Seelenlos, Zelle 221A      
    c/o Flughafengefängnis, Abt. Strafvollzug, Postfach, 8058 Zürich-Flughafen     
       13. April 2000
Ceza Kampina Hosgeldiniz!   
(Türkisch: Willkommen im Straflager!)

Tja, wenn ich gewusst hätt, dass meine gestrige Anrede und Themenvorschau derart prophetisch war, hätt ich wohl ne andre Reihenfolge in Betracht gezogen. Inzwischen haben nämlich die meisten in unserer Stockabteil-Kleingruppe die Arbeit niedergelegt und planen für die nächste Woche einen zusätzlichen Hungerstreik  

Somit ist's nicht unwahrscheinlich, dass die "Briefkontrolle" (wie der Zensor laut Hausordnung offiziell heisst, tönt ja auch weniger schmutzig und da fühlt man sich gleich besser) wieder mal paar Tage in Anspruch nimmt, und bis sie mich dann obendrein noch unverdienterweise als Rädelsführer fichiert haben, kann zusätzlich noch die eine oder auch andere Weile ins Land ziehn. [Der Brief kam auch prompt erst eine geschlagene Woche später an - pünktlich zu Führersgeburtstag! Q.e.d.]   

Offener Arbeitskampf im Sonderknast!!! Wenn das Adolf Blocher wüsste!! Schlagartig wurde mir klar, wieso mich die Aufseher so komisch anguckten, als ich heut telefonieren wollte, und teilweise hämisch grinsten, als keine Verbindung zustande kam.   

Mittlerweile haben die Anstaltsoberen bereits prompt reagiert: Heut mittag der Gruppenvollzug (Zellentüren im Stockteil geöffnet) kommentarlos von 2 Stunden auf 1 halbiert - wohlbemerkt für alle, also auch die (wenigen) Nichtstreikenden, sprich Sippenhaft wie früher daheim im Reich und auch im GULAG. Und ab nächsten Montag ist endgültig Schluss, sofern die schwarzen Schafe bis dann nicht reumütig wieder antraben.   

(Die nächsten Schritte sind Entzug von TV, Radio, Zeitungen, Büchern und Wocheneinkauf, und auch die Naturalgaben wirst du womöglich vergebens bringen (vgl § 62 lit a) und b)) - ich seh schon, die wollen mich mit Gewalt zum Hungerstreik prügeln. Danach werden die "Rädelsführer" eruiert, ausgesondert (Führersgeburtstag!!) und in alle Winde zerstreut (auch hier sitzt einer ein, der vom Torberg verlegt wurde). Allerdings: Hier wegzukommen ist ja eher ne Belohnung - mit verschäften Selbstdenunziationen zweifelhaften Hintergrunds könnte verstärkt zu rechnen sein...)   

Was nun die Gründe für den Streik betrifft: Ehrlich gesagt kann ich's ohne weiteres verstehn, weshalb die Jungs keinen Bock mehr auf die Maloche hier vorschieben mögen. Was ich von den Rahmenbedingungen hier im allgemeinen und dem Folter-Dünnschissfrass (Hat's jetzt da Drogen drin? Oder war's bloss vergammelt? Oder weshalb fühl ich mich gleich bedeutend weniger schwindlig und beduselt seit ich hauptsächlich von der - gekauften! - Ergänzungsnahrung verköstige? Alles psychisch? Hä?) im speziellen halte, dürft ja mittlerweile hinlänglich bekannt sein.   

Kommen wir also ohne weitere Umschweife direkt zum angekündigten Thema, der Z w a n g s a r b e i t , und damit verbunden zu einigen weiteren ökonomischen Aspekten in Sachen "Ertragreiche Häftlingshaltung".   

§ 36 sagt klipp und klar, dass Arbeit hier nicht freiwillig, sondern Zwang ist (rsp "Pflicht", tönt doch gleich demokratischer, schöne Worte kosten ja nix), sowie dass jeder auch noch so unterbezahlte Drecksjob mit Schwanzwedeln zu akzeptieren und ohne murren und knurren auszuführen ist - ansonsten winkt ne ganze Bandbreite von Disziplinarstrafen (§ 62, siehe oben). 

Nebst der "lauschigen" Wohnlage, dem Spezial-Regime (Stichwort "erhöhte Sicherheit") und dem Frass dürfte das hiesige "Arbeitsangebot" der 4. wesentliche Grund sein, weshalb das Sondergefängnis Flughafen einen verdientermassen schlechten Ruf hat, so dass Versetzung hierher als zusätzliche Strafe gegen renitente Gefangene verhängt wird.   

Und los geht's: Die Arbeitszeit beträgt 7 ½ Stunden jeden Werktag, wobei jeweils 2 Wochen gearbeitet werden und dann wieder 2 Wochen nicht (während dieser Zeit gibt's jeweils Fr. 6.-- "Sozialentschädigung" täglich). Soweit, so gut.  

Die Arbeit besteht scheints hauptsächlich aus Konfektionieren von Elektro-Zubehör, zB Netzkabel ab Spindeln in 20 m Stücke schneiden, rollen und verpacken, Stecker zusammenschrauben, Briden in Schächtelchen und diese in Schachteln packen usw.   

