" D e m o k r a t i e "        d e r    w o h l    g e l u n g e n s t e    B e t r u g    d e r    M e n s c h h e i t s g e s c h i c h t e    . . .
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Die Kraten gegen den Berg

Eine Resultatsübersicht


An einem Frühlingstag mitten im Zweiten Weltkrieg bin ich in einem kleinen Bauernkaff aus dem Bauch meiner Mutter auf das Territorium der helvetischen Plutokratie [= Diktatur der Reichen] gepurzelt.

*

Mein Grossvater väterlicherseits war Schulmeister, mein Grossvater mütterlicherseits war Schulmeister, mein Vater war Schulmeister, meine Mutter war Schulmeisterin. Meine Erzeuger wohnten im Schulhaus des Kaffs. Ich bin vom ersten Tag an in die Schule gegangen.

1 : 0

Ein Vierteljahrhundert bin ich als Untertan dieser Kratie durch alle ihre Erziehungsanstalten geschleust worden. Die zweite nannte sich Kindergarten. Ich wundere mich noch heute, warum nicht alle diesen Namen trugen.


1 : 0

"Jetzt ist es genug", sagte ich mir, legte eine einjährige Pause ein und entwickelte einen ersten Grundsatz: Meine Nase unverfroren in alles hineinzustecken.

0 : 1

Als Taxichauffeur karrte ich vom Pickfeinen bis zum Stinkbesoffenen jede Sorte Mensch in der Gegend herum. Als Versicherungsheini und als Marktforscher studierte ich die Gedärme der Kraten. In einem "interdisziplinären Nachdiplomkurs" liess ich mir alle ihre "Weisheiten" verzapfen. Ein Feldeinsatz in Afrika bot mir Gelegenheit, das Saugen ihrer Tentakeln aus nächster Nähe zu verfolgen. Als Gerichtsschreiberling beobachtete ich das Funktionieren ihrer Handlanger und drang in die Organisationsstruktur des gesamten Systems ein. Ich wusste nun, dass ich in einem Land lebte, in welchem alle Gesetze zu Nutzen und Frommen der Kraten und folglich gegen mich waren. Hier zu leben bedeutete harte Knochenarbeit.

 


1 : 0

"Jedes Herrschaftssystem rinnt wie eine Zaine, man muss nur die Rinnen kennen", lautete meine nächste Devise. Ich begann, die "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" predigenden und Wein saufenden Witzbolde an ihre eigenen Ansprüche zu nageln und trieb in einem ersten Testlauf die Taxiverordnung der helvetischen Finanzmetropole, welche zwei Klassen und damit eine Ungleichheit schuf, durch alle Instanzen. Meine Beschwerde wurde vom höchsten Gericht abgeschmettert.



1 : 0

Wenig später wurde das Zweiklassensystem im Taxigewerbe aufgehoben. Meine Saat war aufgegangen.

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"Gib mir einen festen Punkt und ich hebe Dir die Welt aus den Fugen". Das Burgtor der helvetischen Plutokratie hängt in zwei mächtigen Angeln: Der Strafjustiz und der Zwangspsychiatrie. Wer nach ihrem Golde gräbt oder sich als Erfolgsratensteigerungsgehilfe verweigert, lassen die Kraten einlochen. Es war klar, wo ich meinen Hebel anzusetzen hatte. Ich musste Verteidiger von Straf- und psychiatrisch Verfolgten werden. Als ich mich um das entsprechende Patent bewarb, spürten die Statthalter der Herren bereits, dass da ein Unbequemer aufgetaucht war. Mein Praktikum während meiner Anstaltszeit könne nicht angerechnet werden, schoben sie vor und verweigerten mir die Zulassung zur Prüfung. Auch mit meiner zweiten Beschwerde erlitt ich eine Abfuhr beim obersten Gericht.

1 : 0

Gleichwohl bin ich Anwalt geworden.

0 : 1

Ich wurde Mitbegründer des Zürcher Anwaltskollektivs und Gründer des Vereins PSYCHEX. Zwei Jahrzehnte lang habe ich als Klagemauer für die Gebeutelten der helvetischen Plutokratie gewaltet. über 7000 Menschen habe ich angehört. Ich bin zu einem der bestinformierten Männer über die Schattenseiten dieses Landes geworden.

 

0 : 1

Kaum hatten sich die Tore das Anwaltskollektivs geöffnet, brummten die hiesigen Anwaltswächter meinen KollegInnen und mir saftige Bussen auf.

1 : 0

Vom Bundesgericht wurden sie wieder aufgehoben.

0 : 1

Mit anderen Kollegen zusammen veröffentlichte ich Hungerstreikerklärungen von Gefangenen. Die Anwaltswächter verurteilten uns und das Bundesgericht bestätigte das Urteil.

 

2 : 0

In wiederum neuer Besetzung verteidigten wir im Kanton Bern zwei Staatsfeinde. Deren Haftregime prangerten wir als Folter an. Die Berner entzogen uns das Patent auf Lebenszeit, das Bundesgericht hob den Entscheid auf, worauf die Berner ein einjähriges Berufsverbot verhängten. Die Zürcher zogen mit einem viermonatigen Verbot nach. Unsere Beschwerde dagegen wurde abgewiesen.

 

4 : 1

In der Schweiz sind die Strafverfolgten, statt von einem Richter, vom Ankläger eingelocht worden. Stur behaupteten die Zuständigen, der Ankläger sei auch ein Richter. Der Europ. Gerichtshof für Menschenrechte, vor welchen ich einen solchen Fall zog, teilte diesen Standpunkt.

1 : 0

Unverdrossen wandte ich mich - trotz einer statistischen Erfolgsquote von ca. 3 Promille - mit dem gleichen Sachverhalt erneut an den Gerichtshof. Diesmal hiess er die Beschwerde gut.

0 : 1

Ein Ankläger wollte meinen Brief an einen Untersuchungshäftling, in welchem ich ihn über das Aussageverweigerungsrecht aufgeklärt hatte, nicht weiterleiten. Ein Vertreter des Bundesrates und ein Bundesrichter verteidigten in Strassburg die Haltung der Schweiz. Der Gerichtshof stellte fest, dass mein Menschenrecht auf Briefverkehr verletzt worden war.

0 : 1

Die Chance für die Zulassung einer Beschwerde durch die Europ. Menschenrechtskommission beträgt weniger als 1 %. Die Hälfte meiner insgesamt 6 Beschwerden ist zugelassen worden.

3 : 3

Nach zehnjähriger Praxis habe ich mich entschieden, keine Fälle mehr nach Strassburg zu ziehen. Statt dessen sprach ich offen von Betrug. Die drei gutgeheissenen von eintausend Beschwerden werden an die grosse Glocke gehängt, sodass männiglich meint, die Menschenrechte würden in Europa gelten. Würden indessen die 997 nichtbehandelten oder zurückgewiesenen Beschwerden mit gleichem Tamtam, eine nach der andern, breitgeschlagen, würden den Untertanen sehr schnell die Augen aufgehen, wie himmeltraurig es um ihre Menschenrechte bestellt ist. Meinen Entscheid buche ich als Erfolg ab, weil er mich aus einer Sackgasse befreite.




0 : 1

In einem Plädoyer habe ich einem Bezirksanwalt vorgeworfen, er würde, weil er als Ankläger und Haftrichter in einer Person amte, von Berufs wegen ein Verbrechen nach dem andern gegen den Art. 5 Ziff. 3 EMRK begehen. Die Anwaltswächter büssten mich deswegen.


1 : 0

Von den rund 300 Strafverfolgten, die ich verteidigt habe, musste rund die Hälfte in den Knast, während der andern auf einem Fetzen Papier beschieden worden ist, dass sie bedingt bestraft, mit einer ambulanten Massnahme oder einem Freispruch bedacht worden sei.


150 : 150

Von den rund einhundert von mir persönlich verteidigten Zwangspsychiatrisierten wurden lediglich fünf auf Anhieb nicht entlassen. Einen besuchte ich nacheinander mit sechs Journalisten in der Anstalt. Nach dem Brief eines Chefredaktors an den Direktor öffnete sich das Tor. Beim zweiten reichte ich anderntags flugs ein neues Gesuch ein. Nach einer Woche war er frei. Eine fatale Erfolgsquote.



3 : 97

Die Reflexwirkungen meiner Berserkerei waren beachtlich. Das zuständige kantonale Gericht bestand aus zwei Psychiatern und einem Richter. Jeweils einer dieser Psychiater pflegte das Opfer in der Anstalt zu besuchen und einen Bericht zu erstatten, welcher bei den beiden übrigen Mitgliedern des Gerichts zirkulierte. Von rund 250 jährlichen Entlassungsgesuchen wurden im Schnitt der ersten 10 Jahre ziemlich genau läppische zehn gutgeheissen. Ich verlangte die Anhörung der Betroffenen durch alle drei Mitglieder des Gerichts. Eine erste Beschwerde wurde vom Bundesgericht gebodigt. Es folgte die zweite. Sie wurde gutgeheissen. Als bei der nächsten Anhörung wiederum nur der Psychiater auftauchte, schickte ich ihn nach Hause. Das Gericht hielt an seiner Praxis fest und liess meine Klientin weiter in der Anstalt schmoren. Es brauchte vier Berufungen, bis sich der Regierungsrat des Kantons Zürich endlich bequemte, die Verfahrensordnung zu ändern. Im ersten Halbjahr nach der Revision wurden 42, im darauffolgenden Jahr 110 Zwangspsychiatrisierte über das Gericht freigelassen.

 

 

 


0 : 1

Eines schönen Tages fahre ich mit meinem Velo durch eine Einbahnstrasse. Zwei Hüter des Gesetzes stoppen mich und schleppen mich, wiewohl ich das Bussgeld offeriere, auf den Polizeiposten. "Ich werfe Ihnen vor, durch eine Einbahnstrasse gefahren zu sein", hält mir der Wortführer vor, "was sagen Sie dazu"? "Ich mache von meinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern". "Das gilt hier nicht", ist sein Bescheid. Ich beharre auf meiner Weigerung. Eine Zeitlang geht das so hin und her. Der Postenchef mischt sich ein und rät seinem Kollegen, das, was er gesehen habe und meine Antworten in seinem Rapport zu notieren. "So ist es korrekt", werfe ich ein. "Setzen Sie sich auf die Bank dort", befiehlt mir der Wütende barsch. "Es gibt keine Vorschrift, wonach ich mich zu setzen habe. Ich ziehe es vor, stehen zu bleiben". Der Polizist platzt. Er packt mich und bugsiert mich in eine Arrestzelle. Nach einer halben Stunde trete ich wieder aus dem Posten. Anderntags erstatte ich Anzeige wegen Freiheitsberaubung. Drei Monate später wird sie den beiden Hütern vorgehalten. Sie kontern mit einer Gegenanzeige: Ich - unbewaffnet - hätte sie - mit je einer Knarre im Halfter - durch schwere Drohung in Angst und Schrecken versetzt. Das Verfahren gegen die beiden wird eingestellt, ich werde schuldig gesprochen. Berufung, kantonale Nichtigkeitsbeschwerde und staatsrechtliche Beschwerde werden abgewiesen. Die eidg. Nichtigkeitsbeschwerde wird nie behandelt. Ein Eintrag ins Vorstrafenregister unterbleibt. Die Anwaltswächter brummen mir ein einmonatiges Berufsverbot auf.

 

 

 

 



6 : 1

Der "Rechtsweg" ist eine Falle. Bekanntlich pflegen Krähen einander die Augen nicht auszuhacken. Wohldosiert werden in diesem Lande so viele Beschwerden gutgeheissen, wie es gerade braucht, um sie propagandistisch auszuschlachten. Gleichzeitig wird damit auch die Hierarchie unter den Instanzen selbst hergestellt. Diesen Umstand habe ich weidlich ausgenützt. Wann immer mir ein Urteil einer unteren Instanz nicht gepasst hat, habe ich es weitergezogen. Indem die obere der unteren eins aufs Dach gegeben hat, ist meine KlientIn durch die Maschen und Rinnen geschlüpft. Unabdingbare Voraussetzung, die Beschwerden fluten zu lassen, ist freilich die vollkommene Respektlosigkeit gegenüber allen Handlangern der Plutokraten. Das Problem hat zudem durchaus eine mathematische Komponente. Generelle Erfolgsquoten vor erster Instanz von 20, zweiter 15, dritter 10 und vierter von 5 % summieren sich bereits zu 50 Prozent. Von den rund hundert von mir an die vierte Instanz gezogenen Beschwerden, habe ich ein knappes Drittel gewonnen. Ich spürte, dass zuviele Erfolge meiner Seele schadeten. Im Idealfall sollten sich in den Sachen meiner KlientInnen und in meinen eigenen Erfolg und Misserfolg ungefähr die Waage halten. Mit Vorbedacht habe ich daher zwar verlorene, jedoch aussichtsreiche Prozesse häufig nicht mehr weitergezogen und schliesslich auch die vierte Instanz ganz aus meinem Repertoire gestrichen.

 

 

 

50 : 50



Eines Tages verteidige ich, wie üblich lausig gekleidet, einen geschniegelten Angeklagten im Berufungsverfahren vor Obergericht. Die Debatten ziehen sich in die Mittagszeit hinein, die Polizeieskorte wird abgelöst. Zwei neue Polizisten verfolgen von den Zuschauerrängen aus das Geschehen. Mein Klient hält das Schlusswort, das Obergericht berät öffentlich das Urteil, was in der Regel heisst, dass im stillen Kämmerlein vorbereitete schriftliche Referate heruntergeplappert werden. Mein Klient verliert den Prozess. Die Verhandlung wird geschlossen. Ich packe meine Mappe ein. Die beiden Polizisten decken mich hautnah ab, während mein Klient erhobenen Hauptes zum Saal hinausschreitet. "Nid dä, der ander döt", schreit der Präsident. Die Polizisten lassen von mir ab, wetzen hinter meinem Klienten her und können ihn knapp vor dem Portal in Ketten legen. Kaum auszudenken, was geschehen wäre, wenn der Präsident nicht geschrien hätte.

