Polizist" werde "angepinkelt." 

Lesen macht keinen Lärm 

Nach der Lektüre dieses süffigen Textes meldete sich dann auch die NZZ bei uns, zwar nicht die Filmredaktion, der wir die Visionierungskopie geschickt hatten, sondern der Lokalreporter. Dieser wollte unbedingt unsere bürgerlichen Namen wissen und fragte erstaunt, ob wir nie daran gedacht hätten, dass dieser Film "gewissen Leuten im Staat" nicht gefallen könnte und diese dann bei uns "vorbeikommen". Prophetische Worte. Unter dem Titel "Brutalo-Film liefert neuen Gesprächsstoff" baut er den Film in seine Wohlgroth-Berichterstattung im Windschatten des BLICK ein. Der Tagi schweigt vorläufig verschämt weiter. 
 

Kapitel 3: DIE RÄUMUNG, Teil 1 

Wohlgroth gegen "Schmutz und Schund" 

Den Wohlgroth-BesetzerInnen allerdings sass das Lachen eher schief im Gesicht bei solcher Schreibe. Sie fürchteten um ihren guten Ruf, den sie sich durch farbenfrohe Kunst-Actions in der Presse erarbeitet hatten und waren grösstenteils nicht mehr fähig, die unfreiwillige Komik in den betreffenden Artikeln zu erkennen, sowie dass nicht wir es gewesen waren, die uns als "Wohlgroth-Chaoten" dargestellt hatten, sondern jene panischen JournalistInnen, die nicht mehr zwischen ihren Fantasien und der Realität zu unterscheiden vermochten. Es gab gehässige Blicke und Kommentare, Leute grüssten uns nicht mehr usw. 

Samstags nach der Demo liess uns ein Mitglied der Kinogruppe ausrichten, mit der Uraufführung im Kino wäre im Fall nichts mehr. An Zensur in der hiesigen Szene gewohnt, machten wir betroffene Mienen, stammelten etwas von "Ja, aber..." - und freuten uns dabei insgeheim auf die Gesichter der betreffenden Leute, wenn sie dann bemerken würden, dass wir heimlich einen anderen Raum in der Wohlgroth und eigenes Projektionsequipment organisiert hatten. Weil wir wollten es uns nicht nehmen lassen, BLUTGEIL in der Grotte uraufzuführen und speziell all die verklemmten "political correctness"-SpiesserInnen und diejenigen Leute, die meist schnell mit einem platten Spruch à la "Haut die Bullen platt wie Stullen" o.ä. zur Hand sind, mal mit ihren heimlichen Fantasien zu konfrontieren und dann zu beobachten, wie sie das jetzt verkraften

Auftrittsverbot 

Bekanntlich hatte die Uraufführung dann aus anderen Gründen nicht mehr in der Grotte stattfinden können, doch einzelne Leute waren immer noch stinksauer auf uns. In der nächsten Ausgabe der WoZ stand im Artikel über die Räumung u.a. zu lesen, die Grotte habe mit BLUTGEIL nichts zu tun, sondern unsere Band DER KLEINE HIRNFICK hätte im Gegenteil "Auftrittsverbot in der Wohlgroth". Noch nach der Razzia in unserem Haus wünschten uns vereinzelte BesetzerInnen, hoffentlich bekämen wir nun wenigstens eine saftige Busse oder gleich Gefängnis. Alles hat halt so seinen Preis, und wer sich mit dem BLICK einlässt, hat in gewissen "politisch korrekten" Kreisen etwa soviel zu suchen wie einE FarbigeR an Führers Geburtstag, doch das ist eine andere Geschichte. 

 
Kapitel 4: DIE DENUNZIATION 

Deshalb also zurück zur Frontberichterstattung: Vom Redaktionspult des BLICK aus wanderte nämlich inzwischen unser "bluttriefender Streifen" in die Hände von Polizeisprecher Bruno Kistler, wie dieser mittlerweile JournalistInnen gegenüber zugegeben hat. 

Mit dieser Denunziation begann die eigentliche Realsatire. All diejenigen nämlich, welche die Ironie unserer Ketchup-Komödie nicht begriffen, handelten in der Folge wie in einem "schlechten" Film, wie in "Blutgeil" eben, nämlich überdreht, irrational und unüberlegt

Ein Polizeikommandant sieht rot! 

Polizeisprecher Bruno Kistler jedenfalls übergab den Video dem Kommandanten der Stadtpolizei, der während der Visionierung zuerst leer schluckte, dann nach Luft japste und schliesslich mit hochrotem Kopf abwesend nickte, nachdem auch er in BLUTGEIL seine geheimsten Ängste bestätigt gesehen hatte. 

