DEZIBEL-ZENSUR IN DER SCHWEIZ
aus Frontpage 5_08 (1996) (Im Original ohne Diagramm) Ich geb zu, es fällt mir schwer, sachlich zu bleiben: Die neuen Schallgrenzwerten des Schweizer Bundesrates sind das behördlich verordnete Ende einer Musik- und Tanzkultur, die ich seit Jahren kenne und liebe. Wohl bemerkt: Auch ich bin kein Freund von pfeifenden Ohren und möchte auch die nächsten paar Jahre gern noch etwas hören. Darin liegt der Streitpunkt nicht. Trotzdem halte ich es auch unter diesem Gesichtspunkt für unfair und scheinheilig, einseitig gehörschädigende Rock-Konzerte zu kriminalisieren, wesentlich gehörschädigendere Sturmgewehre, Kanonen und F/A-18 Düsentriebwerke hingegen wohlweislich nicht. Seit einigen Jahren haben sich mit Rap, Techno etc. Musikstile etabliert, die vom Frequenzverlauf her nicht mehr vor allem den gehörschädigenderen höheren Frequenzen ab etwa 1000 Hertz (=Schwingungen pro Sekunde) huldigen, sondern im relativ unschädlichen Bassbereich von etwa 40 bis 80 Hertz in der Regel mindestens 25 dB lauter sind als im gesamten Rest des Spektrums die für diese Stilrichtungen typischen, physisch wahrnehmbaren "infernalen Techno-Bässe". Bewaffnet mit Ohrstöpseln hatte ich nach solchen Anlässen auch bei wirklich sattem Schalldruck im tiefen Bassbereich anschließend nie die bekannten Nebenwirkungen in den Ohren. Nun läßt sich womöglich einwenden, dem sei ja Rechnung getragen worden durch die Verwendung der dB(A)-Kurve, welche Bässe und extreme Höhen etwas weniger "streng" bewertet. Geschickter Zug, ich gratuliere. Nach der ersten Euphorie habe ich mich jedoch etwas genauer kundig gemacht, auch mittels Schallpegelmessungen. Resultat: Die "komfortablen Grenzwerte" von 93 resp. 100 dB(A) bedeuten faktisch das Aus für die meisten Spielarten von Techno, Hip Hop, Jungle etc., wie wir sie heute kennen. Auch wenn die Verantwortlichen dieser Aktion den Begriff KULTURZENSUR kaum goutieren werden - er entspricht voll und ganz den Tatsachen: Ab 1. April 1996 (Kein Scherz!) können hierzulande Menschen ins Gefängnis gesteckt werden, deren einziges Verbrechen darin bestehen wird, daß sie beispielsweise satte Bassdrums lieben. Obendrein wird die "Verordnung zum Schutz der Ohren" aus folgenden Gründen erst recht zu vermehrten Gehörschäden führen:
Einerseits
ist auch die dB(A)-Kurve alles andere als empirisch exakt dem physikalischen
Gehörgang angepaßt. So werden ausgerechnet die gehörschädigensten
Frequenzen um 4000 Hz (4 kHz), die zudem auch für die
sprachliche Verständigung wichtig sind, von der dB(A)-Kurve um
gut 8 dB unterbewertet.
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