Seelenlos, Zelle 221A      
    c/o Flughafengefängnis, Abt. Strafvollzug, Postfach, 8058 Zürich-Flughafen      
       18. April 2000
 
Merhaba ila muessasa ghassa!   
(Marokkanisch: Willkommen im Sonderlager)  

Tja, da hatt ich mich schon so auf die bevorstehende Eskalation der Häftlingsrevolte gefreut - und nun soll alles schon wieder vorbei sein? Pfui!  

Sprich ich komme morgens vom Interviewtermin für die Kopenhagener Fersehstation TV STOP im Kultusraum des angrenzenden Ausschaffungsknastes (mit schön künstlerisch verzierten Gängen, zivil gekleidetem Personal, eigenem Kraftraum und auch sonst mit einem viel ansprechenderem Regime, vgl Verordnung vom 17. Dezember 1997) zurück in unsere heimatlich kargen Gänge - und was sehen meine schlafentzugsgeplagten, rot geäderten und umrahmten Augen? Erratet ihr's?  

Alle Zellentüren sperrangelweit offen, meine Mithäftlinge bereits wieder draussen im Gruppenvollzug - und alle am unterschreiben einer Vereinbarung, wonach sie auf die Zwangsarbeit, äh, pardon, die Arbeitspflicht gemäss § 36 GVO, sowie auf die im Falle einer allfälligen Verweigerung drohenden Disziplinarstrafen (noch niemand auf die Idee gekommen, dieses hässliche, hässliche, böse, böse Wort beispielsweise durch das ungemein schöner, sozialverträglicher und liberaler klingende -massnahmen zu ersetzen, tst?) gemäss § 62 lit. a) und b) aufmerksam gemacht wurden - und sich zudem bereit erklären, nach Ablauf der Sperrfrist (Stichwort: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen, äh, halt, falsch, falscher Film, alles wieder zurück: der kriegt auch keine Sozialentschädigung) freiwillig zur Zwangs-, äh, halt, na, ihr wisst schon, -Arbeit zurückzukehren, und als Gegenleistung werden ab sofort die Türen wieder regulär nach Stundenplan geöffnet  

Hat der Herr Rohner also gestern hinter meinem Rücken wieder alle weichgeklopft und schön pragmatisch eine Lösung gefunden, bei der niemand das Gesicht verliert, und dem untreuen arbeitsscheuen Pack womöglich zusätzlich noch versprochen, sich für eine Verbesserung der nun wirklich eh schon viel zu laschen und grosszügigen Arbeitsbedingungen einzusetzen. Schimpf und Schande!   

O meine Brüder, wie habt ihr mich so schmählich im Stich gelassen! Und wisst ihr was? Die machen alle vergnügte Gesichter! Noch schlimmer: Ich selber hab auch schon allergrösste Mühe, die Mundwinkel unten zu behalten, ja ertappe mich schon bald bei eindeutig konterrevolutionären Gefühlen! Lenin steh mir bei!   

Nun ja, vielleicht sind die Genossen auch einfach bereits zu sehr geschwächt und verwirrt, um die Tragweite ihres Verrates in seiner ganzen Verwerflichkeit zu erfassen. Ich versuche also die mitgenommenen Kämpen mittels Zustupfs einiger Knoblauchzehen wieder auf den rechten Weg zurückzubringen. Doch auch meine agitatorisch geschickt eingeflochtenen Bemerkungen über die hiesige Kost (möge da doch eindlich eine MD-11 auf Koch und Küche krachen!) sorgen lediglich für - Heiterkeit und gute Laune!   

Haben denen womöglich ne Extraladung Drogen ins Frühstück getan?! Nicht mal ne Vorladung zum Veterinär statt des verlangten Zahnarzttermins vermag sie auf die Palme zu bringen! Lachen ihn einfach aus und rufen freundlich "Aschlog" hinterher!   

Dann beschauen sie stirnrunzelnd mein schwarzes Longsleeve mit den verschieden langen abgerissenen Ärmeln, fragen ob ich kein andres hab, und einer legt mir schliesslich n intaktes auf die Pritsche! Noch dazu bunt gemustert! Hat man da noch Töne?! Eine geradezu historische Niederlage, wo (Neu-)Besinnung, Kraft und Entschlossenheit von Nöten wäre, und meine Genossen - nichts als Modefaxen im Kopf!! Und mit sowas soll ich die Revolution machen!!!  

Niedergeschlagen, aber trotzdem nach wie vor voller Verständnis und Mitgefühl mit den Geschundenen dieser Erde (und kaum verbittert) zieh ich mich in meine spartanisch ausgerüstete Zelle (ohne Fernseher!) zurück und schreib ne weitere kleine Beschwerde zu Handen Justizvollzug.   

Irgendwie muss ich jetzt einfach versuchen, diesen Tiefpunkt zu überwinden. Inzwischen ist's 00:21 Uhr, und eben rollt noch eine MD-11 an den Start. Recht geschieht's euch!  

Glaub, ich geh doch wieder zu den Faschos, äh Sch(w)eizern zurück.  

Nix für ungut.  
  
                                  Cheers 

 
 
 
Fortsetzung ...
 

No.  6'666'667
 
 
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