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Zensur in der Schweiz

Film verbrannt, Künstler im Gefängnis

 
Trotz Skandalen um Nazigold und Judenstempel war in der Schweiz - im Gegesatz zu Nazi-Deutschland oder den "realsozialistischen Ländern" - die Kulturfreiheit weitestgehend gewährleistet.

 50 Jahre später aber bricht die Schweiz mit dieser Tradition, als 1989 der höchst umstrittene Kulturzensurartikel Art. 135 StGB eingeführt wurde - ein europaweit einzigartiges Totalverbot der Darstellung von Gewalt. In jener Zeit blühte der Video-Boom, worauf bald schon erste kritische Stimmen eine gesetzliche Regelung forderten, damit Jugendliche nicht Videos ausleihen können, die nicht für ihr Alter geeignet sind. Doch statt eine Komission einzusetzen, die Altersfreigaben für Videos regelt, und mit der Deutschen Filmprüfstelle FSK / JK zusammenzuarbeiten, werden die als "Brutalo-Videos" verschrienen Filme kriminalisiert.

 Sofort formierte sich Widerstand unter bekannten Schweizer Künstlern (Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, u.a.), die Art. 135 StGB als Kulturzensurartikel geisselten und festhielten, dass in einem liberalen Rechtstaat keinesfalls Richter über Kunst entscheiden dürften. Trotz Prognosen namhafter Rechtsprofessoren, der schwammige Artikel käme nie zur Anwendung, gelangte die Video-Ketchup-Komödie "Blutgeil" deswegen vor den Richter.

 Während in Schweizer Kinos unbehelligt "Natural Born Killers" und "Pulp Fiction" lief, forderte der Staatsanwalt 4 Monate Gefängnis für die 4 angeklagten Filmschaffenden von "Blutgeil". Die Urteilsbegründung war voll von geschichtsträchtigen Zitaten wie "Kultur muss positv sein." oder "Kultur, die diesen Namen verdient, muss mehrheitsfähig sein. Das no-budget-video wurde schliesslich "grundsätzlich als schädlich befunden" und als "nicht schutzwürdige" Kunst nicht "der Nachwelt erhalten", sondern "vernichtet". Beim ihrem Urteilspruch liess das Obergericht generös Gnade walten und verhängte "nur" eine Geldbusse von Fr. 1000.- pro Person. Einer der 4 kriminellen Künstler, der seine Busse nicht bezahlen konnte, musste nun, bei einem Tagessatz von Fr. 30.- , für 33 Tage ins Gefängnis.

 Aus Protest gegen die Kulturzensur in der Schweiz führten die Künstler anlässlich des Haftantrittes vor den Toren des Vollzugszentrums ein "tableau vivant" auf. Die Bestrafung folgte auf den Fuss, offiziell "aus Sicherheitsgründen", wurde der gefangene Künstler gleichentags in das für seinen schlechten Ruf bekannte Flughafengefängnis verbracht, wo er nun seine Haftzeit unter erschwerten Bedingungen verbüsst.

 Das wohl unverständlichste an Art. 135 StGB aber ist, dass die Darstellung von Gewalt genau gleich bestraft wird wie die reale physische Anwendung davon. Ein Schweizer z.B., der auf der Strasse einem Juden nachrief "Der Dölf [ch.fam. für Adolf Hitler] hat euch vergessen." und sein Opfer mit Fusstritten und einem Faustschlag traktierte, wurde auch zu 30 Tagen Gefängnis verurteilt.

 Der "Fall Blutgeil" ist kein Einzelfall. Unter Mithilfe der Schweizer Zollfahndung eröffnet die Polizei ständig Verfahren gegen Ladenbesitzer und Privatpersonen. Trotz wackliger gesetzlicher Handhabe werden z.B. Zombie-Filmfans für gekaufte Video-Filme kriminalisiert, die gleichzeitig am Fernsehen gezeigt werden. Weitere Online-Informationen zum Thema "Zensur in der Schweiz" findet man auf www.blutgeil.com.

Ob und wann dieser juristische Missgriff ausgebügelt und die deswegen Verurteilten rehabilitiert werden, steht in den Sternen. Es bleibt zu hoffen, dass die Schweizer Gesetzgebung spätestens dann eine Lösung findet, wenn sie der Europäischen Gemeinschaft beitreten will.

 

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