 

 

 
0 : 0

 

In einem Pamphlet mit dem Titel "Nieder mit der Demokratie" habe ich irgendwann mal noch rasch meinen eigenen Freistaat proklamiert. Mein Territorium ist von der Grösse einer Schuhsohle. Ständig wandeln sich die Grenzen meines Reiches.


0 : 1

Obwohl meine Tätigkeit als Verteidiger psychiatrisch Verfolgter nicht unter das Anwaltsmonopol fällt, wurde ich, weil ich als Sekretär des Vereins PSYCHEX zwei Klienten vertreten hatte, von den Anwaltswächtern mit dem Höchstbetrag gebüsst. Zusätzlich drohten sie mir ein Berufsverbot an, falls ich erneut gegen das Anwaltsgesetz verstosse.

 

1 : 0

Der nächste Fall kam. Es wurde mir vorgeworfen, ich sei in einem Haftfall in die Ferien abgehauen, ohne eine Stellvertretung organisiert zu haben. Nicht nur war dieser Vorwurf falsch, sondern obendrein hatte ich die Bestellung eines andern Verteidigers beantragt. Ich hätte diesen Antrag an die falsche Instanz gerichtet, blieb schliesslich noch übrig, wiewohl das Gerichtsverfassungsgesetz vorschreibt, dass an die falsche Instanz gerichtete Eingaben von Amtes wegen an die richtige weiterzuleiten sind. Wiederum verdonnerten mich die Anwaltswächter zur Höchstbusse und drohten mir ultimativ erneut, das nächste Mal würde unweigerlich meine Zulassung überprüft.

 

 


1 : 0

Auch dieser Fall kam. Ich verteidigte zwei alte, über achtzigjährige Schwestern, die während 45 Jahren in symbiotischer Gemeinschaft zusammengelebt hatten. Eines schönen Tages wurde die ältere gewaltsam aus der gemeinsamen Wohnung abtransportiert, in ein Spital gesperrt und so das Geschwisterpaar brutal getrennt. Im Namen beider Klientinnen stellte ich beim zuständigen Gericht das Entlassungsgesuch. Es wurde gutgeheissen. In einer Beschwerde an ein zweites Gericht verlangte ich die Feststellung mehrerer Menschenrechtsverletzungen. Das Gericht wusste, dass ich vom ersten Gericht als gemeinsamer Verteidiger akzeptiert worden war. Es fand indessen, die Tatsache, dass die alten Damen eine so lange Zeit zusammengelebt hatten, lasse auf einen "krassen Interessenkonflikt" (sic!) zwischen den beiden schliessen, weshalb ich nur eine hätte vertreten dürfen. Die Anwaltswächter, die geradezu nach dem neuen Fall lechzten, schützten diesen Standpunkt und verhängten ein lebenslängliches Berufsverbot über mich. Um die Justiz vollkommener Lächerlichkeit preiszugeben, zog ich die Sache ausnahmsweise mit einer Beschwerde doch noch einmal ans Bundesgericht, welches das Verbot aufhob. Unbekümmert doppelten die Wächter mit einem mehrjährigen Verbot nach. Da ich den Rechtsweg ohnehin als untauglich abgehakt und überdies keine Lust hatte, mein Leben mit weiteren Beschwerden zu verdriessen, liess ich das Verbot auf mir hocken.

2 : 1

Als Sekretär des Vereins Psychex boxte ich serienweise Zwangspsychiatrisierte aus den Anstalten. In seltenen Fällen trat ich in der ganzen Schweiz und im Kanton Zürich als Verteidiger auch vor Gericht auf, da - wie gesagt - in den entsprechenden Verfahren das Anwaltsmonopol nicht gilt.

0 : 1

Als kleine Lockerungsübung für Zwischenhinein lancierte ich erfolglos eine Initiative zur Abschaffung der Anwaltswächter.

1 : 0

Um die Jahrtausendwende fand ich, der Mohr habe seine Schuldigkeit getan, der Mohr könne gehen. Ich zog mich in ein kleines Häuschen mit einem grossen Garten mitten in einer urtümlichen Landschaft irgendwo zwischen Atlantik und dem schwarzen Meer zurück.

0 : 1

In den Wintermonaten reiste ich als Wanderprediger durch Plutokratien und warb für ein Zinsverbot. Trotz wilder Gegenwehr kam die Initiative zustande. Sie nahm sogar - wider Erwarten - die Abstimmungshürde.

0 : 1

Am andern Tag fuhren Panzer der Schweizerarmee vor dem Bundeshaus, dem -gericht und sämtlichen kantonalen Regierungsgebäuden auf. Die restlichen Panzer patrouillierten auf den Strassen. Es wurden ein paar Tramschienen verkrümmt.

1 : 0

Noch einen Tag später legten die Plutokraten ein vollumfängliches Geständnis ab. Jawohl, es sei richtig, dass sie das Volk während zweier Jahrhunderten betrogen hätten. Die Demokratie habe nur auf dem Blatt Papier gegolten. In Wirklichkeit hätten sie mit den seit Adam und Eva gehorteten gigantischen Vermögen die Welt regiert. Das Volk habe lediglich über die Kanalisation und die restliche Infrastruktur und damit buchstäblich über seine eigene Scheisse geherrscht.

0 : 1

Flugs wurde die längst geschmiedete plutokratische Verfassung aus der Schublade gezogen. Welch ein Fortschritt! Endlich stimmten Verfassungstheorie und -wirklichkeit überein. Das Volk jubelte, weil es fortan von diesem ewigen Gejaule, es sei der Souverän, verschont blieb.

0 : 1

An einem Herbsttag mitten im Dritten Weltkrieg fuhr ich auf einem Segelboot übers Meer, geriet in einen Orkan und erlitt Schiffbruch. Ich weiss nicht mehr genau, ob ich jämmerlich ersoffen bin oder ob ich mich auf diese Insel mit der kleinen Fischerhütte gerettet und dort das Ende meiner Tage abgewartet habe.

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anno 1994

 

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Die erstaunlichen Parallelen

zwischen

Inquisition und Zwangspsychiatrie



Die Inquisition hat die Menschen eingesperrt. Auch die Zwangspsychiatrie bedient sich dieses Mittels. In den Kerkern der Inquisition sind die Menschen gefoltert worden. Gleiches geschieht in den psychiatrischen Anstalten. Unterschiede bestehen lediglich in den Methoden. Die Inquisition pflegte die rohe Folter. Die Zwangspsychiatrie operierte früher mit Lobotomien, Sterilisationen, Elektroschocks, Zwangsjacken, Deckelbädern etc.. Heute werden die Eingesperrten gezwungen, als Medikamente getarnte heimtückische Nervengifte zu schlucken. Wenn sich jemand weigert, werden Aufgebote von bis zu einem Dutzend Pflegern zusammengetrommelt. Das Opfer wird gewaltsam gepackt und aufs Bett gefesselt. Alsbald werden ihm die Substanzen mittels einer Injektionsnadel in den Körper gepumpt.

Gemeinsam war und ist beiden Institutionen das sog. Geständnis. Die Opfer der Inquisition wurden hochnotpeinlichen Verhören unterworfen, bis sie gestanden, Ketzer zu sein. Die Opfer der Zwangspsychiatrie müssen gestehen, geisteskrank zu sein. Es findet eine eigentliche Gehirnwäsche statt. Meist schon bei der Einweisung, jedenfalls aber in der Anstalt wird ihnen von den Ärzten eröffnet, sie seien krank. Ihr spontaner Protest wird mit der Feststellung quittiert, sie seien krankheitsuneinsichtig. Die Krankheitsuneinsichtigkeit wiederum wird als wesentliches Merkmal einer Geisteskrankheit bewertet. Eine teuflische Falle. Den Opfern wird klargemacht, eine Entlassung komme erst in Frage, wenn sie einsehen würden, krank zu sein. Das zwingt sie, in wochen-, monate- und manchmal sogar jahrelangen Prozessen ihr ganzes Bewusstsein umzukrempeln und schliesslich das verlangte Geständnis abzulegen. Ein Lippenbekenntnis genügt keineswegs und wird von den Ärzten nicht akzeptiert. Um die Krankheitseinsicht zu fixieren, wird den Entlassenen häufig die Pflicht auferlegt, sich der Kontrolle eines Arztes zu unterziehen und weiterhin die "Medikamente" einzunehmen. Im Unterlassungsfall wird mit erneuter Einweisung in die Anstalt gedroht. Die Masse der Zwangspsychiatrisierten verwandelt sich so in läppische, verängstigte, scheue, devote, jedenfalls aber fürs ganze Leben gezeichnete Menschen. Nur wenigen gelingt es, standhaft zu bleiben, mit zum bösen Spiel gemachter guter Miene die Ärzte zu übertölpeln und sich durchzusetzen. Gross ist die Zahl derjenigen, welche die Prozeduren völlig brechen. Sie werden als "Chronische" abgebucht und verbringen praktisch das ganze Leben hinter den Mauern.

Abgeschafft ist - im Gegensatz zur Inquisition - der Scheiterhaufen. Allerdings gibt es bedeutend mehr Tote in den psychiatrischen Anstalten, als früher Ketzer verbrannt worden sind. Die Selbstmordrate in den Anstalten und nach solchen Aufenthalten ist bis zu 100-fach höher als bei der "Normal"-Bevölkerung. Die demütigenden Prozeduren - überfallsmässiger Abtransport in die Anstalt, im Falle des Widerstands mit Polizeigewalt und in Handschellen; die Zwangsmedikation, vorab das "Herunterspritzen" und die Drohungen damit; die Suspendierung praktisch sämtlicher Menschenrechte - lassen den Tod häufig als das kleinere übel erscheinen. Die Behandlungen mit den Nervengiften enden nicht selten tödlich. Die heimliche statt öffentliche Beseitigung von Menschen dürfte mit dem allgemeinen Stilwandel zusammenhängen, welchen die französische Revolution eingeleitet und die russische abgeschlossen hat: Die gekrönten Häupter, die sich bis dahin mit grossem Pomp zur Schau gestellt hatten, durften ungestraft einen Kopf kürzer gemacht werden. Das hat die gesamte Herrscherclique bewogen, in den Untergrund zu tauchen und von dort aus ihre Imperien - als Demokratien vermarktete Plutokratien - um die Welt zu spannen. Diskretion ist zu einem ihrer obersten Gebote geworden. Fanale wie öffentliches Verbrennen, Enthaupten oder Erhängen werden vermieden. Die heute bevorzugte Methode besteht darin, die das Herrschaftssystem störenden 'Elemente' in hermetisch abgeschotteten Massenanstalten aufzubewahren und die anfallenden Toten unauffällig zu entsorgen.

Inquisition und Zwangspsychiatrie kannten bzw. kennen beide die sog. Verdachtsstrafe. Sie bedeutet, dass es keiner Beweise, sondern des blossen Verdachts der Ketzerei bzw. der Geisteskrankheit bedurfte und bedarf, um die vorgesehenen Sanktionen auszulösen. Eine Denunziation rief die Organe der Inquisition auf den Plan. Heute genügt ein Anruf bei einem Psychiater, um einen lästigen Menschen loszuwerden.

Gemeinsam haben Inquisition und Zwangspsychiatrie die absolute Geheimhaltung. Die Folterknechte von damals mussten heilige Eide schwören, kein Sterbenswörtchen über die Vorgänge verlauten zu lassen. Das Anstaltspersonal hat mit Strafverfolgung rechnen, falls es Geheimnisse ausplaudert. Die Gerichtsverfahren waren und sind geheim.

Damals wie heute drohten bzw. drohen Verteidigern von Ketzern bzw. von Geisteskranken Berufsverbote.

Ketzer und Geisteskranke wurden bzw. werden mit den gleichen Euphemismen bedacht. "Wir wollen Dir ja nur zum rechten Glauben verhelfen und so Deine arme Seele vor dem Teufel und ewiger Verdammnis retten", haben die Ketzer von den Inquisitoren zu hören bekommen. "Wir wollen für Dich im geschützten Rahmen einer Klinik sorgen und Dich gesund machen, damit Du wieder ein wohlfunktionierendes Mitglied unserer Gesellschaft werden kannst", flöten die Ärzte den Geisteskranken ins Ohr.

Die Zwangspsychiatrie geht sogar noch einen Schritt weiter, als die Inquisition. Um die letzte Jahrhundertwende herum ist das Prinzip der Eugenik entwickelt worden. "Geisteskranke" dürfen sich nicht mehr fortpflanzen. Wer in einer Anstalt landet, kann faktisch keine Kinder zeugen. Die aufgezwungenen Gifte machen impotent. Psychiatrische Diagnosen stigmatisieren und behindern die Etikettierten massiv bei der Partnersuche.

Im Urteil der Zeit waren die Inquisitoren und ihre Auftraggeber hochgeachtete Persönlichkeiten. Das gleiche gilt von den Organen der Zwangspsychiatrie. Erst im Urteil der Geschichte ist die Inquisition als das infame Herrschaftsinstrument demaskiert worden, welches es gewesen ist. Noch ist die Zwangspsychiatrie Gegenwart. Ich bin indessen zuversichtlich, dass die Geschichte mit ihr gleich wie mit der Inquisition verfahren wird. Keine Epoche hat bis jetzt ewig gedauert. Noch jede ist früher oder später zusammengekracht. Wer das Knistern im Gebälk der Zwangspsychiatrie nicht hört, das Wackeln von Dach und Fundamenten der hiesigen und übrigen westlichen Plutokratien nicht sieht, ist taub und blind.

21. September 1994

 

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Es lebe meine eigene Souveränität!



