Seelenlos, Zelle 221A    
    c/o Flughafengefängnis, Abt. Strafvollzug, Postfach, 8058 Zürich-Flughafen   
       

30. März 2000

Ciao

da hier übers Wochenende keine Post rausgeht, schummle ich ein bisschen und arbeite schon mal was vor.  

Hab glaub schon geschrieben, dass ich der einzige Schweizer in diesem Teil des Stockwerks und somit hier ein Ausländer bin, wie einer meiner Kollegen gestern treffend bemerkte. (Die Insassen nennen sich alle "Kollega" wie in der Fabrik, während der Verkehr mit den Aufsehern eher wie im Militärdienst abläuft: "So, meine Herren...")  

Wenn's nach der Mehrzahl geht, befinde ich mich hier irgendwo zwischen Ex-Jugoslawien und Albanien, weitere Minderheiten kommen aus der Türkei, Italien, Marokko usw. Die meisten müssen ne grössere Ecke abreissen und sind auf der Warteliste für nach Regensdorf, wo bessere Haftbedingungen herrschen sollen. 

Ich bin der einzige, der eine ganze Zelle für sich allein hat, vielleicht weil das Gefängnis trotz allem immer noch in der Schweiz steht, vielleicht auch weil ich schon als sogenannt schwieriger Spezialkunde hierher verfrachtet wurde - was mir nur recht ist. Nicht weil ich was gegen die andern hätte, mehr weil ich einfach nicht so ganz der gesellige Typ bin. Ich bin kein angenehmer Mensch und seh auch nicht so aus, lebe in meiner eigenen Welt und kann gut den ganzen Tag mit mir allein sein. 

(Wahrscheinlich wär mir noch im Bunker (Arrestzelle) wohler als rund um die Uhr mit Menschen, die ich alle rund um die Uhr pausenlos zur Revolution bekehren müsste - oder sagen wir mangels Bio-Randensafts fürs erste mal n netter kleiner illegaler wilder Streik, Ok? Die Betten aus der Wand reissen und auf den Gang werfen. Ins Essgeschirr kacken und es beschleunigt zurückgeben. Falls wünschen nix nützt. Vgl. § 73 GVO: "[...] Einzelhaft anordnen, wenn der körperliche oder geistige Zustand des Gefangenen dies erfordert, wenn dieser die Arbeit verweigert oder wenn der Gefangene dies selbst wünscht.")  

Als ich nach 5 Tagen gemäss § 74 durchdrücken konnte, dass ich wenigstens den Laptop und 2 der 5 Bücher aus meinen Effekten  auf die Zelle kriegen kann, begannen mich meine Kollegen zuerst scheel anzugucken. Ich war sozusagen der Besserschweizer, dem alles in den Schoss gelegt wird. Irgendwann wurde ich dann wohl in Abwesenheit von der Vollzugs-Gruppe zur unerwünschten Person erklärt. Man redete nicht mehr mit mir, mied den Blickkontakt usw. Wegen der Tarnmütze und den Stiefeln begannen mich dafür einzelne mit dem vaterländischen Gruss zu verabschieden. 

Doch nachdem der Zeitungsartikel über das Happening in Urdorf, in dem du eingangs die Schweiz mit der DDR vergleichst, das 3. Mal die Runde gemacht hatte, bin ich zwar immer noch ein Schweizer, doch wieder ok. 

Immer Donnerstagmorgen ist übrigens - statt offenem Vollzug - Zellenputztag. Da eine unordentliche Zelle laut Hausordnung diverse Schikanen mit sich bringen kann, nehm ich jeweils brav den Boden auf 

(Nicht wie die Albaner zwei Zellen weiter, welche den Kübel mit dem heissen Wasser ungebraucht ins Klo kippen. Und dabei unter den Betten Staub, zentimeterdick. Also da habe er schon was sagen müssen, so der Spiess, von wegen Schweinestall. Aber das hätten sie dann gar nicht gern gehört, als Moslems. "Aber sie sind trotzdem Schweine", wird ihm beigepflichtet. Worauf er lacht. Während ich mich beschämt mit meiner Lunge rausrede, die keinen Staub erträgt. Und weil es sich besser macht. Was zu beweisen war. Traurig aber wahr.)  

Gerade beim Zellenputz ergeben sich übrigens regelmässig interessante Beobachtungen zum Thema "Dies ist kein Randensaft":  

Den Flecken rings um den Klospiegel nach zu schliessen bin ich nicht der einzige mit Zahnfleischproblemen 

Auch die übrigen Wände und speziell die Türe samt Kontrollfenster sind gut vollgesabbert, letzteres auch mit diversen Faustabdrücken. (Auf Kopfhöhe hat die massive Metalltüre zudem ne gesunde Delle. Fragt mich nicht wie die da reinkam.)  

Ich hab auch mein bestes getan, die paar Rückstände aufm Boden von meinem kleinen Kunstwerk zu beseitigen. Keine Chance hingegen bei den Resten der 2 grossen Lachen beim Fenster und bei der Tür. Warn wohl auch nicht mit Spucke verdünnt 
 
"Müssen nach einem Unfall, nach Verletzungen etc. in Zellen, Werkstätten oder anderen Orten Blut, Erbrochenes, Urin oder Stuhlreste entfernt werden, dann tragen Sie bei der Reinigung Gummihandschuhe. Das Reinigen von Flächen (Böden, Wänden) sowie Gebrauchsgegenständen erfolgt durch gründliches Abwaschen und anschliessende Desinfektion mit einem zur Verfügung gestellten Desinfektionsmittel."  
 
(Merkblatt AIDS für Gefängnisinsassen)  
  
Bitte schick mir mal das Homöo-Medi (Tuberkulinum). Hab zwar noch keine Bewilligung, doch wenn die morgen nicht kommt, setzt's ne Bitte um rekursfähige Verfügung inkl. Rechtsmittelbelehrung usw.  

Viva Ceaucescu!           Cheers
 

 

 

Fortsetzung ...


No.  6'666'667
 
 
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