Mit zitternder Stimme befahl er, ein Verfahren sei "schleunigst in die Wege zu leiten", und beorderte persönlich Fw R. vom Jugenddienst den "kriminellen FilmerInnen" auf die Spur zu kommen. Nachdem dieser über die Post herausgefunden hatte, auf welche Personen die Postfachadresse "SSI, P.O. Box 2122, CH-8031 Zürich" lautete, und ihm die Einwohnerkontrolle die Meldeadressen der Betreffenden gegeben und dabei angemerkt hatte, dass es sich dabei um eine besetzte Liegenschaft handle, übermittelte er fiebrig seinem Kommandanten die Hiobsbotschaft, dass das Video "tatsächlich aus Besetzerkreisen" stamme. 
 

Kapitel 5: DIE RAZZIA, Teil 1 / DIE RÄUMUNG, Teil 2 

Arbeit für die Politische Polizei 

Unverzüglich griff dieser zum Telefon und rief seine "Boys" auf den Plan (vgl. Peter Jacksons Film "Bad Taste"). Det Gabbuzini und seine sechs Mannen und Frauen vom Büro für "Politisch Motivierte Straftaten (PMS)" wurden beauftragt, ihre Liste über besetzte Häuser zu checken und alles Nötige für eine Hausdurchsuchung vorzubereiten. 

Eben dieser ehemalige Drogenfahnder Det Gabbuzini - über die in unserem Haus beschlagnahmten Hanfstauden schrieb er persönlich einen Rapport - stand nach der Räumung des Wohlgroth-Areals zusammen mit seinen KameradInnen von der PMS untätig und leicht frustriert um das mittlerweile von den Polizei besetzte Areal herum. Die filmreife "James Bond-Aktion" mit Helikoptern und über das Dach stürmenden Antiterroreinheiten mit Maschinenpistolen und Panzerwesten war total für die Katz gewesen. Die Wohlgroth war leer - genau wie Gabbuzinis Notizbuch, in das er gerne all die Namen der Leute eingetragen hätte, die sie verhaftet hätten, wenn... 

Erneute Schlappe der OrdnungshüterInnen 

Zwei Tage später schluckte der Polizeikommandant wieder einmal leer. Nachdem die Räumung gespenstisch reibungslos verlaufen war, machte nämlich das Gerücht einer Demo für Donnerstagabend, 25. November die Runde. Und wirklich, die Wut der Menschen über den Verlust ihres Kulturraumes drückte sich in splitternden Schaufensterscheiben und umgekippten Autos aus. Unglücklicherweise wurde im Verlauf der Demonstration ein Passant von einem Stein getroffen und mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen ins Spital geliefert. Ein Augenzeuge wollte eine junge Frau mit karierter Jacke gesehen haben, die den Stein geworfen habe, ohne dass man ihr hatte habhaft werden können. Wieder stand die Polizei im schiefen Licht der Öffentlichkeit bloss untätig herum und verschleuderte Steuergelder für nutzlose Grosseinsätze

BLUTGEIL = schwere Körperverletzung? 

Am nächsten Tag, dem Freitag, den 26. November unterschreibt Bezirksanwalt Max Spörri von der berüchtigten "Abteilung C" den Befehl für die Hausdurchsuchung der beiden Wohnhäuser an der Hegibachstrasse, die Det Gabbuzini aufgrund seiner Liste eindeutig als Nest der Urheber dieses "gewaltverherrlichenden" Videos ausmachte. Irgend ein kluger Kriminalist - oder war es gar der Polizeikommandant persönlich? - kam in der Folge auf die Glanzidee, die unbekannte Steinewerferin ebenfalls bei uns zu vermuten nach dem Motto "Wer zuhause solche Filme macht/kuckt, schmeisst auf der Strasse auch Steine (Immerhin wird im Film auch ein Beamter durch einen Steinwurf niedergestreckt!)", und liess den Hausdurchsuchungsbefehl nachträglich auf "Schwere Körperverletzung" bzw. "Totschlag" ausweiten. 

 
Kapitel 6: DIE RAZZIA, Teil 2: Im falschen Haus 

Das Fest beginnt 

Unter dem Erfolgsdruck, endlich einmal ein paar Namen vorzeigen zu können, die sie den mürrischen Massen als "Schuldige" an den ganzen Ausschreitungen verkaufen konnten, wurde Oblt Gussmann, Chef des Kriminal Komissariats II, zum Einsatzleiter bestimmt und Beamte für eine Grossaktion am kommenden Montagmorgen, den 29. November 1993 zusammen getrommelt: Antiterroreinheiten mit Maschinenpistolen, 3 Six-Packs mit Beamten für den "unfriedlichen Ordnungsdienst" mit Nervengas, Gummischrot und Kampfmontur (sog. Grenadiere) sowie über 14 zivile Beamte unter Führung von Funktionär Det Gabbuzini (PMS), welcher als einziger das Video visioniert und Prints von den Gesichtern der DarstellerInnen angefertigt hatte. Ebenfalls mit dabei weitere BeamtInnen vom PMS und Fahndung sowie der Kriminal Foto Dienst und ein Videoteam