Die Tarnkappe


Es ist einfühlbar, dass jene Sorte Mensch, welche die Welt beherrscht, immer ausgeklügeltere Formen der Macht ausheckt, um sie sich zu bewahren. Die Fiaski der Vergangenheit sollen sich nicht wiederholen. Das früher übliche Schicksal der Könige lädt kaum mehr ein, nach der Krone zu greifen. Sind Ihro Majestät nicht meuchlings erdolcht, im Kampfe erschlagen oder auf dem Schafott geköpft worden, lag ihr die ständige Angst im Nacken, irgendein dahergelaufener Emporkömmling werde sie vom Throne jagen. Die Burgen mochten noch so fest, die Wächter und Kanonen noch so zahlreich, die den Unbotmässigen angedrohten Sanktionen noch so abschreckend sein, die Herrschaft blieb ewig wacklig. Um ihre Haut zu retten, musste nun endlich ein System her, welches ihnen Macht und Leben zugleich garantierte. Warum denn, werden sie sich gefragt haben, sollen wir uns als lebendige Zielscheiben präsentieren? Machen wir uns doch unsichtbar!

über die Erfindung der Demokratie ist ihnen dies auf scheinbar geniale Weise gelungen: Mit grossem Pomp haben sie ihre Untertanen auf den Königsstuhl gesetzt, während sie sich selbst diskret verzogen haben. Die Meidung der Öffentlichkeit wurde fortan eines ihrer obersten Prinzipien.

Der frischgebackene "Souverän" muss sich wie der Hans im Glück vorgekommen sein! Seit Urzeiten hatte das gebeutelte Volk nichts als Mühsal zu erdulden. Nicht nur kämpfte es um seine eigene karge Existenz, nein! - auch die Herren waren mitzufüttern.

Wer liesse sich da zweimal bitten, die gefrässigen Schmarotzer loszuwerden?


Die Verwirrung

Jetzt sind wir die Herren, jubelte das Volk. Wir wählen unser Parlament, die Regierung und die Richter.

Und es wählte munter drauflos.

Wir sind frei! Das Leben wird besser!

Die Jahre zogen ins Land und das Volk fühlte sich erbärmlich.

Begann es sich aufzuregen, stand prompt in der Zeitung, den Menschen in Russland und anderswo ergehe es himmeltraurig. Das Volk fand ein paar Augenblicke lang Trost im Elend der anderen. Sobald die Zweifel weiternagten, las es die Frage, ja wollt Ihr denn Zustände wie in Russland? Da es - wie gesagt aus der Zeitung - schon wusste, dass die Zustände dort schrecklich seien, lehnte es dankend ab. Auch ins finstere Mittelalter wolle es nicht zurückfallen, beteuerte es, wenn die Geschichtsprofessoren über die damalige Barbarei zu berichten pflegten. Wiewohl das Volk weder in Russland selbst nachgeschaut, geschweige denn im Mittelalter gelebt hatte, glaubte es treuherzig allen Autoritäten.

Wir besitzen die idealste Staatsform, welche man sich überhaupt vorstellen kann, die Demokratie! Warum bloss herrscht trotzdem dieses tägliche Chaos, dieser unsägliche Stress? Was - zum Teufel - ist denn eigentlich los?!

Die Antwort ist verblüffend einfach.


Der Betrug

Das Szepter ist dem Volk ohne die Reichskasse übergeben worden! Diese - gefüllt mit all den unermesslichen Schätzen der Gegenwart und der Vergangenheit - haben die Mächtigen für sich behalten. Das Volk blieb arm wie eine Kirchenmaus!

Ihre Vermögen haben die Herren in die "sociétés anonymes" (SA), die Aktiengesellschaften eingebracht. Dreist haben sie sich in den Verfassungen garantieren lassen, dass ihr gesamter Besitz unantastbar sei und sie damit frei schalten und walten können.

Wie man weiss, haben sie davon reichlich Gebrauch gemacht und überall dort, wo offiziell und auf dem Papier die Demokratie steht, eine einzige Maschinenfabrik samt allem Drum und Dran errichten lassen. Gebaut hat sie das Volk. Und wer bedient sie? Das Volk!

Eroberungskriege sind nicht mehr nötig. Im Auftrag der überall und nirgendwo residierenden Herren beliefern die "demokratischen" Völker die gesamte Welt mit massenhaft produziertem Schund und Schutt. Das Untertanenverhältnis der Käufer stellt sich über den Preis der Ware her: Bezahlen kann nur, wer sich zuvor mit seiner Arbeitskraft den Herren verkauft hat.


Miserere nobis

Die Babylonier, ägypter, Griechen, Römer, all die Kaiser im Süden, Westen, Norden und Osten haben seit jeher die Völker in ihre Gewalt genommen. Ein scharfer Blick in die heutige Zeit belegt, dass - von den neuen  Namen der Systeme abgesehen - alles beim Alten geblieben ist. Die Herren von Amerika, Russland, China oder anderswo lassen sich von ihren Leibeigenen bedienen und sie beherrschen mit ihnen ihre Hemisphären.

Die Bilanz ist ernüchternd. Trotz heftigstem Bemüh'n sind bis heute alle Pröbeleien, die Volksherrschaft einzurichten, gescheitert. Wer wohl käme da noch auf den Gedanken, man solle doch jetzt endlich die Demokratie verwirklichen. Ganz offensichtlich verträgt sie sich nicht mit der Natur des Menschen: Ein paar Hammel wird es immer zwicken, die Herde anzuführen. Als Probe aufs Exempel mag die Schweiz dienen. Nach siebenhundert Jahren "Demokratie" tummeln sich dort lauter Plutokraten. Sie sind zu Meistern ihres Faches aufgestiegen. In ihren Pfoten halten sie nicht nur ihr eigenes, sondern sie verwalten auch noch die Blutgelder ihrer ausländischen Kollegen.


Nieder mit der Diktatur der Plutokraten!

Die Volksherrschaft erweist sich als Illusion. Knecht will auch niemand sein. Fallen folglich als Staatssysteme die Herrschaft aller und die Herrschaft Einzelner über die anderen ausser Betracht, bietet sich als ideale Form des Zusammenlebens die Herrschaft des Einzelnen ausschliesslich über sich selbst geradezu an.

Warum wohl bloss ist denn jetzt augenblicklich die Hölle los?

Es sind die amtierenden Herren, welche zetern und schreien: "Jetzt kommt doch da schon wieder einer, der uns die Anarchie andrehen will!"

Ihre helle Aufregung ist begreiflich. Seit jeher haben sie sich bedienen lassen. Sie haben es verlernt, eigenhändig die äcker zu bestellen und sich selbst zu ernähren. Gäbe es niemanden zu dominieren, keine Lakaien mehr, würden sie glatt verhungern!

Zum Wesen der Monarchie zählt die Dienerschaft. In der Demokratie, so wie sie sie dulden, ist das haargenau gleich. Die Anarchie jedoch, welche die Herrschaft über jeden andern ausschliesst, zwingt zur Selbständigkeit. Diese Eigenschaft fehlte den Monarchen. Auch ihren Nachfolgern, den heutigen Plutokraten, ist sie wesensfremd. Unfähig, für die eigene Existenz zu sorgen, müssen sie auf Gedeih und Verderb um den Erhalt jenes Systems kämpfen, welches sie füttert und ihnen all die übrigen Annehmlichkeiten verschafft, von welchen sie abhängig sind. Entsprechend wettern sie gegen alles, was ihre Herrschaft über die Menschen in Frage stellt. Es ist ihnen schon damals, als sie ihre "Demokratie" vermarktet haben, gelungen, die Anarchie als Schreckgespenst an die Wand zu malen, zum Schimpfwort werden zu lassen. Gegen die Demokratie hatte sie keine Chance. Heute, nachdem das Scheitern der Demokratie eindeutig feststeht, sieht die Sache schon ein bisschen anders aus.

Demokratie hat's nicht nur nie gegeben, sie ist auch theoretisch und praktisch ein Ding der Unmöglichkeit: Niemals nämlich können alle zugleich über ihre Bedürfnisse entscheiden. Man braucht sich bloss vorzustellen, jeder dieser paar Milliarden Menschen auf der Erde würde gleichzeitig seine aktuellen Wünsche äussern. Ein unvorstellbares Durcheinander wäre die Folge. Die Ewigkeit würde nicht ausreichen, um in Abstimmungsprozeduren alle Vorschläge einander gegenüberzustellen.

Realität ist - trotz demokratischer Verfassungen - die Herrschaft Einzelner über die andern. Auch dort, wo das Volk abstimmt, sind es jeweils nur einzelne, welche mit ihren Fragen und damit ihren Interessen durchdringen. Ein Gesetz entsteht ja nie gleichzeitig in den Köpfen aller, sondern es ist in seinem Ursprung die Ausgeburt eines einzigen Hirns. Sein Erfinder hebt sich mit einer typischen Eigenschaft vom Gros der Masse ab: In der anstehenden Auseinandersetzung verfügt er über die erforderliche Macht, sein Gesetz durchzupauken. Alle übrigen bleiben mit ihren Vorstellungen auf der Strecke. Die "Herrschaft" der Abgeschlagenen reduziert sich letztlich darauf, dem Einzigen zuzustimmen, um so für sich in Anspruch nehmen zu können, "wir sind auch dafür gewesen". Damit sitzen sie ganz hübsch in einer doppelten Falle: In der eigenen und in jener des Gesetzesschmiedes.


Wie sieht so eine Falle aus?

Pflücken wir aus dem Gesetzeswald irgendein Beispiel heraus: Das Schuldbetreibungsgesetz. Es besagt, dass ein "Gläubiger" - das ist einer, der von einem anderen Geld zugut hat - seinem zahlungsunwilligen "Schuldner" den Betreibungsbeamten ins Haus schicken und ihm das Geld oder geldwerte äquivalente nötigenfalls mit Gewalt wegnehmen kann.

Wie hinlänglich bekannt ist, besitzt nur eine verschwindend kleine Minderheit das "grosse Geld", während eine Mehrheit der Menschen dieser Minderheit Geld schuldet.

Wie nun um alles in der Welt kann eine Mehrheit so blöd sein, einem Gesetz zustimmen, welches sie verpflichtet, ein paar wenigen ihre enormen Schulden zu bezahlen?!

Ganz einfach. Die Geldherren haben das Schuldbetreibungsgesetz mit einem plumpen Trick in die Seele des Volkes geschmuggelt: "Wer Geld hat, braucht nicht zu arbeiten, sondern kann bequem von den Zinsen leben. Geld aber könnt Ihr alle besitzen. Leiht Ihr es aus und zahlt Euch der Schuldner weder Geld noch Zins, könnt Ihr ihn dazu zwingen. Voraussetzung ist allerdings, dass ihr gegen das vom Parlament beschlossene Schuldbetreibungsgesetz nicht das Referendum ergreift."

Die Augen des Volkes begannen hoffnungsfroh zu leuchten. Endlich bot sich die ersehnte Möglichkeit, dem Elend hienieden zu entrinnen. Wer hätte da noch gegen das Gesetz sein können?

Die Geldherren aber, die so redeten, waren sich nicht einen Augenblick lang im Unklaren darüber, dass die Masse nie Geld haben würde, - weil nämlich sie es schon besassen. Eine Absicht, das Geld unter das Volk zu streuen, bestand nie. Gegenteils wurde und wird es wie die Augäpfel gehütet. In Tresoren aus Beton und Stahl liegt es tief unter der Erde. Portionenweise wird es den Schuldnern als Kredite zur Verfügung gestellt. Bleibt einer mit der Zins- oder Rückzahlung im Verzug, ist da der famose Betreibungsbeamte, welcher dem Säumigen Beine macht. Das Schuldbetreibungsgesetz leistet den Geldherren ausgezeichnete Dienste. Es hat die Funktionen der Vögte samt ihren Landsknechten übernommen, welche ehedem den Zehnten einzutreiben hatten.

Das Ergebnis der kleinen Analyse liefert keine Gründe gegen die Anarchie, sondern deckt lediglich die höchst selbstsüchtigen Interessen der Plutokraten auf. Mit ihrer Geldmacht beherrschen sie die Menschen auf dieser Welt.

Stellt man einen Anarchisten und einen Plutokraten nebeneinander, schneidet jener entschieden besser ab als dieser. Das Paradebeispiel des Anarchisten ist der Bauer, der nur gerade zwischen seiner Hütte und seinem Stück Land hin- und herpendelt, seine eigene Quelle oder Zisterne besitzt, an keine Strasse oder elektrische Leitung angeschlossen ist und absolut keinen Handel betreibt. Der Prototyp des Plutokraten ist der Unternehmer, welcher die Hütte des Anarchisten niederreissen und auf seinen Wiesen und äckern eine Fabrik erstellen lässt, welche die Organisation und Infrastruktur einer ganzen Stadt und schliesslich der ganzen Welt bedingt.

Es ist klar, dass das ausser den Unternehmern und ihren profitierenden Lakaien eigentlich niemand will. Nieder also mit den Plutokraten. Damit wird der Weg frei, Unseren Freistaat, wie Wir ihn meinen, zu proklamieren.

Dann wollen wir mal.


Es lebe unsere eigene Souveränität!

In unserem Staat gibt es keine Könige und Untertanen, keine Herren und Knechte, keine Direktoren und Untergebenen, keine Chefs und Angestellten, kurz - keine über- und Unterordnungsverhältnisse. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er dieses Papier, welches sich Verfassung nennt, nicht kennt. Warum sich denn auch von einem solchen Fetzen in der unendlichen Vielfalt des Lebens einschränken lassen? Was gestern galt, mag schon heute überholt sein. Täglich hätten wir Papierchen aus- und einzureihen? Fällt uns nicht im Traume ein!

Unser Staatsgebiet ist von der Grösse einer Schuhsohle. Das verschont uns vom Neid unserer lieben Nachbarn. In der ganzen Menschheitsgeschichte ist kein einziger Krieg um ein so kleines Territorium überliefert.

Luftraum in seiner strategischen Bedeutung kennen wir nicht. Im Verlaufe unseres Lebens schwillt sein Volumen langsam an, um dann wieder zu schrumpfen und am Ende ganz zu verschwinden. Statt dessen beanspruchen wir für die Zeitspanne unseres Vermoderns einen Platz unter der Erde. All das macht uns ebenfalls niemand streitig.

Wie gross unser Staatsvolk ist, lässt sich anhand der Beschreibung unserer Grenzen nach der Seite und nach oben und unten leicht abschätzen. Wir brauchen keine Zähler, Statistiker oder Rechenmaschinen: Ein Finger genügt.

