Paul
Leppin
Paul Leppin wurde am 27. November 1878 in Prag geboren, als zweiter Sohn von Josef Leppin und Pauline Scharsach, die beide aus Friedland stammten und erst kurz vor ihrer Heirat in die böhmische Hauptstadt gekommen waren, sie als Erzieherin, er als Uhrmacher. Doch die Hoffnungen, mit denen sie wohl nach Prag gezogen waren, erfüllten sich nicht; Leppins Vater war gezwungen, sein Uhrmacherhandwerk aufzugeben und verdiente seinen spärlichen Unterhalt als Schreiber in einer Advokatenkanzlei, und die Mutter, die für ihre zwei Söhne sorgen mußte, vermochte als Erzieherin nicht viel dazu zu verdienen.
Aufgrund dieser ärmlichen Familienverhältnisse konnte Paul Leppin nach der Matura nicht wie die meisten seiner Schulkameraden die Universität besuchen, sondern trat gleich in den Dienst der Post- und Telegraphendirektion, wo er bis zu seiner aus Krankheitsgründen frühzeitigen Pensionierung vom Rechnungspraktikanten zum Rechnungsobersekretär aufgestiegen war. Im Gegensatz zu dem geregelten bürgerlichen Berufsleben war Leppins literarische Existenz von Anfang an von einer anti-philiströsen Haltung geprägt. Leppins Name wurde ein Synonym für »Bürgerschreck«. Er war der ungekrönte und unbestrittene König der Prager Bohème der Jahrhundertwende und erwarb sich Ruhm als lasziver Bänkelsänger. In seiner Rolle als Vorstreiter für die Allerjüngsten, die »Frühlingsgeneration«, gab er in den Jahren 1900 und 1901 die lyrischen Flugblätter »Frühling« heraus. Gesellschaftliches Zentrum dieser Jungen war der »Verein deutscher bildender Künstler in Böhmen«, der 1895 als Antwort auf die konservative Haltung des alteingesessenen Kunstestablishments, das sich in der Schriftstellervereinigung »Concordia« gesammelt hatte, gegründet worden war. Hugo Steiner schrieb darüber 1933 rückblickend: »[Der »Verein deutscher bildender Künstler in Böhmen«] war keine Künstlergruppe, deren Mitglieder vorsichtig, ja mitleidlos gesiebt und auf ihre Leistungen und ihre künstlerische Weltanschauung geprüft wurden, sondern ein frei zusammengefügter Kreis von bildenden Künstlern aller Art und aller Anschauungen, die sich hier aus gleichartigen Berufsinteressen zusammengeschlossen hatten, gemeinsam mit kunstbegeisterten Menschen und solchen, die an dem fröhlichen Leben und Treiben der Künstler, wie solches in der damaligen Zeit zum »Künstlervölkchen« zu gehören schien, Freude und Gefallen fanden.«Hier hatte einst - worauf Peter Demetz hinwies - René Maria Rilke seine Verse rezitiert, der Dramatiker Christoph Jenny aus seinen Werken gelesen, jetzt waren es Oskar Wiener, Viktor Hadwiger und Paul Leppin, die skandierten und verzückt deklamierten. Auch der Bankier und Lebemann Gustav Meyer, der sich später Meyrink nannte, der Regisseur Franz Zavrel sowie - nachdem schon viele von Leppins alten Freunden nach Wien und Berlin gegangen waren - Alexander Moissi, der neue Star am Prager Schauspielhimmel, beteiligten sich manchmal an den Veranstaltungen dieser Gruppe. Aber auch zu den tschechischen Literaturkreisen hatte Leppin enge Beziehungen, zählte Dichter wie Jiri Karasek ze Lvovic und später Frana Sramek zu seinem Freundeskreis, veröffentlichte Aufsätze in der »moderni revue«, dem publizistischen Sprachrohr der »Ceska moderna«, die die Anregungen des europäischen Symbolismus aufnahm, übertrug Gedichte aus dem Tschechischen und schrieb für die Münchner Zeitschrift »Die Gesellschaft« Artikel über tschechische Literatur und Kunst. Von seinen ersten literarischen Bemühungen bis zu seinem Ende nahm Leppin, dessen Bruder ganz in der tschechischen Kultur integriert war, eine Mittlerrolle ein und bot sowohl als Dichter wie auch als Bürger ein Beispiel für das friedliche und produktive Zusammenleben beider Nationen - wie Otto Pick in seinem Artikel »Paul Leppin, der Dichter des andern Prag« ausführte.