Soweit, so stumpf, doch der wahre peitschenknallende Hammerschlag auf den Hinterkopf kommt noch: Der  " L o h n " . Was schätzt ihr, läppert sich da (leistungsbezogen im Kollektiv, ganz wie im guten alten GULAG) pro Stunde und Mann so zusammen? Na? 15 Franken vielleicht? Oder eher nur 12, 11, 9, oder womöglich bloss schlappe 8 oder 7 Fränkli? Oder gar noch weniger? Was? 

Ja, genau, erraten: immer noch alles viel zu hoch. Erst wenn ihr die letzten Zahlen nochmals durch 2, durch 3 oder auch durch 4 teilt, kommt's dann langsam etwa hin. Sprich fertig ausgerechnet sagenhafte (oder auch beschämende) unter 1 bis knapp 3 Franken "Arbeitsentschädigung" pro Stunde. (Davon geht dann nochmal die Hälfte aufs Sperrkonto für nach der Entlassung, von der anderen wird zusätzlich noch der Zellenfernseher (Fr. 1.-- pro Tag) abgezogen usw). Real bleiben scheints nach 2 Wochen jeweils noch 10.-- bis 20.-- aufm Freikonto. Und ich dachte immer, Leibeigenschaft und Sklaverei wären abgeschafft  

(Hauptabnehmer seien übrigens u.a. die Firmen Kerteszka, Jumbo und Migros. Denkt dran, wenn ihr dort das nächste Mal beispielsweise 20 m verpacktes Netzkabel "konfektioniert in der Schweiz" kauft: Das nächste Billiglohnland liegt gar nicht weit - gleich hier um die Ecke beim Flughafen hinter dem Stacheldraht.  

Hab ich's ja nochmal verfickt gut, kann ich auf diese grosszügige "Entschädigung" ("Beschädigung" wär entsprechend den hiesigen Verhältnissen wohl eher passend) pfeifen, in "Ruhe" meiner bewilligten Selbstbeschäftigung nachgehen - und hab trotzdem genügend (gepumpte) Kohle auf dem Freikonto, um mir beispielsweise richtiges Essen KAUFEN zu können.   

Womit wir beim nächsten Stichwort wären:  Ö k o n o m i e . Bekanntlich dürfen Einkäufe von Lebensmitteln, Toilettenbedarf, Raucherwaren usw aus "Sicherheitsgründen" (hahaha) generell nur hier im Gefängnis selbst erfolgen, sprich über den gefängniseigenen Laden zu marktüblichen Preisen. Somit wird den Gefangenen das Geld gleich doppelt aus der Tasche gezogen: Zunächst darf man für einen sprichwörtlichen Hungerlohn Zwangsarbeit verrichten, wobei der Staat gemäss § 8 den Gewinn einstreicht. Den Teil des "Einkommens", der einem bleibt, darf man anschliessend gemäss § 44 ebenfalls gleich wieder dem Knast abliefern, welcher dabei nochmals die handelübliche Marge einstreicht  

Ich tu mich ja schwer mit kommunistischem Vokabular, wär ich doch einer der ersten für "nach Sibirien" und dort mit meinem Körper wohl kaum fähig nur schon den ersten Winter zu überleben, doch ausser "doppelter Ausbeutung" kommt mir in dem Fall wahrlich nicht mehr viel in den Sinn.   

Rechnen wir doch zum Schluss mal ganz laienhaft und über den Daumen gepeilt: Etwa 250 Leute sitzen hier ein. Die Hälfte davon arbeitet je 37,5 Stunden die Woche, macht nach meiner Rechnung 4687,5 Mannstunden. Sagen wir mal, der Knast verdient an jeder 1-2 Franken, so gäb das im Monat 20'000.—bis 40'000.--. Damit lassen sich die "Sozialentschädigungen" schon mal locker ausgleichen, mindestens.   

Kommt dann noch der sogenannte "Wocheneinkauf" (Kein Beschiss ohne ...): Die Limite liegt bei 70.--, doch das können sich nur reiche Schweine leisten (wie beispielsweise meine Wenigkeit zumindest die letzten 2 Wochen). Gehen wir mal von durchschnittlich 40.-- aus: Macht bei einer Marge von 25%. auf den Endpreis nochmals monatliche 10 Riesen in die Knastkasse. Immer noch n Klacks im Vergleich zu den laufenden und übrigen Kosten (scheints etwa 200.-- pro Häftling und Tag!), aber trotzdem ganz schön geschäftstüchtig, diese "Sicherheitsvorschriften", muss ich schon sagen.   
  

Ach ja, und übrigens: Dein schriftliches Gesuch um Erhalt einer Hausordnung wurde zwischenzeitlich abgesegnet und bewilligt. Demnächst wird mir eine überreicht und ich darf sie dir zuschicken, vielleicht morgen oder irgendwann, "nur jetzt haben wir grad keine mehr im Büro". Ich sag dazu bloss: Klicken Sie hier  

Rationen auf Null herabsetzen! Arbeitsscheue Elemente aussondern! Rädelsführer eliminieren! Ausrotten! Samt und sonders! Restlos! Ausführen Marsch!   

                                  Cheers 
  

 
 
 
Fortsetzung ...
 

No.  6'666'667
 
 
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