Bei einer solchen Unzahl Mensch sind die Chargen schnell verteilt. König ohne Knecht, Knecht ohne König, ein bisschen Narr, ein bisschen Wicht, ein bisschen von allem. Einen Finanzminister brauchen wir nicht. Wir arbeiten nicht mit Geld, sondern mit Rumpf, Kopf, Händen und Füssen.

Im Idealfall (auf die Realität werden wir noch zurückkommen) bauen wir uns eine Hütte, schwingen wir die Hacke und fertigen wir Kleider. Handel treiben wir prinzipiell keinen; denn da muss man bescheissen oder man wird beschissen.

Weil wir keinen Säbel besitzen, können wir damit auch nicht rasseln. Unser Heer ist genau einen Mann stark, dito unsere Polizeitruppe. Im Krieg werden wir entweder übersehen oder aber jede Armee zieht wieder ab, weil sie sich vollkommen lächerlich machen würde, uns anzugreifen. Unsere Schuhsohle reizt niemanden, zu verteidigen haben wir nichts. Die Drohung, unsere Frau würde vergewaltigt und unser Kind geschändet, beeindruckt uns nicht. Wer uns erobern will, muss keine Soldaten monatelang in den Kasernen schinden, um so ihre primitivsten Instinkte auf Weissglut zu steigern.

Unser Teilzeitminister für auswärtige Angelegenheiten kennt kein Protokoll. Die Begegnung mit Angehörigen fremder Staaten, seien sie gleich gross, wie der unsere oder grösser, wird von Fall zu Fall geregelt. Wer bei uns das Gastrecht erwirbt, hat auch einen Freund gewonnen.

Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, einen gewaltsamen Tod zu erleiden. Was kümmert's uns. Mit einem friedlichem Sterben erreichen wir die Ewigkeit jedenfalls nicht eher.


Die Realität

Wir haben zweifellos eine ziemlich abgefeimte Staatsräson. Auch wenn uns noch irgendwer als Bürger beanspruchen sollte, wäre mit uns jedenfalls kein Staat zu machen.

Wie wir so durch alle Stürme und Flauten des Lebens schaukeln, bleibt jedoch ziemlich unklar. Es tönt alles ein wenig nach Urwald, untauglich für das dritte Jahrtausend.

Die Praxis wollen wir mit ein paar biographischen Notizen erläutern.


Das Kaff

Tatsächlich sind wir nicht als Höhlenbewohner oder Pfahlbauer geboren worden. Das Licht der Welt haben wir mitten im zweiten Weltkrieg in einem Weiler erblickt, welcher in 47° nördlicher Breite und 8° östlicher Länge liegt.

Ohne unser damaliges oder zukünftiges Einverständnis in Betracht zu ziehen, wurden wir in eine Kirche geschleppt, mit Wasser bespritzt und obendrein in ein kommunales Register eingeschrieben. Wir galten fortan als römisch-katholischer Untertan der helvetischen Plutokratie. Was das heisst, sollten wir ein rundes Vierteljahrhundert lang zu spüren bekommen. Nachher haben wir uns zuerst innerlich und alsbald auch formell von den geistlichen und weltlichen Herren losgesagt. Da wir jetzt gerade etwas mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben, ist leicht auszurechnen, dass wir je die Hälfte unseres bisherigen Lebens unter fremder und eigener Herrschaft verbracht haben.

Der Grossvater mütterlicherseits war Schulmeister, der Grossvater väterlicherseits war Schulmeister, der Vater war Schulmeister, die Mutter war Schulmeisterin. Wir sind vom ersten Tag an in die Schule gegangen.

Oh Herrjemine!

In unserem Bauernkaff waren das halbe Dutzend Höfe und die Käserei um die Kirche gruppiert. Eine Wirtschaft rundete das Dorfbild ab. Eine Apotheke gab es nicht, sodass wohl der Wirt, der Pfaff und der Lehrer die traditionellen drei Mächte - Wirtschaft, Kirche und Staat - vertreten haben. Von Gewaltentrennung keine Spur. Wir wissen positiv, dass unser beamteter Vater eifrig sowohl die Kirche als auch die Wirtschaft frequentiert hat.

Unser Vaterhaus war - es ist nun einmal so - das Schulhaus, welches allein auf weiter Flur inmitten der Landschaft lag. Es diente gleichzeitig den Kindern unseres, wie auch eines etwas entfernter liegenden Weilers als Stätte, in welcher die Plutokraten auf Kosten des Volkes ihr zukünftiges Personal ausbilden liessen. Das haben wir damals allerdings noch nicht gewusst.

Unsere Mutter war für die Erst- bis Dritt-, der Vater für die Viert- bis Sechstklässler angeheuert worden. Die Mutter machte der Obrigkeit einen Strich durch die Rechnung, indem sie innert neun Jahren acht Kinder in die Welt warf. Sie wurde durch zwei Klosterfrauen ersetzt, welche ebenfalls im Schulhaus wohnten und eifrig darüber mitwachten, uns auf die herrschende Zucht und Ordnung festzunageln.

Im Beichtstuhl bat unsere Mutter, nachdem das Ausmass des Kindersegens sich abzuzeichnen begann, um die Erlaubnis, die gängigen empfängnisverhütenden Praktiken anwenden zu dürfen. Die Bitte wurde abgeschlagen.

Unsere ersten Eindrücke sind das graue, stinkende Gebäude, der Frühling mit den blühenden Wiesen und die Landstrasse. Dort rollte die grosse Welt vorbei: Pferdefuhrwerke und als einziges motorisiertes Gefährt der Lastwagen der "Papieri", so wurde die etwa fünf Kilometer entfernte Papierfabrik genannt. In periodischen Abständen rumpelte die mit einem Metallfass beladene Karre über die Naturstrasse. Aus einem gelöcherten Eisenrohr flossen die bei der Papierherstellung verwendeten Chemikalien. Zuvor war die Brühe in den Fluss neben der Fabrik gelenkt worden. Das beobachtete Fischsterben drängte die neue Entsorgungsart auf. Die Direktoren werden sich gedacht haben, sie sei weniger aufsehenerregend und erst noch dazu nütze, das Unkraut der Strasse zu vertilgen.

Wir haben uns in den sich bildenden Giftpfützen gewälzt. Es mag sein, dass die Bäder uns geholfen haben, das Joch der Herren abzuwerfen.

Unser Vater meisterte nicht nur die Schule, sondern verteidigte zur Freude seiner deswegen Schulfreiheit geniessenden Schüler auch sein Vaterland. Sein Klassenzimmer wurde im Jahr unserer Zeugung als Quartier polnischer Flüchtlinge benutzt. Unsere Mutter hat zeitlebens von einem polnischen Offizier geschwärmt, sodass eine doppelte Vaterschaft durchaus nicht auszuschliessen ist. Wir hätten folglich einen Register- und einen leiblichen Vater. Nach polnischem Recht wären wir vor unserer Unabhängigkeitserklärung Pole, nach schweizerischem Schweizer gewesen.

Da haben wir den Salat!

Die enthaltsamen Nonnen und unser zeugungs- und gebärfreudiges Elternpaar passten schlecht zusammen. Es kam zum letzten Krach, weil - ich weiss nicht, wer von uns acht der Täter gewesen ist - sich der Inhalt eines aus dem Fenster geschütteten Nachttopfes auf die Haube der einen ergoss.


Das Dorf

Unser Vater wurde ins Dorf mit der Papierfabrik versetzt. Früher hatte sich dort auch eine Milchverarbeitungsfabrik befunden, welche einem heute weltweit operierenden Lebensmittelmulti gehörte. Diese Information soll den geplagten Lesern ersparen, auf der Landkarte nachzumessen, wo denn unser Geburtsort liegt. 

Wir waren just reif, in den Kindergarten geschickt zu werden. Eines Tages fehlte das in der Garderobe aufgehängte Täschchen eines Kamerädleins. Unsere Hortnerin kündigte an, am nächsten Tag werde der Polizist kommen, um den Diebstahl zu untersuchen. An jenem Morgen verabschiedeten wir uns wie gewöhnlich von unserer Mutter. Auf halbem Weg zum Kindergarten versteckten wir uns in einer Buschhecke, warteten dort die Zeit der Heimkehr ab und taten zuhause, als ob wir den Hort besucht hätten. Wiewohl wir die Tat nicht begangen hatten, spornte bereits die Aussicht, dem Landjäger zu begegnen, zu diesem ungewöhnlichen Verhalten an. Die Drohungen mit ihm, dem Verrückten, der uns holen werde, der Hölle und weiss der Kuckuck, mit was noch allem, gehörten zur Tagesordnung und haben unsere zarte Kinderseele unausweichlich auf den Pfad höchster "Tugend" geleitet.

Die herrschende Moral verbat unserem Vater, die Ehe zu brechen. Also traf er sich heimlich mit seinen Mätressen. Um keinen Verdacht bei unserer Mutter zu wecken, nahm er auch uns mit. Wir wurden von überaus liebenswürdigen Frauen mit Bonbons, Lese- und Bastelzeug ausgestattet. Es blieb uns schleierhaft, warum die Damen nach den lebhaft geschätzten Freundlichkeiten derart unhöflich sein konnten, uns einfach sitzen zu lassen und mit unserem Vater für eine Weile zu verschwinden. Wir verstanden die Zusammenhänge auch dann noch nicht, als wir im Jünglingsalter von einem Richter über solche Einzelheiten ausgefragt worden sind.

Zum Prozess war es gekommen, weil unsere Mutter den Vater in flagranti im Bett einer anderen, jüngeren erwischt hatte und weil ihm in seiner antrainierten Phantasielosigkeit nichts Gescheiteres eingefallen ist, als auf Scheidung zu klagen. Die erste Instanz lehnte die Klage ab. Die zweite hiess sie gut. Die dritte liess die Sache an die zweite zurückgehen. Die zweite bestätigte ihr Urteil. Die dritte wies die Klage endgültig ab. Fünf Jahre hatte der Kampf gedauert, die Mutter den Prozess gewonnen und ihren Mann verloren.

Sie hat den Umstand weidlich ausgenutzt, dass die offizielle Moral ihr recht gab und unseren Vater ins Unrecht versetzte. Fleissig antichambrierte sie beim Pfarrer und beim Schulpräsidenten. Die Lage unseres Vaters wurde unmöglich. Er ertrug das tägliche Spiessrutenlaufen nicht mehr, trennte sich von unserer Mutter, quittierte den Dienst im Dorf, zügelte in die anonyme Grossstadt und schulmeisterte dort weiter. Für die Dauer des Prozesses wurde die Familie genau halbiert. Ein Bub und drei Mädchen wurden dem Vater, ein Mädchen zwei Buben und wir der Mutter zugeteilt. Sie zog ebenfalls fort und liess sich in einem Bergdorf als Lehrerin anstellen. Uns internierte sie in einer Klosterschule. 


Die Erziehungsanstalt

Um die Bestialität der deutschen Soldaten zu verstehen, muss man den Kasernendrill kennen, welchem sie unterworfen gewesen sind. Die schweizerische Plutokratie erklärt sich am besten mit der Beschreibung ihrer Erziehungsanstalten.

Das Knabeninternat, welches uns aufschluckt, ist auf einen achtjährigen Aufenthalt der Zöglinge ausgelegt. Wir treten im letzten Trimester in die zweite Klasse ein und geraten alsogleich in den Strudel einer unerhörten Büffelei. Es gibt kein Fach, welches nicht auf dem Programm steht. Eine Prüfung jagt die andere, am Ende eines jeden Schuljahres wird der gesamte Stoff noch einmal examiniert.

Der Tag beginnt im Sommer um halb sechs, im Winter um sechs mit dem alle Träume radikal verscheuchenden Schrillen der in den Schlafsälen und übrigen Teilen des Gebäudes innen und aussen installierten Glocken. Ein Aufseher sorgt dafür, dass die schlaftrunkene Bubenschar sich vollzählig an den Waschanlagen versammelt. Glocke. In der Kapelle wird die Messe gefeiert. Jeder kniet auf seinem Platz. Nach einigen Monaten beherrschen wir die Kunst, das quälende Schlafbedürfnis zu lindern, indem wir uns auf der oberen Leiste der Bank in die Ellenbogen stützen, den Körper nach vorne kippen und so wenigstens - zwar ungemütlich, aber immerhin - dösen können. In dieser Position warten wir sehnsuchtsvoll auf das das baldige Ende der Zeremonien ankündigende Sanctus. Der Tortur über ein Schwänzen zu entgehen, ist ausgeschlossen. Die im Rücken postierte Aufsicht kann leicht jede Lücke in den Reihen ausmachen. Glocke. Erstes halbstündiges Studium im gleichnamigen Saal. Glocke. Die Herde strömt zum Frühstück in die Esssäle. Glocke. Die erste Schulstunde beginnt. Glocke. Es folgen die zweite, Glocke, die Pause, Glocke, die dritte, Glocke, die vierte, in welcher wir die halben Sekunden zählen, Glocke, das Mittagessen, die Rekreation, Glocke, das zweite halbstündige Studium, Glocke, die erste Schulstunde des Nachmittags, Glocke, die zweite, Glocke, das Zvieri, Glocke, das "grosse", zweieinhalbstündige Studium, Glocke, kurze Pause, Glocke, Fortsetzung des Studiums, Glocke, Abendessen, Rekreation, Glocke, letztes halbstündiges Studium, Glocke, Abendandacht in der Kapelle, sofort anschliessend Waschsaal, Schlafsaal, 2115 Uhr Lichterlöschen. Am Dienstag und Donnerstag fallen die beiden Schulstunden am Nachmittag aus, ansonsten volles Programm. Sonntag ist schulfrei, zusätzliche lange Messe am Vormittag in der Klosterkirche mit Predigt, nachmittags geführter Spaziergang in Zweierkolonne und mit Mütze, grosses Studium.

Es war strengstens verboten, unerlaubt das Anstaltsareal zu verlassen oder gar Beziehungen zum anderen Geschlecht anzuknüpfen. Wer erwischt wurde, erhielt das consilium abeundi, den "Rat", die Schule zu verlassen.