Um 6.30 Uhr umstellte die Polizei die beiden Häuser. Der Stadtammann des Kreis 7 und sein Stellvertreter als Urkundspersonen waren bereits vorher dagewesen. Nachdem auch BA Spörri eingetroffen war, schritt der PMS-Trupp zur Tat

Kinderbücher beschlagnahmt - im falschen Haus! 

Frisch geduscht und braungebrannt vom Skiausflug am Wochenende, aber reichlich verschlafen maulte einer der Beamten etwas von "Ich hasse diese Hau-Ruck-Aktionen", als sie kurz darauf wie geschlagene Hunde aus dem Nachbarhaus wieder herauskamen. Det Gabbuzini hatte in der Hitze des Gefechts anscheinend unterlassen, die städtische Liegenschaftsverwaltung oder die Einwohnerkontrolle zu konsultieren, um seine etwas veraltete Liste der besetzten Häuser zu aktualisieren. Jedenfalls lebte in besagtem Haus, das der Stadt Zürich gehört, seit über zwei Jahren eine gutbürgerliche Familie

Die betroffenen Leute verlangten über ihren Anwalt eine Erklärung, weshalb eine ehrbare Frau mit drei kleinen Kinder morgens um 6.45 Uhr von Polizeibeamten mit den Worten "Aufmachen, oder wir schlagen alles kurz und klein!" genötigt wurde die Türe zu öffnen, worauf die Beamten ausschwärmten und in ihrem Übereifer - einen Sack Kinderbücher beschlagnahmten! 

Laut diesem Schreiben "drangen ca. 10 bewaffnete Beamte - teilweise mit Videokameras ausgerüstet - nach massiven Drohungen in das Haus ein und durchsuchten es. Da Herr X zu diesem Zeitpunkt beruflich im Ausland weilte, war seine Frau mit ihren drei Kindern allein im Haus. Die jüngste Tochter ist nur wenige Wochen alt und wird noch voll gestillt. Frau X und die Kinder wurden durch die Durchsuchung während des Stillens rsp. im Schlaf vollkommen überrascht und entsprechend erschreckt. Meine Klienten haben bis heute weder von Ihrer Seite noch von Seiten der Polizei eine Erklärung für die Hausdurchsuchung erhalten." 

Einen Monat nach dem Debakel entschuldigte sich der Einsatzleiter Oblt Gussmann Chef des KK II in einem dreiseitigen Brief an die Familie. Darin wärmte er u.a. nochmals die Lügenstory auf, man habe "nach einer Täterschaft gesucht, welche sich einer versuchten vorsätzlichen Tötung bzw. schweren Körperverletzung schuldig gemacht hatte." Es wäre keine Zeit mehr geblieben, zusätzliche Erkundigungen über die Liegenschaft einzuholen und "die Schwere der Delikte" rechtfertige diese Durchsuchung im falschen Haus

 
Kapitel 7: DIE RAZZIA, Teil 3:  Deutschland 1942? DDR? CH 1993? 

Zürcher Stasi dreht BesetzerInnen-Porno! 

Während im Bericht des Stadtammanns über das Eindringen ins Nachbarhaus noch zu lesen ist, es sei "ordnungsgemäss geklingelt" worden, stand bei uns nur noch diskret, das Haus sei "betreten" worden, als die guten Mannen und Frauen von der PMS - frustriert durch die eben erlittene peinliche Schlappe - kurzerhand unsere Haustüre eintraten, uns der Reihe nach aufweckten und uns ohne unser Wissen filmten, wie wir geblendet in ihre Scheinwerfer blinzelten, nach unseren Unterhosen tasteten und uns anzogen, bis sie die Zimmerbeleuchtung einschalteten und wir realisierten, dass sie uns die ganze Zeit gefilmt hatten - mit derselben Handycam, mit der wir auch BLUTGEIL gedreht hatten! Und während unser Film damit endet, dass draussen die Polizei vor der Tür steht, beginnt ihrer damit, wie sie hereinkommen. (Böse Zungen reden davon, dass der zweite Teil von BLUTGEIL, den sie da gedreht haben, eigentlich BLÖDGEIL heissen müsste.) 