Während Leppins Name aufgrund seiner vielfaltigen literarischen Aktivitäten, besonders aber durch seinen Roman Daniel Jesus, der 1905 erschien, und durch einige Essays, die den Tabubereich des Sexuellen zum Inhalt hatten und 1920 unter dem Titel Venus auf Abwegen in Buchform veröffentlicht wurden, außerhalb Prags an Ansehen gewann, erlitt sein offizieller Ruf, der wegen seiner stetigen Opposition gegenüber Althergebrachtem nie sehr gut gewesen war, in den weniger fortschrittlich gesinnten Kreisen seiner Heimatstadt weitere Einbuße. Hauptgrund dafür war, daß er es 1906 wagte, zusammen mit Richard Teschner eine unabhängige Kunstzeitschrift, die er »Wir« taufte, herauszugeben und gleich in der Einleitung gegen die bestehenden Prager Verhältnisse zu polemisieren: »Das künstlerische und literarische Leben der Deutschen in Prag konnte sich seit jeher nur mühsam und gequält unter dem Drucke jeweiliger Sonderinteressen weiterentwickeln.... Der gesellschaftliche Nepotismus ist hier Trumpf.«Dies war zu provozierend. Paul Leppin hatte damit seinen »Deutschen Blättern der Künste« selbst das Urteil gesprochen, ihr frühzeitiges Ende - schon nach der zweiten Nummer - war nicht überraschend. »Wir« blieb der letzte Selbstbehauptungsversuch der »Frühlingsgeneration«. In den Folgejahren wurde es still um sie wie auch um Paul Leppin. Eine neue Gruppe junger Autoren - Max Brod und sein Kreis, Franz Werfel und Egon Erwin Kisch, die Prag zu einer führenden Literaturstadt Europas erheben sollten - veröffentlichte ihre ersten Werke. Leppin hoffte, daß ihr zumindest die Auseinandersetzungen zugute kommen würden, die seine Generation »belustigt und verärgert zugleich«, wie er bemerkte, über sich hatte ergehen lassen. Im literarischen wie im persönlichen Bereich stellten die Jahre um 1906 eine Zäsur in Leppins Leben dar: Er lernte Henriette Bogner, die Schwester der Verlobten seines Malerfreundes Cocl, kennen, und etwa zwei Jahre später, am 27. Juli 1907, fand in der Bognerschen Villa in Reichenberg die Doppelhochzeit statt. Die Junggesellenzeit war nun zu Ende, und Leppins junge Frau hoffte, daß auch die Prager Jahre vorbei sein würden. Sie wollte in der feschen Donaumetropole Wien ihr neues Heim gründen, weg von der dumpfen, drückenden Atmosphäre der Moldaustadt. Leppin aber war dem oft beschworenen Zauber dieser Stadt verfallen und so mußte seine Frau auf ihren Wunschtraum Wien verzichten.
Im Stadtteil Prag-Weinberge, in dem er aufgewachsen war, blieb er auch weiterhin wohnen und ebenso blieb das Alt-Prag der Jahrhundertwende, dessen Milieu ihn geprägt hatte, seine geistige Heimat. Die Stadt mit den hundert goldenen Türmen, den engen Gassen und barocken Heiligenfiguren fungierte nicht nur als Kulisse seiner Schauspiele (vor allem von Der Enkel des Golem), Erzählungen und Gedichte, sondern wurde deren wesentlicher Bestandteil. Selbst die beiden Romane, die zur Zeit des Ersten Weltkriegs publiziert wurden, Severins Gang in die Finsternis (1914) und Hüter der Freude (1918), blieben gänzlich unberührt von dem Zeitgeschehen, sind Zeugnisse der vergangenen Epoche. Wohl stand
Paul Leppin nach 1906 nicht mehr im Mittelpunkt der literarischen »Tagespolitik«,
sein lokaler Ruf als »Spaßmacher«, Bänkelsänger
und Dichter aber hielt unvermindert an. Besonders Max Brod schätzte
sein Werk und zählte ihn außerhalb seines engeren Prager
Kreises zu den Personen, die ihm am nächsten standen. Wie wohl
allen zeitgenössischen Literaten, erschien ihm Leppin von Jahr
zu Jahr mehr als »der eigentlich erwählte Sänger des
schmerzlich verlöschenden Alt-Prag«. Otto Pick dichtete 1937:
Schon zu Lebzeiten wurde Leppin zu einem »Denkmal« dieser vergangenen Zeit und sein Werk zu einem ihrer unverrückbaren Bestandteile, wie Max Brod in einem Artikel sagte:Paul Leppin
Der Höhepunkt
seiner literarischen Laufbahn, den Paul Leppin mit den offiziellen Ehrungen
erreicht hatte und der sich auch in den zwei abschließenden kleinen
und sehr schönen, mit Illustrationen seines alten Freundes Hugo
Steiner-Prag ausgeschmückten Bänden der Prager Rhapsodie
dokumentierte, die seine jüngsten Gedichte und Erzählungen
zusammenfaßten, stellte jedoch zugleich den Schlußpunkt
seines Erfolges dar und den Beginn einer sechsjährigen Folter.
Den Auftakt bildete im März 1939 Leppins Inhaftierung, gleich nach
der »Befreiung« Prags durch die Nationalsozialisten. Den
Grund dafür erfuhr der doch so Unpolitische nie. Vielleicht war
er als Jude denunziert worden, seine Schriften und seine freundschaftlichen
Beziehungen zu jüdischen und tschechischen Kreisen waren wohl sprechende
Beweise für seine Zugehörigkeit zu der »alle arischen
Werte zersetzenden Clique«. Etwa zur selben Zeit hatten überdies
seine ständig quälender werdenden syphilitischen Nervenschmerzen
ins Unermeßliche zugenommen, und ein schwerer Schlaganfall, den
er nicht lange nach seiner Freilassung aus dem Pankrac erlitten hatte,
fesselte ihn an den Rollstuhl. Nur der aufopfernden Fürsorge seiner
Frau und seiner jungen Freundin Marianne von Hoop, die er wenige Jahre
zuvor kennengelernt hatte und deren Mann Arzt war, war es zu danken,
daß diese schweren Jahre - in denen er von den emigrierten literarischen
Freunden schon totgeglaubt wurde - für ihn erträglich blieben.
Der Zuspruch, den er von Marianne von Hoop erfuhr, weckte in ihm sogar
nochmals den Dichter, und er plante einen neuen Lyrikzyklus, für
den auch einige Gedichte entstanden, hielt trotz seiner Lähmung
einen letzten öffentlichen Vortrag und schrieb schließlich
sogar einen kleinen autobiographischen Roman mit dem Titel: Monika.
13 Kapitel Liebe aus der Hölle. Dieser Roman, den er Ende 1944
abgeschlossen hatte, war sein letztes Werk. Paul Leppin starb am 10.
April 1945. |
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