Einmal im Jahr wurden Exerzitien abgehalten. Drei Tage lang striktes silentium, Verpflichtung, sich der Lektüre von "erbaulichen" Büchern zu widmen, welche aus einer speziellen Bibliothek abgegeben wurden, pausenlos Predigten und Vorträge von auswärtigen Referenten. Wir erinnern uns an Pfarrer S., der hemdsärmlig schilderte, wie er vor seiner "Berufung" zum Priester eine Metzgerlehre absolviert und die Anfechtungen, Unkeusches zu tun, überwunden hatte, indem er ein Bündel Brennnesseln über seinen nackten Körper schwang. Drastisch wurde uns so das Bewusstsein unserer eigenen Schuld und Sündhaftigkeit eingebläut. Aber nächtens nackt durch die Gänge zu streichen und draussen, besonders im Winter, nach Brennnesseln zu suchen, getrauten wir uns nicht. So sündigten wir halt weiter und erduldeten obendrein die Qualen und Leiden unserer schweren Schuld und Unvollkommenheit.


Bauernleben

Unsere sämtlichen Ferien, welche in der Anstalt vier Monate dauerten, haben wir bei Bauern verbracht. Das war noch knapp, bevor die Bauernhöfe in kleinere oder grössere Maschinenfabriken umfunktioniert worden waren. Immerhin hatte ein Bauer schon damals - neben seiner eigenen - vier Familien in der Stadt zu ernähren, damit diese ihr Potential ungeschmälert in den Dienst der Plutokraten stellen konnten. Wiewohl also auch wir viermal zu viel arbeiteten, als eigentlich nötig gewesen wäre, zählten wir in der Anstalt jeweils wie ein Schwerverbrecher die Monate, Wochen, Tage, Stunden und Minuten, bis wir aufs Land abhauen konnten.

Heute muss ein Schweizer Bauer, statistisch gesehen, die Mäuler von zwanzig Städtern stopfen. Die Konsumenten müssen allerdings mitnichten Schweizer sein. Die Plutokraten karren, schiffen und fliegen seine Produkte rund um die Kugel. Noch die sinnlosesten Transporte eignen sich, aus ihnen die Mittel für die Beherrschung der ganzen Welt zu schlagen. So fressen die Europäer, Amerikaner, Asiaten, Afrikaner und Australier Schweizerkäse und die Schweizer Käse aus Europa, Amerika, Asien, Afrika und Australien.


Die nächste Erziehungsanstalt!

Nach den Mönchen vollendeten Universitätsprofessoren der Jurisprudenz das Werk unserer Erziehung. über der Wilhelmtell-, Morgarten- und Sempachschweiz begannen die Sterne der Freiheit, der Demokratie und des Rechtsstaates zu leuchten.

In unserer Seele blieb es dunkel.

Wie schon die fünfzehn Jahre davor hatten wir - statt unseren natürlichen Bewegungstrieb auszutoben - auf Schulbänken zu kleben. Die Atmosphäre in den Hörsälen war unerträglich. Gegen die trocken servierte Theorie verteidigte sich unser Organismus wacker mit unbezwingbarem bleiernem Schlaf.

Wir versuchten, uns auf eigene Faust kundig zu machen, stöberten in der Bibliothek des juristischen Seminars herum und griffen uns aus den immensen Regalen einen Bundesgerichtsentscheid heraus.

Hilfe - die Chinesen haben uns erobert!

Die abstrakte Hirnakrobatik war nicht nur schlicht unverständlich, sondern auch ungeniessbar. Kein Wunder, dass - wenn Juristen unter sich sind - deren Ehefrauen durch Abwesenheit brillieren. Das Geschwätz ist nicht zum Aushalten.

Wir sannen nach einer Methode, um uns nach all den schon eingetrichterten Fremdsprachen die neue auf elegantere Weise anzueigenen, bewarben uns - was für einen Studenten ungewöhnlich war - auf einem Landgericht als Gehilfe des Gerichtsschreibers, wurden angenommen und erhielten so unversehens ungeschminkten Einblick in die kunterbunte Justizküche. Unsere Aufgabe bestand darin, die Verhandlungen mitzustenografieren, die Protokolle ins Reine zu schreiben und die Urteile zu redigieren. 

Der Stoff fing an zu garen.

Eines Nachmittags, die Richter hatten wie üblich im Wirtshaus zu einem guten Tropfen Roten gespiesen und das obligate Jässchen geklopft, wurde ein Scheidungsfall verhandelt. Die Anwälte wuschen die dreckige Wäsche der Parteien. Wir schrieben eifrig mit.

Was hören wir da!? Laut und deutlich schnarcht der dienstälteste Richter in den Saal hinaus.

Es ist uns nicht ganz gelungen, die gesetzlich vorgeschriebene Würde des Gerichts zu wahren und die bedrohlichen Schwankungen unserer Bauchmuskulatur zu zähmen. Einer seiner Kollegen beendete das unbezahlbare Spektakel, indem er unter dem Vorwand, das Fenster zu öffnen, am Schnarchenden vorbei strich und ihm einen heftigen Schlag in den Rücken versetzte.

Von nun haben wir die graue Theorie auf Anhieb verstanden und wir konnten - zurück in der alma mater - uns zu den wenigen zählen, welche eine vom Dozenten in die Runde gestreute Frage zu beantworten wussten. Mit dem bestandenen Examen haben wir das ein ganzes Studium über uns hängende und unser Leben vergällende Damoklesschwert endgültig weg gestossen.


Taxichauffeur

Unsere "Ausbildung"haben wir - neben anderen Jobs - vor allem als Taxifahrer finanziert. Für kürzere oder längere Zeit hatten wir, eingepfercht in diesen Blechkisten, mit Menschen aus allen Schichten und Herren Länder zu tun: vom Direktor, der sich noch keinen eigenen Chauffeur leisten durfte, bis zum Stinkbesoffenen, der uns sein Elend in die Karre kotzte.


Entlassen! Quo vadis?

Wie wir beobachten konnten, haben unsere Leidensgenossen das Auseinanderklaffen zwischen gepredigtem Ideal und rabenschwarzer Wirklichkeit unter anderem mit den Saufritualen in den Studentenburschenschaften überbrückt.

Sie sind zu treuen Staatsdienern avanciert.

Uns lag diese Betäubungsstrategie nicht. Wohl sind auch wir zur Orgie geschleppt worden. Den peitschenden Trinkbefehlen haben wir uns jedoch widersetzt.

Unsere Verweigerung bedeutete den Ausschluss aus der Gruppe. Das war unser Glück. Statt unsere Zeit damit zu vergeuden, in der Herde zu marschieren und sowohl zivil wie militärisch Karriere zu machen, zogen wir uns mit dem erklärten Ziel, ausschliesslich über die Zukunft nachzudenken, ein ganzes Jahr zurück. Das erste halbe Jahr verbrachten wir in einer Alphütte, wo wir den ersten Grundsatz unseres entstehenden Freistaates entwickelten: Die Nase in alles hineinzustecken.

Zuerst heuerten wir, um das für das Anwaltsexamen vorgeschriebene einjährige Praktikum nachweisen zu können, beim erzkonservativen Gericht einer Provinzstadt erneut als Gehilfe des Gerichtsschreibers an. Den Gepflogenheiten gemäss wollte uns dieser zu jedem einzelnen Richter und dem übrigen Personal führen, um uns vorzustellen. Wir erklärten ihm alsogleich, dass er sich das sparen könne. Wir würden uns selber vorstellen. Gesagt, getan. Die von uns heimgesuchten Richter reagierten leicht betreten bis verwundert. Das niedere Kanzleipersonal freute sich spontan. Am dritten Tag eröffnete uns der Gerichtspräsident, es sei wohl das Beste, wenn wir wieder gingen. Dank unseres wohldurchdachten Planes waren wir flexibel genug, ihm seine Idee wieder aus dem Kopf zu schlagen.

Nach einem halben Jahr bestellte er uns in sein Präsidentenzimmer. Um die Wichtigkeit des Anlasses zu unterstreichen, sass auch der Vizepräsident am grossen Sitzungstisch. Es wurde uns vorgeworfen, unsere Arbeitsmoral sei schlecht, weil wir morgens regelmässig unpünktlich seien. Das stimme, erklärten wir ohne Zögern, wir würden nämlich aus Prinzip keinen Wecker benützen, sodass wir immer ausgeschlafen ans Gericht kämen. Im übrigen sei die Arbeitsmoral der Richter schlecht. Ihre Pünktlichkeit führe dazu, dass sie schon am Morgen früh mit ihren Fehlentscheiden das Schicksal der Verurteilten verschlimmerten. Es wäre daher nur von Vorteil, wenn auch sie sich verspäten würden.

Beide machten einen verdatterten Eindruck. Der Präsident reagierte wie ein Bilderbuchjurist: Er wies den Vorwurf, eine schlechte Arbeitsmoral zu besitzen, energisch zurück. Uns sofort fristlos zu entlassen, kam weder ihm noch dem Vize in den Sinn. Sie standen zu sehr unter dem Eindruck unserer Worte. Wir halfen dem Gericht aus der Patsche, indem wir uns ein paar Tage später selbst verabschiedeten. Nach unseren Berechnungen hatten wir die für das Anwaltsexamen erforderliche Praxiszeit abgesessen. Das hat sich dann allerdings als Trugschluss erwiesen.

Als nächstes nahmen wir eine kleinere und die grösste Versicherungsgesellschaft sowie den grössten Warenproduzenten und -verteiler der Schweiz aufs Korn.

Drei Jahre insgesamt studierten wir minutiös, unverfroren, ohne Scheu und Skrupel die Gedärme der helvetischen Plutokratie. Wir leisteten uns den Luxus, uns an der weltberühmten Eidgenössischen Technischen Hochschule ein weiteres Jahr lang sämtliche Disziplinen einer Universität vorführen zu lassen und schlossen unsere Schnüffelei mit einem halbjährigen Praktikum in der schweizerischen "Entwicklungshilfe" in Afrika ab. Was die Qualität dieser Hilfe anbelangt, genügt es anzumerken, dass die Schweiz darunter auch die Scheffelei seiner Plutokraten in der "Dritten" Welt versteht.

Das stimmt!

Wir haben die Verführung und schamlose Ausbeutung der Urwaldmenschen mit eigenen Augen gesehen.


"Gib mir einen festen Punkt..."

Wir hatten alles geprüft und kannten sämtliche Gesetze der helvetischen Plutokratie. Nicht ein einziges haben wir für gut befunden. In einem Staat leben zu müssen, in welchem jedes Gesetz gegen Dich ist, bedeutet harte Knochenarbeit. Wir dachten keinen Augenblick daran, uns zu unterwerfen, sondern suchten nach einer Lebensform, in welcher wir uns selbst verwirklichen und gleichzeitig effizient Widerstand leisten konnten. Da jedes Herrschaftssystem jegliche Art von Widerstand erbarmungslos bekämpft, mussten wir schlau, auf der Hut sein und mit allem, auch dem Schlimmsten, rechnen.

Das Burgtor der helvetischen Plutokratie hängt in zwei mächtigen Angeln: der Strafjustiz und der Zwangspsychiatrie. Unseren Hebel hatten wir dort anzusetzen.

Die Strafjustiz sichert die Eigentumsordnung der Plutokraten ab. Wer den Tresor knackt, landet im Gefängnis. Auch das Strafgesetz ist dem Volk mit dem ewig gleichen Trick untergejubelt worden: Die wenigen Eigentümer haben ihm vorgegaukelt, jeder könne Eigentum erwerben und damit an der Macht des Eigentums teilhaben. Allerdings müssten, so machten sie ihm weise, die Diebe mit den Drohungen und Sanktionen des Strafgesetzes abgeschreckt werden. Verschwiegen haben sie ihm, dass sie bereits alles Eigentum besassen. Wer auch nur ein kleines Portiönchen davon wollte oder will, wird sofort in ihr Spinnennetz gefangen.

Nehmen wir als Beispiel den Hausbesitz. Ein Habenichts hat nicht die geringste Chance, ein solches zu kaufen, wenn er nicht zuvor in die Bank der Plutokraten geht und sich dort einen Kredit geben lässt. Der Zins ist so bemessen, dass aus dem Kreditschuldner in Perioden von rund fünfzehn Jahren der volle Kreditbetrag tropft und er gleichwohl noch die volle Summe schuldet. Weil seine übrigen Verpflichtungen seinen gesamten Lohn auffressen, kann er den Kredit nie tilgen. Folglich zinst er ein ganzes Leben lang und vererbt seinen Nachkommen erst noch Schuld und Zinspflicht, sodass auch diese lebenslänglich angekettet bleiben.

"Das Strafgesetz schützt Euer Leben und Eure Gesundheit", haben die Plutokraten das Volk gegängelt. Die Heerscharen, welche in ihren gefährlichen Fabriken und übrigen Unternehmungen, mit den von ihnen produzierten Vehikeln auf den Strassen und in den von ihnen durchgeboxten Anstalten ums Leben gebracht oder verkrüppelt worden sind und werden, beweisen das Gegenteil. Das Strafgesetz dient den Plutokraten als Vorwand für den mächtigen Polizei- und Justizapparat, mit welchem sie in erster Linie ihr eigenes Leben, ihr Eigentum und ihre Ordnung bewachen lassen. Das Volk verschieben sie wie Zinn im Sandkasten.

Wie sehr sie ihm mit ihrer Propaganda die Augen verdreht haben, lässt sich an der Reaktion abschätzen, wenn ein Polizist einen Geldräuber über den Haufen schiesst. Obwohl der Räuber auf offensichtliche Art genau das tut, was die Plutokraten heimlich treiben, findet der gewöhnliche Bürger, es geschehe ihm recht.

Noch perfekter als die Strafjustiz befestigt die Zwangspsychiatrie das Bollwerk der Plutokraten. Wer sich nicht anpasst oder sich ihrer Ordnung verweigert, wird zum Geisteskranken erklärt, in eine Anstalt gesperrt und dort gefoltert.