Schnüffelpolizei am Werk 

Während wir noch zuschauen durften, wie sie unsere Zimmer auf den Kopf stellten, wurde unsere Stube, die gleichzeitig als Büro dient, und der angrenzende Arbeits- und Lagerraum, wo sich viele diffizile Druckvorlagen und Originalgrafiken befinden, in unserer Abwesenheit systematisch durchwühlt. Als jemand dies bemerkte und dagegen protestierte, wurde der Betreffende sogleich in Handschellen gelegt und bei Minusgraden für 20 Minuten in einen Gefangenentransporter gesperrt. Sieben Personen wurden für einen Tag in Einzelhaft gesteckt und verhört, obwohl 3 davon offensichtlich nichts mit dem Film zu tun hatten. (Der Vorwurf der schweren Körperverletzung wurde mittlerweile diskret schlicht nicht mehr erwähnt.) Eine Ausländerin, die zum Zeitpunkt der Razzia bei uns zu Gast war, wurde noch am selben Tag des Landes verwiesen. Zudem wurde unser gesamtes Inventar gefilmt und fotografiert - dies alles wohlgemerkt durch die politische Polizei! Natürlich wurden bei der Hausdurchsuchung diverse Grafiken und Bilder beschädigt

Jedes Mal, wenn ich das Wort Kultur höre... 

Im Bericht des Stadtammanns steht, die Hausdurchsuchung sei "durch alle untersuchenden Beamten sorgfältig ausgeführt" worden. "Laufend untersuchte der unterzeichnete Stadtammann-Stellvertreter die bereitgestellten Schachteln mit den beschlagnahmten Sachen mit der an Ort und Stelle durch die Stadtpolizei erstellten Listen. Am Schluss der Hausdurchsuchung wurden die beschlagnahmten Sachen vor dem Abtransport nochmals kontrolliert. Erst nach dieser Kontrolle erfolgte die Unterzeichnung der Stockwerkprotokolle durch den bis zum Verschliessen des Hauses anwesenden Stadtammann-Stellvertreter des Stadtammannamtes Zürich 7." 

...mach ich eine Razzia! 

Trotzdem befanden sich unter den Ge-genständen, die anschliessend in Det Gabbuzinis Büro aufgetürmt wurden, grob gesagt insgesamt 3 Kategorien

- Eine davon, knapp die Hälfte der beschlagnahmten Sachen, hatte auch effektiv zumindest indirekt etwas mit BLUTGEIL zu tun und war in der Regel sowohl beim Stadtammann wie auch in den Polizei Protokollen aufgeführt. 

- Eine 2. Kategorie umfasst Dinge  wie private Briefe, unser Adressbuch, T-Shirts unserer Band DER KLEINE HIRNFICK, 30 Musikvideos unserer Band PSZYCHISZ TEROR, Videos von unseren Lesungen, andere Videos wie z.B. Frank Zappas 200 Motels, Berner Beben, Weisse Wale, Die Entstehung des Lebens etc., die zwar absolut nichts mit dem Film zu tun haben, aber trotzdem - wenn auch grösstenteils zwar nicht auf der Liste des Stadtammanns - so doch wenigstens noch auf der einen oder anderen Beschlagnahmungsliste der Polizei auftauchen. 

- Die 3. Kategorie umfasst eine Vielzahl anderer ausschliesslich kultureller Dinge wie systematisch alles, was wir ausser BLUTGEIL sonst noch so alles an Büchern, Heften, Musikkassetten, Schallplatten und Filmen produziert und herausgegeben haben, wovon fleissig je ein Belegsexemplar eingepackt wurde - darunter, oh Ironie des Schicksals, ein Buch, wegen dem mich seinerzeit schon das "Büro S" fichiert hatte - plus weitere Dinge, die absolut nichts mit BLUTGEIL zu tun hatten und die weder auf der Liste des Stadtammanns noch auf sonst irgendeinem Beschlagnahmungsprotokoll vermerkt wurden

Deutschland 1942? DDR 1956? CH 1994? 

Letztere beiden Kategorien wurden auch nie an die Bezirksanwaltschaft weitergegeben, sondern verblieben über 5 Wochen im exklusiven Gebrauch der PMS, bis wir sie nach Drängen unsererseits dann im Januar dort abholen konnten. Zum Glück müssen die BeamtInnen der PMS die Fichen heutzutage nicht mehr durch die Gänge schleppen, sondern können sie vom Sessel aus bequem am PC abrufen... 

Heute lassen sie unseren Film beschlagnahmen, morgen unsere Bücher und Bilder verbrennen und uns offiziell mit Schreib- und Produktionsverbot belegen! 

Wir lassen uns bestimmt nicht von verklemmten BeamtInnen vorschreiben, was wir als Kunstschaffende dürfen, rsp. eben nicht dürften! 
 
 

 
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