Seelenlos, Zelle 221A     
    c/o Flughafengefängnis, Abt. Strafvollzug, Postfach, 8058 Zürich-Flughafen    
       
1. April 2000 
Guten Morgen   

Die Kultur ist frei, eine Zensur findet nicht statt und die Menschenwürde ist auch in der Schweiz unantastbar - Ok, vielleicht hast du vorher schon das Datum gelesen und somit ist die Pointe bereits dahin (für alle andern: April! April!).   

Heute geht's mir super: Das Zahnfleisch ist nicht mehr weiter zurückgegangen und blutet nicht mehr so stark, ich muss erst 1 Stunde nach dem Essen fluchtartig aufs Klo, dank 3 Litern heissem Wasser täglich vom Zellennachbar mit dem Kocher lässt auch der Blasenschmerz langsam nach, und mittlerweile kann ich sogar schon wieder 4 1/2 Minuten ununterbrochen joggen! Was ein bisschen zumindest halbwegs vernünftige Nahrung doch alles ausrichten kann. Einziger Wehrmutstropfen: Wenn ich in n knackigen Apfel reinbeiss, merk ich erst, wie übel mein Zahnfleisch dran ist. Doch dann denk ich einfach, was der Onkel Doktor gesagt hat: Alles nur psychisch! (Und wer nun meint, das wär wieder n Aprilscherz: Dies hat er mir noch im März erzählt, und ist auch sonst sein steter Kehrreim fürs ganze Jahr, siehe Dossier 31.3.00  

Donnerstag hab ich übrigens auch die BLUTGEIL-Akten bekommen. Wollt mich grad per Hausbrief höflich nach deren Verbleib erkundigen, als der Aufseher kommt und meint, da schwimme noch n Karton rum, Akte BLUTGEIL, ob ich wüsste, was damit sei. Klar, die sind für mich, brauch ich für die bewilligte Selbstbeschäftigung, worauf er grinst und meint, er checke sie mal durch und bringe sie mir heute noch, wenn alles ok sei. Gut 2 1/2 Stunden später geht die Tür auf und ich kriege sie überreicht. Schätz er hat sich damit was die Nachtwache verkürzt. Als er sie mir gibt, zwinkert er mir noch mit dem einen Auge zu, was eigentlich die übliche Begrüssung unter den Gefangenen hier ist. Ich denk ich seh nicht recht. Doch wie gesagt, es gibt auch Aufseher, die sind cool und haben sogar noch Humor  

Extrem praktisch auch die Leuchtklebis drin: Damit konnt ich endlich die Lüftung abdichten. Nachdem ich auch noch die Löcher in den Ecken der Decke mit Klopapier vollgestopft hab, kommt der Rauch meiner kettenrauchenden Kollegen jetzt nur noch durch die undichten Fugen, so dass ich bisher höchstens noch 1 mal nachts mit Hustenanfällen aufwach.   

Gestern ist auch die Post angekommen mit den Texten und so. Herzlichen Dank auch für den Schnappschuss der Servo-Drive-Babies. Wie schon DJ Brunello in der Rekrutenschule sagte: Was ich noch mehr vermisse als Sex ist richtige Musik. Die MD-11 sind ja ganz nett, lassen aber doch rhythmisch zu wünschen übrig und erreichen auch nicht wirklich jene illegalen Lautstärken, nach denen mein Körper verlangt, schon gar nicht im sogenannt kritischen Bassbereich. Ist ein bisschen wie wenn an der Party im Break der Snare-Wirbel anschwillt - und wenn's dann wirklich losginge ist Schluss 

("Fertig lustig!", wie der eine Spiess zum Ende des Hofgangs jeweils ruft, worauf ich's mir manchmal nicht verkneifen kann, "Zurück in den Stall!" hinzuzufügen.)   

Heut ist beim Hofgang übrigens was seltsames passiert. Jeder schon die verschwitzten Klamotten eingepackt, Pingpongschläger zur Seite gelegt usw, doch da der Spiess erst seine Kippe zu Ende rauchen musste, gab's etwas Überzeit. Alle drehten nochmal ne Runde, und als wir in der richtigen Ecke angelangt warn, kam die Sonne aus den Wolken. Plötzlich standen alle im beschienenen Fleck im Kreis, niemand sagte ein Wort, doch alle hatten einen guten Smile im Gesicht.   

30 Hertz ist die Frequenz der Liebe, wo ich sonst keine Liebe mehr brauch und auch dich nicht  
   
Viva Ceaucescu!         Cheers 
  

 
Fortsetzung ...
 

No.  6'666'667
 
 
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