Da praktisch aus jedem Verhalten und jeder äusserung eine Geisteskrankheit konstruiert werden kann, besitzt die Zwangspsychiatrie den absoluten Freibrief. Wenn sich einer gar erdreistet, das Gegenteil zu behaupten, nämlich nicht geisteskrank zu sein, wird ihm Uneinsichtigkeit attestiert. Die Uneinsichtigkeit wiederum wird als wesentliches Merkmal für die diagnostizierte Geisteskrankheit bewertet: eine teuflische Falle.

Wir haben uns in der helvetischen Plutokratie als Verteidiger der Straf-, psychiatrisch und übrigen Verfolgten eingenistet.


Anwaltskollektiv

Mit vier GesinnungsgenossInnen und ebenso vielen Prinzipien gründeten wir vor knapp zwei Jahrzehnten in der Finanzmetropole der helvetischen Plutokraten das berüchtigte Anwaltskollektiv: Alle Mitglieder hatten gleiche Rechte und Pflichten, wir verteidigten nie einen wirtschaftlich Stärkeren gegen einen wirtschaftlich Schwächeren, unser Honorar war den sozialen Gegebenheiten unserer Klientschaft angepasst und jedermann/frau konnte unangemeldet zu uns kommen, um sich beraten lassen.

Wir zogen sofort die Scharen der Straf-, psychiatrisch und übrigen Verfolgten, die von den Plutokraten gebeutelten "ArbeitnehmerInnen", MieterInnen und selbstverständlich die zuständigen Anwaltswächter an, welche uns wegen "aufdringlicher Empfehlung" zu saftigen Geldstrafen verdonnerten.

Das Katz- und Mausspiel mit den Plutokraten und ihren Ministranten hatte begonnen. Die Jagdgründe waren unerschöpflich. Ununterbrochen hetzten wir in den Angelegenheiten unserer zahlreichen KlientInnen und in eigener Sache hinter den Potentaten und sie mit ihren Ministranten hinter uns her.

Da wir unsere Pappenheimer bald einmal bis aufs Mark der Knochen kennen gelernt hatten, konnten wir unsere Risiken wohl abschätzen und haarscharf an und über der Grenze so operieren, dass sich Erfolg und Misserfolg stets die Waage hielten. Nach jahrzehntelanger Erprobung wurde der Satz, "es ist schlecht, immer zu verlieren, aber es ist ebenso schlecht, immer zu gewinnen" unserer Staatsräson einverleibt. Bemerkten wir ein überborden der Erfolge, achteten wir pedantisch darauf, verlorene Prozesse hinzunehmen und nicht mehr zu versuchen, sie mit einem weiteren Kniff doch noch zu gewinnen.

In den beiden Erziehungsanstalten hatten wir Respekt und Anstand mit traumwandlerischer Sicherheit zu beherrschen gelernt. Eiserner Bestandteil unserer Staatspolitik wurde die Respekt- und Anstandslosigkeit, welche wir auf ekelhafte Weise zu kultivieren begannen. In präzisen Dosen verspritzten wir davon gerade soviel, dass es übel vermerkt werden musste und doch nicht genügte, disziplinarisch gegen uns einzuschreiten. Gottseidank waren wir jedoch alles andere als perfekt, sodass es gleichwohl Disziplinar- und andere Verfahren gegen uns nur so gehagelt hat.

Juristen pflegen sich mit Herr oder Frau Kollega anzusprechen. Wir nannten alle obstinat beim Namen oder fragten, wenn wir ihn nicht kannten, zuerst nach ihm.

Zu den Insignien von Justiz und Anwaltschaft zählen Anzug und Krawatte. Wir kamen mit allen anderen Kleidungsstücken, nur nicht mit diesen an die Verhandlungen.

Einmal wären wir deswegen beinahe im Knast gelandet. Ein Dealer aus besseren Kreisen war von der helvetischen Justiz angeklagt worden, er habe den inländischen Drogenmarkt mit der Einfuhr eines Kilos Heroin konkurrenziert. Unser Klient wurde in Schale, Krawatte, Lackschuhen und Handschellen von zwei Polizisten in den Gerichtssaal geführt. Wir erschienen in unserer obligaten Lotterkluft. Die Debatten zogen sich in die Länge und die Zeit des Mittagessens. Die beiden im Saal auf den Zuschauerrängen wachenden Polizisten wurden von zwei Kollegen abgelöst. Unsere Verteidigungsrede hatten wir bereits beendet, gelangweilt lümmelten wir auf einem Stuhl herum, derweil unser Klient mit den justizkonformen Gebärden in perfekter Aussprache, Schale, Krawatte, Lackschuhen und ungefesselt sein letztes Wort hielt. Vergeblich. Das Urteil lautete schuldig, der Präsident erklärte die Verhandlung für geschlossen, unser Klient schritt feierlich zum Saal hinaus, wir packten unsere Mappe und die beiden neuen Polizisten bewachten uns hautnah auf Schritt und Tritt. Für sie waren wir der Täter. Erst als der Präsident sie in heller Aufregung auf die Verwechslung aufmerksam gemacht hatte - nid dä, der ander döt! -, wetzten sie hinter unserem Klienten her und konnten ihn gerade noch vor dem Gerichtsportal in Ketten legen.

Die Anwälte sind, jedenfalls am oberen Gericht, gehalten, sich der Schriftsprache zu bedienen. Schon bei unserem ersten Auftritt machten wir ausdrücklich klar, dass wir reden würden, wie uns der Schnabel gewachsen sei. Wir bedienten uns nach Belieben der Mundart und pflegten obendrein die freie Rede. Eine Eröffnung mit dem "sehr geehrten Herr Präsident Komma sehr geehrte Herren Richter Komma sehr geehrte Frau Gerichtsschreiberin" konnte uns nie und nimmer unterlaufen, weshalb wir auch nicht, wie jener unglückselige Herr Kollega, nach Entdecken des Lapsus mit einem verlegenen Lächeln und Verständnis erheischenden Zucken der Achseln reagieren mussten. Wir weigerten uns ganz einfach, unsere Reden samt den Interpunktionen in ein Tonband zu diktieren und alsbald einer Sekretärin zu befehlen, sie fehlerfrei zu Papier zu bringen. Wir benutzten gar keine Sekretärin.

Unsere Stegreifreden und die damit verbundene persönliche Präsenz wurden in einer Justizwelt, welche die direkte Konfrontation mit dem Elend der "Gewaltunterworfenen" schlecht ertrug und deshalb den reinen, ausschliesslich schriftlichen und damit geheimen Aktenprozess angestrebt und grösstenteils verwirklicht hatte, überhaupt nicht geschätzt. Gerade deswegen verlangten wir konsequent die unbequeme mündliche, öffentliche Verhandlung.

Nicht dass wir etwa ein brillanter Redner wären. Wir hatten mit Absicht nie eine Sprechschule besucht oder uns in Diktion geübt. Im Gegensatz zu unseren Schriften, in welchen wir den in unserer Anstaltszeit eingelagerten Mist und Mumpitz mit Fleiss umsetzen, sind unsere Reden eigenartig, leberfrisch, donnernd oder schleppend, unberechenbar und verkehrt.

Was einzig zählt, ist die Tat. Worte anerkennen wir lediglich als Abfallprodukt einer solchen Tat. Die Tat eines Anwaltes besteht darin, dass er seinen Klient in den Anstalten besucht, sich mit ihm verbündet, sich in den Verhören und Verhandlungen neben ihn stellt, seinen Standpunkt dem Standpunkt seiner Kontrahenten energisch entgegenstemmt, so dass er ein sicheres Gefühl bekommt und sich ein selbstbewussteres Verhalten leisten kann, als wenn er mutterseelenallein gegen die Phalanx seiner Häscher anzutreten hat.

Die Scharmützel mit den Staats- und Justizgewaltigen waren unser täglich Brot. In einem unserer ersten Plädoyers wurden wir schon nach wenigen Sätzen vom Präsidenten aufgefordert, zur Sache zu kommen. Prompt fiel auf ihn zurück, dass wir in der Erziehungsanstalt mit römischer Literatur malträtiert worden waren. Wir konterten, sein Einwand erinnere uns an Tacitus, der schon vor zweitausend Jahren in seinem Traktat De orationibus von jenen Richtern gesprochen habe, die es mehr mit Macht und Gewalt, denn mit Recht und Gerechtigkeit gehalten und welche den Verteidiger aufgefordert hätten, zur Sache zu kommen. Habe dieser aber noch immer nicht zur Sache kommen wollen, hätten sie ungeduldig bemerkt, sie hätten es eilig. "Von Ihnen, Herr Meier, haben wir jetzt gerade gehört, wir müssten zur Sache kommen. Jetzt warten wir nur noch darauf, dass Sie uns sagen, Sie hätten es eilig."

Alsbald haben wir ungestört weiter palavert. Die Präsidenten waren nicht zu beneiden. Wohl verstanden sie es, eine Verhandlung zu leiten und die üblichen Sprüchlein herunterzuleiern. Der Satz, "kommen Sie zur Sache!", genügte in der Regel auch vollauf, um eine eilfertige Entschuldigung des Verteidigers auszulösen. Darauf aber, dass dieser zurückschlug, waren sie meist nicht gefasst und deshalb überfordert, den Schlagabtausch fortzusetzen.

Wir jedoch übten konsequent das Pingpong-Spiel. Gegen die hartnäckigeren unter den Präsidenten, welche auch nach unseren Zurechtweisungen keine Ruhe geben wollten, fiel uns immer wieder irgendetwas Verzwicktes ein: "Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Sie uns eine Ordnungsbusse aufbrummen oder Anzeige bei den Anwaltswächtern erstatten können. Wir werden dann im entsprechenden Rechtsmittelverfahren überprüfen lassen, ob Sie hier nicht einen ausgesprochenen Parteistandpunkt vertreten". Nur selten wurden wir zum Satz gezwungen: "Sie können uns ja das Wort entziehen. Dann allerdings platzt die Verhandlung!" Keiner wagte es.

Heute reden wir, wenn es Uns gefällt, über die Stunde hinaus und verlangen seelenruhig einen weiteren Termin zwecks Fortsetzung der Verhandlung. Unterbrechungen durch die Präsidenten sind uns höchst willkommen geworden, ja wir ermuntern sie gar dazu: "Es ist doch besser, in einen Dialog zu treten, als dass wir in diesem modrigen Gerichtssaal dazu verdammt sind, unsere perversen Monologe zu zelebrieren."

Liegt ein besonders kräfteraubendes Scharmützel in der Luft, decken wir uns mit genügend Ess- und Tranksame ein. Wir füllen im Saal unser Glas und vergessen nicht, auch dem Gericht einen Schluck anzubieten. Dieses ist seltsamerweise nie durstig. Während wir mit den Stimmorganen, wozu wir auch die Zunge zählen, die notwendigen Laute erzeugen, schieben wir mit ihr gleichzeitig eine Banane oder sonst etwas Leichtverdauliches zwischen die Zähne, zerquetschen das Futter, schlucken es und können so locker jeder Verschärfung des Getümmels begegnen.

Unvergesslich sind uns die Erlebnisse mit unserer jüngeren Tochter, welche, wenn gerade unsere Hausmanns- und Advokatenarbeit kollidierten, uns öfters nicht nur ins Büro, sondern auch ans Gericht begleitete. In einer Verhandlung, wir waren gerade am Plädieren und sie hatte schon unsere Hälfte des durch die Schranke zweigeteilten Saales abgeklappert, an den Vorhängen gezupft und sonst allerlei Schabernack getrieben, schlüpfte sie durch eine Lücke auf die andere Seite und wurde unvermittelt der ihr vorher verdeckt gebliebenen, auf ihren Sesseln thronenden Richter gewahr. überrascht blieb sie stehen, strahlte über das ganze Gesicht und begann, die Herren auf Kauderwelsch zu beschwatzen. Weil in keiner Prozessordnung steht, was in einem solchen Fall zu tun sei, blieb ihnen nichts anderes übrig, als mit steinernen Mienen abwechselnd auf sie und auf uns zu gucken. Kaum vorzustellen, wie sie reagiert hätten, wäre unsere Tochter nicht zurück-, sondern um ihre Hosenbeine gekrochen.

Unser Antrag auf Unterbrechung der Gerichtsverhandlung zwecks Wechseln der Windeln hat Justizgeschichte geschrieben.

Unsere Strategie ist selbstverständlich streng kalkuliert. Mit unseren Reden verdriessen wir das Gericht, heizen gemächlich seine Empörung und Aggressionen gegen uns selbst an und fangen es so in einen natürlichen Reflex ein. Niemals nämlich kann es sich alsbald noch gestatten, seine Wut an unserer Klientschaft auszulassen. Die Verstrickung führt zum günstigen Urteil.

Um sich dies nicht eingestehen zu müssen und uns trotzdem eins auszuwischen, hat die Fama der Richter verbreitet, neben den gesetzlichen Strafmilderungsgründen existiere ein weiterer: durch uns verteidigt zu werden. Was sie als Herabminderung, könnten wir als Kompliment auffassen. Da wir indessen als unser eigener Souverän von keinem Urteil irgendeiner irdischen Instanz mehr abhängig sind, ist uns Lob und Tadel einerlei geworden.

Während der gewöhnliche, dem Gericht in Gutkindart die Abschrift seines Diktats überreichende Verteidiger gleich zu Beginn seines Ablesens beantragt, sein Klient sei schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen, fassen wir den Gerichtsschreiber scharf ins Auge und ermahnen ihn, er solle notieren, die Verteidigung stelle ausdrücklich keine Anträge. Wir wollen überrumpeln, die Zeremonie stören.

Auch was wir zur Sache selbst zu sagen haben, war und ist unbeliebt. Ein Buchstabe beispielsweise des helvetoplutokratischen Strafgesetzes zwingt den Richter, die Strafe nach dem "Vorleben" des Täters zuzumessen. Selbstverständlich handelt es sich um einen dieser toten Buchstaben. Würde er belebt, würde, wie wir unverhohlen zum Ausdruck zu bringen pflegen, diese feine Gesellschaft alsogleich zusammenkrachen, weil unübersehbar würde, dass alle am Vorleben der zukünftigen Täter ihren gewichtigen Anteil haben, sodass die ganze Bande vor dem Richter zu stehen und nicht ein Einzelner die Zeche für die Geschehnisse und Versäumnisse allein zu zahlen hätte.

Unsere Methode, der Justiz ihre Kunst des Verdrängens zu verleiden, ist simpel und eindrücklich zugleich. Während der Staatsanwalt seine flammende Anklagerede hält, notieren wir die Zeiten, welche er je für den Tathergang und die Biographie des Täters aufwendet. Sind wir an der Reihe, lassen wir uns, erster Affront, vom Gericht die Akten reichen, klauben daraus das winzige Personaldossier unseres Klienten heraus und legen es demonstrativ neben den Aktenberg zur Tat selbst. Ausserdem zupfen wir frühere Urteile hervor und zählen dort die Zeilen und Seiten zur Person und zu den Taten unserer Klientschaft ab.

Die Resultate sind jedes Mal verheerend für die Justiz. Hat die Tat fünf Minuten gedauert und ist der Täter zwanzig Jahre alt, reden die Ankläger, die von Gesetzes wegen verpflichtet wären, den be- und entlastenden Umständen mit gleicher Sorgfalt nachzuforschen, eine Minute zur Person und eine Stunde zur Tat. Das wenige Millimeter dicke Personaldossier besteht aus lauter Formularen, aus welchen hervorgeht, dass der Täter Eltern, allenfalls Geschwistern hat und zur Schule gegangen ist. In den Urteilen nimmt das Vorleben ein paar Zeilen, die Tat ganze Seiten ein.

Die Vorbereitung unserer Verteidigung besteht zur Hauptsache darin, das Leben unserer KlientInnen minutiös zu recherchieren und es im Gerichtssaal breit zu walzen. Danach erklären sich ihre Taten von selbst als logische Folge aller Erbärmlichkeiten und Frustrationen, welchen sie in ihrem bisherigen Leben ausgesetzt gewesen sind.

Die klassische Laufbahn beispielsweise der praktisch ausschliesslich männlichen Eigentumsdelinquenten beginnt im Elternhaus. Der Vater ist ungebildet und dazu verurteilt, als Fabrikarbeiter und dergleichen die am schlechtesten bezahlten Tätigkeiten zu verrichten. Seinen Verdruss lässt er im Suff und nach Verlust der Kontrolle an der Familie aus. Der Sohn kann in der Schule mit gar keiner Unterstützung rechnen. Die Eltern, redeungewohnt, scheuen das Gespräch mit dem verbildeten Lehrer. Die eigene Schulzeit liegt ihnen selbst noch auf dem Magen. Didaktisches Geschick besitzen sie keines. Der Sohn rutscht langsam zum Schwanz der Klasse ab. Um gleichwohl etwas zu gelten, unterhält er die Mitschüler mit originellen und frechen Streichen. Die wiederum passen überhaupt nicht in den Schulbetrieb. Statt, wie die Klassenbesten, beständiges Lob, heimst er lauter Tadel ein. Und schon wir er zum Sündenbock. Die ersten Peinlichkeiten - Verwarnungen, Repetition der Klasse - zementieren die Verhältnisse. Die Jahre verstreichen. Die Kameraden brechen auf. Der Sohn des mittleren oder höheren Kaders kurvt schon mit einem Töffli in der Gegend herum. Eine solche Anschaffung liegt in seiner Familie nun überhaupt nicht drin. Unseren Jüngling juckt's schon ganz schön in den Fingern. Seine ordentlich trainierte Frechheit besorgt den Rest. Elegant schwingt auch er sich ohne Ausweis auf das fremde Motörchen - leider ohne die geringste Ahnung polizeilicher Effizienz. Er wird geschnappt und landet im Erziehungsheim. Die Türen für eine „bürgerliche“ Laufbahn werden schottendicht. Bald wird er mit uns zusammen vor die Schranken des Gerichts treten und dort mit einiger Verwunderung mitverfolgen, wie wir nach der Ausbreitung seiner Lebensgeschichte auch noch die Biographie des Gerichtspräsidenten auseinandernehmen und zum letzten Satz ausholen: "Wenn Sie, Richter Meier, in das Milieu unseres Klienten hineingeboren worden wären und er in Ihres, sässen Sie jetzt auf der Anklagebank und er dort oben auf Ihrem Podest".

Wir brauchen wohl kaum noch eigens erklären zu müssen, dass ein solch konsequentes und allseitiges Umdrehen des Spiesses die Sache auf den Punkt bringt. Die Gegensätze erscheinen als das, was sie sind: Unüberbrückbar. Alsbald können wir es uns ersparen, unsere Zeit mit diplomatischen Floskeln zu verplempern.

An den Hunderten uns bekannter Schicksale nachmaliger Straftäter und deren sich wie ein Ei dem anderen gleichenden sozialen Verhältnisse zerplatzt die von den Schreiberlingen der Plutokraten unablässig verkündete Doktrin, die Täter seien alleinverantwortlich. Gegenteils ist die Eigentumsdelinquenz - neben dem Drogenproblem Hauptharst der "Kriminalität" - die unmittelbare Folge der herrschenden Eigentumsordnung. So wie die Plutokraten ihre Diktatur als Volksherrschaft getarnt haben, müssen sie zur Vollendung ihres Betruges lückenlos alles und eben auch, weil sie eine falsche Eigentumsordnung hüten, die hauptsächlich von ihnen zu verantwortende Delinquenz in jenen Zusammenhang rücken, welcher für sie am günstigsten ist: Die Schuld wird den anderen in die Schuhe geschoben und sie selbst waschen ihre Hände in Unschuld.

Am schärfsten weht der Wind in der Zwangspsychiatrie.

Wir erinnern uns noch an eine unserer ersten Klientinnen, welche die Beratungsstelle des Anwaltskollektivs, kaum war sie eröffnet, aufgesucht und erklärt hat, sie habe eine Vorladung vom Stadtarzt bekommen. Wir anerboten uns, sie zu begleiten. Zu zweit sprachen wir beim Besagten vor. Etwas erstaunt wurde unsere Anwesenheit vermerkt. Wohl deswegen wurden wir überaus höflich gebeten, Platz zu nehmen und in eine belanglose Diskussion verwickelt. Nach ca. fünf Minuten öffnete sich die Tür und zwei schwergewichtige Männer mit weissen Kitteln betraten den Raum. "So, Frau G.", erhob sich der Arzt, "ich muss Sie jetzt leider in die psychiatrische Klinik einweisen."

Das wäre denn auch mit Sicherheit geschehen, wären wir nicht mit von der Partie gewesen. Auch wir erhoben uns ruckartig und forderten den Arzt forsch auf, sich mit uns ins Nachbarzimmer zu begeben. Er folgte uns. Wir schlossen die Tür und setzten ihm auseinander, dass nicht die geringsten Gründe vorlägen, welche gestatteten, die schwerste Sanktion überhaupt - den Freiheitsentzug - gegen den Willen unserer Klientin anzuordnen. Sie hatte keiner Fliege etwas zuleide getan. Als Grund hätte einzig die Tatsache herhalten müssen, dass sie ihren Nachbarn und den von diesen herbeigerufenen Polizisten erklärt hatte, in ihrer in der Stadt gelegenen Einzimmerwohnung blitze und funkle es in der Nacht. 

Wir glauben, nicht so sehr was, sondern wie wir es gesagt haben, hat den Arzt bewogen, sein Vorhaben abzubrechen. Selbzweit schritten unsere Klientin und wir aus seinem grossen, fahlen Gebäude hinaus.

Daneben, dass wir uns als Feld-, Wald- und Wiesenanwalt betätigten - wir haben unsere Nase sogar in einen Patentprozess gesteckt - haben wir das erste Jahrzehnt den Schwerpunkt unserer Tätigkeit auf die Strafverteidigung verlegt, uns jedoch gleich nach unseren ersten Begegnungen mit den Praktiken der Zwangspsychiatrie vorgenommen, zu gegebener Zeit auch in dieses Wespennest zu stechen.

In der helvetischen Plutokratie kümmerte sich kein Knochen um die Verteidigung der psychiatrisch Versenkten. Die Fälle bringen weder Honorar noch Erfolg, sondern enormen Aufwand, alles Gründe, welche beim ordinären Anwalt keine Begeisterungsstürme wecken. Viel lieber lässt er sich von einem der Plutokraten als Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft ködern. Er frisst sein Brot und singt sein Lied.

Unsere Staatspolitik und die Bedürfnisse der Zwangspsychiatrisierten hingegen decken sich vollkommen. Sie wollen raus aus dem Irrenhaus und wir wollen, dass sie rauskommen.

Der Weg war steinig. Abgewiesen, abgewiesen, abgewiesen lauteten die Verdikte der Anstaltswächter. Wir mussten uns die skandalösen Geschichten der Opfer anhören, uns durch die Aktenberge graben, nach den anderen Informanten Ausschau halten und obendrein noch unser Honorar organisieren. Unsere Klientel zählte zu den Mauseärmsten. Unsere Gesuche, zum Armenanwalt bestellt zu werden, wurden praktisch ausnahmslos abgeschmettert. Das Entlassungsbegehren sei aussichtslos, wurde uns arrogant entgegengehalten.

Wir hingegen dachten bei uns: "Wartet nur, Ihr Bürschchen, Euch kommen wir schon noch bei!" Wir haben uns mit Jägergeduld gewappnet und begannen nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten zu rechnen.

Als etwas vom Eindrücklichsten haben wir die Mauer nicht der Anstalt, sondern diese andere des Schweigens und der Abwehr empfunden. Regelmässig wurde jede Diskussion von den Anstaltsärzten strikt verweigert. Sie verschanzten sich hinter dem Arztgeheimnis und waren auch nicht mit den Erklärungen unserer Klientschaft, sie seien uns gegenüber davon entbunden, zum Reden zu bringen.

Wer soviel schweigen muss, der hat viel zu verstecken. Also machten wir uns auf die Socken. Zusammengezählt sind wir wochenlang in den trostlosen Gängen der Anstalten umhergestrichen. Mit wachen Ohren und offenen Augen haben wir die Geschehnisse registriert und bestätigt gefunden, was uns Hunderte von KlientInnen hintertragen haben: Hier treibt unheimlich geschickt getarnt etwas sein Wesen, das den Namen Inquisition und seit dem Faschismus und den Nazimethoden auch diese Namen trägt. Nur die Scheiterhaufen und Öfen fehlen.

Die Inquisition hat Kerker und rohe Folter mit der Verteidigung des wahren Glaubens und Hitler seine Lager und verfeinerte Folter mit Hygiene und Eugenik plausibel gemacht. Das Einsperren in geschlossene psychiatrische Anstalten und die Folter mit heimtückischen Nervengiften werden heute - man höre! - als "Fürsorge" vermarktet.


Die Zeit wurde reif

Vor zehn Jahren begannen wir in grossem Stil, Zwangspsychiatrisierte zu verteidigen. Exemplarisch wollen wir hier den Fall von Karl darstellen.


Karl der Kleine

Während des zweiten Weltkrieges wandte sich die in der helvetischen Finanzmetropole lebende Mutter von Karl in einem längeren, etwas umständlichen, handschriftlichen Brief an ihre Heimatstadt, beklagte sich darin, dass ihr Mann sie dauernd beleidige und bat höflich um Hilfe. Der Stadtrat stellte den Brief kurzerhand mit der durch nichts, aber auch gar nichts gerechtfertigten Bemerkung, er lasse auf eine offensichtliche Geistesgestörtheit der Verfasserin schliessen, der Vormundschaftsbehörde der genannten Metropole zu.

Von dieser Behörde muss man wissen, dass sie Hand in Hand mit der Zwangspsychiatrie arbeitet. Sie ist auch - neben jedem beliebigen Arzt - für die Zwangseinweisungen in die Anstalten zuständig.

Sie setzte sofort einen Beamten des sogenannten Erkundigungsdienstes in Trab, welcher die Verhältnisse von Karls Familie ausspionierte und darüber einen Bericht verfasste. Durch Unterstreichung hervorgehoben wurde darin, der Vater sei Ende des ersten Weltkrieges mehrere Jahre in einer psychiatrischen Anstalt interniert gewesen. Karl selber, der die Primarschule besuche, sei in seiner geistigen Entwicklung etwas zurückgeblieben.

Das Dossier war eröffnet: Der Vater ein psychiatrisch Internierter, die Mutter offensichtlich geistesgestört, der Sohn geistig etwas zurückgeblieben und das in einem massgeblich an der Entwicklung jener eugenischen Theorien beteiligt gewesenen Land, die beim nördlichen Nachbar zur Massenliquidierung von Menschen mit sogenannten geistigen Defekten geführt haben und welches sich nie öffentlich von seiner Beteiligung distanziert hat.

Es kam, was kommen musste. Nach allerlei Unfug - Fahren mit dem Velo ohne Licht, Pissen aus dem Fenster und dergleichen mehr - kassierte Karl wegen Diebstahls eines Velorades und einer -pumpe als Ersttäter einen Monat Gefängnis unbedingt (sic!) und wegen anderer geringfügiger Delikte weitere Freiheitsstrafen. Im Handumdrehen war er auch entmündigt, das Dossier war ja, wie wir wissen, bei den Zuständigen schon eröffnet.

Im Knast führte der Vormund mit seinem nunmehr 27 Jahre alten Mündel ein Gespräch, welches, wie er der Vormundschaftsbehörde schriftlich berichtete, unmöglich verlaufen sei. Karl habe nur immer verlangt, er wolle nach der Entlassung als selbständiger Schriftenmaler arbeiten. Er hingegen habe ihm klargemacht, "dass dies nicht gehe, sondern dass er jetzt lernen müsse, einer geregelten Arbeit nachzugehen und sich den Anordnungen anderer zu fügen".

Präziser hätte er die im "freiheitlich, demokratischen Rechtsstaat" herrschende Realität gar nicht in Worte fassen können!

Unserem Karl half es nicht im geringsten, dass die Ansinnen des Vormundes eindeutig verfassungswidrig waren, hatten sich doch die Plutokraten in der schweizerischen Bundesverfassung die Handels- und Gewerbefreiheit eigens garantieren lassen und verlangte eine weitere Bestimmung, dass alle Menschen gleich zu behandeln sind. Es half ihm auch nicht, dass er sich bis anhin tatsächlich als Schriftenmaler und mit periodischer Unterstützung seines Vaters, jedenfalls aber ohne die geringsten öffentlichen Fürsorgebeiträge, recht und schlecht durchs Leben geschlagen hatte.

Als Karl wieder auf freiem Fuss war, schickte der Vormund ihn auf das Arbeitsamt, erkundigte sich in der Folge, ob er sich "seiner Anordnung gefügt" hatte und erfuhr, dass statt seines Mündels dessen Vater dort vorgesprochen habe.

Er schickte sofort zwei Polizisten los, welche Karl suchten und auch fanden. Er war ausgerechnet dabei, ein Molkereigeschäft zu beschriften! Die beiden Polizisten zerrten ihn von seiner Arbeit weg und verfrachteten ihn, wie vom Vormund befohlen, in eine 80 km entfernt liegende Arbeitserziehungsanstalt.

Karl war mit dieser Massnahme - zu Recht! - nicht einverstanden und verweigerte - ebenfalls zu Recht!  - nach besten Kräften die "Erziehung". Der Anstaltsdirektor meldete dem Vormund das Scheitern seiner Bemühungen. Der machte kurzen Prozess: Er brachte Karl höchstpersönlich in die gleiche psychiatrische Anstalt, in welche schon sein Vater versenkt worden war.

Die Geschichte spielte sich zur Zeit des "Kalten Krieges" ab, als die offizielle Schweiz mit dem ganzen Westen gegen die Sowjetunion bellte und dort die Internierung von Menschen ohne Gerichtsurteil an den Pranger stellte.

Darüber, dass sie im eigenen Lande systematisch Abertausende und auch unseren Karl ohne Gerichtsentscheid eingelocht hat, hat sie kein Sterbenswörtlein verloren.

Dreiundzwanzig geschlagene Jahre kam Karl nicht mehr aus dem Irrenhaus heraus. Täglich ist er mittels zwangsweiser Verabreichung schwerstwirkender chemischer Substanzen massiv gefoltert worden. Wie später gutachterlich festgestellt worden ist, sind dabei sein Körper und seine Nerven irreversibel geschädigt worden.

Praktisch täglich hat Karl - vergeblich - seine Entlassung verlangt.

Sieben Jahre nach der Ratifizierung der Europ. Menschenrechtskonvention bequemte sich die Schweiz, den psychiatrisch Verfolgten die Anrufung eines Gerichtes zu ermöglichen. Als wir die Verteidigung von Karl übernommen haben, hatte er dies von sich aus schon getan.

Wir besuchten unseren Klienten häufig in der Anstalt und sammelten bei den verschiedenen Instanzen die mehrere tausend Seiten starken Akten zusammen. Das Gericht setzte uns just, als uns die Anwaltswächter wieder einmal verboten hatten, unseren Beruf auszuüben, Frist an, das Entlassungsgesuch unseres Klienten zu begründen.

Da sind ja wohl die beiden Richtigen zusammengeraten!

Unser einmonatiges Verbot hatten wir kassiert, weil wir mit unserem Velo wie üblich durch eine Einbahnstrasse gefahren waren. Zufälligerweise standen dort gerade zwei Hüter Helvetiens. Unser Angebot, die Angelegenheit im vorgesehenen Schnellverfahren an Ort und Stelle zu erledigen, wurde abgelehnt. Obwohl wir sogar noch den Schlüssel vorweisen konnten, konstruierten die beiden, das Velo könne ja gestohlen sein, eine überprüfung auf der Polizeiwache dränge sich auf.

Das Ritual dort beginnt wie gewöhnlich: "Ich werfe Ihnen vor, dass Sie in verkehrter Richtung durch eine Einbahnstrasse gefahren sind. Was sagen Sie dazu?" "Wir machen von unserem Recht Gebrauch, die Antwort zu verweigern." "Dieses Recht gibt es im vorliegenden übertretungsverfahren nicht". "Wir beharren auf unserem Recht". So geht das eine Weile hin und her. Der Postenchef mischt sich ein und rät dem federführenden Kollegen, er solle in seinem Rapport notieren, was er gesehen habe und welches unsere Antwort auf seinen Vorhalt gewesen sei. "Das ist korrekt", werfen wir ein. Der Ordnungswächter kocht und zeigt auf die Bank im Wachlokal: "Setzen Sie sich dorthin". "Es gibt keine Vorschrift, wonach wir uns zu setzen haben, wir ziehen es vor, stehen zu bleiben". Das Mass ist voll. Wir werden brutal gepackt und in eine Polizeizelle bugsiert.

Es hätte uns nichts Besseres passieren können. In jenen wenigen Augenblicken haben wir ein Phänomen nachvollziehen können, von welchem uns unsere KlientInnen x-mal berichtet, das wir aber nie richtig verstanden hatten: Den Verhaftschock.

Ein paar Sekunden waren wir nahe daran, den Verstand zu verlieren.

Wir wissen nicht, warum wir ihn nicht verloren haben. Vielleicht war unsere Souveränität bereits soweit entwickelt, dass wir unantastbar geworden waren. Wir haben uns jedenfalls gefasst und begonnen, die Zelle zu inspizieren. Sie war weissgetüncht, hatte ein geschlossenes Oberfenster, wurde von künstlichem Licht erhellt und war absolut kahl: kein Tisch, kein Stuhl, kein Bild, kein Schmuck, nichts, nichts, nichts. An den Wänden hingegen stellten wir überall Abriebe von Gummisohlen fest, Spuren tobender Menschen.

Es ist uns damals praktisch auf einen Schlag die ganze Perfidie aufgegangen, mit welcher die Mächtigen die Welt beherrschen. Wir verbanden das Erlebnis mit unseren Erfahrungen, welche wir in den Erziehungsanstalten, in den Kasernen der Schweizerarmee, in den psychiatrischen Anstalten und überall dort, wo gezwungen und befohlen wird, gesammelt hatten. Da werden nicht irgendwelche zufällige Konzepte, sondern seit Menschengedenken erprobte und ständig weiterentwickelte Mechanismen der Unterdrückung von Herrschaft zu Herrschaft weitergereicht und systematisch umgesetzt.

Die Arrestzelle ist nur ein winziger Teil des riesigen Arsenals.

Selbstverständlich durchschauen die wenigsten Ausführungsgehilfen die subtilen Methoden. Der Richter, welcher eine Verhaftung anordnet, ist beim Vollzug nicht dabei. Der Polizist, der zur Tat schreitet, sieht zwar die Reaktionen, denkt aber nur, das sei nun halt einmal so. Würde er den Befehl zur Verhaftung verweigern, wäre er seinen Job und auch das kleine Machtgefühl los, welches ihm sein Amt verleiht.

Werden die Praktiken nach längerer Zeit gleichwohl durchschaut, werden rasch ein paar ausgeklügelte Reformen verkündet, welche, wie zum Beispiel das Umfunktionieren der Monarchien zu Demokratien, die Herrschaft nur noch perfektionieren.

Nach einer guten halben Stunde öffnete sich die Tür und die beiden Ministranten der helvetischen Plutokratie fuhren uns in ihrem Wagen zu unserem Velo zurück. "Das wird noch auf Euch zurückfallen", verkündeten wir. Anderntags erstatteten wir bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch. Nach ca. drei Monaten wurde sie den Beiden von einem Kollegen vorgehalten. Sie reagierten mit einer Gegenanzeige: Wir - unbewaffnet - hätten sie - mit je einem Revolver in den Halftern - durch schwere Drohung in Angst und Schrecken versetzt.

Das Strafverfahren gegen die beiden Polizisten wurde ohne weitere Untersuchungen eingestellt, wir hingegen angeklagt, schuldig gesprochen und, obwohl wir dem Gericht anheim gestellt hatten, uns ohne Pardon zur Höchststrafe zu verurteilen, lediglich zu bedingtem Gefängnis verknurrt. Wir mussten uns selbst den gleichen Kommentar verpassen, wie ihn unsere KlientInnen zu hören bekommen: Das Urteil ist nicht einmal den Fetzen Papier wert. Seltsamerweise ist unsere an das schweizerische Bundesgericht verfasste Beschwerde gegen diesen Fetzen nie behandelt und das Urteil deswegen auch nie ins Vorstrafenregister eingetragen worden. Das stellte sich heraus, als wir ein weiteres Mal vor den Kadi zitiert wurden. Unter den Personalien der Anklageschrift wurden wir als "ohne Vorstrafen" aufgeführt. (Die neuerliche Anklage endete zur Abwechslung mit einem Freispruch, obwohl uns eine Verurteilung wiederum schnurzegal gewesen wäre.) Bei enormen Aufwand hat die Strafjustiz nicht den geringsten Effekt erzielt, wir hingegen haben ausgiebig unbezahlbare Erfahrungen gesammelt.

Auch das besagte Berufsverbot, mit welchem uns die Anwaltswächter nach der strafrechtlichen "Verurteilung" doppelt zu treffen trachteten, blieb ohne jede Wirkung. Das Verbot betraf unser Auftreten in Zivil- und Strafprozessen, das Gericht jedoch, welches in der Sache von Karl zu entscheiden hatte, sah sich, um nicht die strengeren Vorschriften jener Verfahren beobachten zu müssen, als ein solches der Verwaltung, für welches das Anwaltsmonopol nicht galt. Jeder Laie und ergo auch ein Anwalt mit Berufsverbot konnte Vertreter sein. Wir zogen uns fast einen Monat in ein Haus in den Bergen zurück, ackerten uns durch die Akten, verfassten eine umfangreiche, fulminante Kritik gegen die Versenkung unseres Klienten und reichten sie knapp vor Ablauf unseres Berufsverbots beim Gericht ein.

Wie bei einer generellen Erfolgsquote von weniger als 5% nicht anders zu erwarten war, schmetterte dieses die Entlassungsklage hochkantig ab. Wir liessen uns nicht beirren und erhoben Berufung beim Bundesgericht. Weil wir jedoch wussten, dass die Chancen unseres Klienten dort noch geringer waren, besuchten wir ihn nacheinander mit sechs von uns organisierten Journalisten in der Anstalt. Als sich der Chefredaktor einer namhaften Zeitschrift schriftlich mit ein paar unangenehmen Fragen an den Anstaltsdirektor wandte, war Karl innert Wochenfrist frei. Seit nun bald zehn Jahren lebt er wieder in der Finanzmetropole und zieht zur Freude der einen, zum ärger der andern, seine Kreise.

Und wie ist sein Berufungsverfahren ausgegangen? Die Bundesrichter haben ihn - obwohl er bereits entlassen war! - ebenfalls nicht entlassen wollen. Stur haben sie auch ein gegen ihren falschen Entscheid gestelltes Revisionsbegehren abgewiesen...


PSYCHEX

Als einziger in der Hochburg der Plutokraten auf die Verteidigung von Zwangspsychiatrisierten spezialisierter Anwalt wurden wir zur Anlaufstelle der Opfer. Dem Massenansturm waren wir unmöglich gewachsen. Etwas musste geschehen! Wir gründeten den Verein PSYCHEX und scharten dort diejenigen zusammen, welche gewillt waren, Zwangspsychiatrisierte zu verteidigen. Das Echo auf die Appelle des Vereins war enorm. Die Eingesperrten standen plötzlich nicht mehr allein auf weiter Flur da. Der Verein hat eine Bresche in die Anstaltsmauern und damit ins Machtsystem geschlagen. 

Auf der Justizebene erzwangen wir eine Verfahrensänderung. Das dreiköpfige Gerichtsgremium, welches erstinstanzlich die Entlassungsbegehren beurteilte, wurde von zwei Psychiatern dominiert. Jeweils einer dieser Herren besuchte den "Gesuchsteller" in der Anstalt, verfasste darüber einen schriftlichen Bericht, liess ihn bei den beiden anderen zirkulieren und in seinem Sinne abhaken. In den ersten acht Jahren der Existenz des Gerichtes wurden so pro Jahr von den 250 bis 300 Entlassungsklagen im Durchschnitt läppische 10 gutgeheissen.

Wir verlangten, dass alle drei anzutraben hätten, um den Internierten persönlich anzuhören. Das Bundesgericht verwarf diesen Standpunkt ein erstes Mal, akzeptierte ihn jedoch, als wir ihn in einer anderen Sache hartnäckig wiederholten. Als wir beim nächsten Fall zum Gerichtstermin der unteren Instanz in der Anstalt aufkreuzten, erschien wiederum nur der ärztliche Referent. Wir erklärten ihm, er könne gleich wieder nach Hause gehen, weil das Gericht ungehörig besetzt sei. Doch dieses hielt an seiner alten Praxis fest. Wir mussten nicht weniger als viermal ans Bundesgericht rennen, bis die gnädigen Herren, welche die Metropole der Plutokraten verwalten, sich zur änderung der Gerichtsordnung entschliessen konnten. Im ersten Halbjahr danach wurden über 40, im darauffolgenden Jahr genau 110 Zwangspsychiatrisierte via das Gericht entlassen.

Wir bilden uns nichts darauf ein, denn wir sehen die Zeichen genau und wissen, dass die Plutokraten ihr Terrain nimmer preisgeben werden und bereits nach neuen Formen sinnen, um auch das kleine Loch, das entstanden ist, wieder zu stopfen. Zur Zeit läuft gerade eine "Aufklärungskampagne" der Anstalten auf vollen Touren, die von den Anwaltswächtern gegen uns angestrengten Berufsverbotsverfahren häufen sich wieder und die vordem öffentlich zugänglich gewesene Zahl der gerichtlichen Entlassungen wird streng unter Verschluss gehalten. Die Beispiele liessen sich beliebig vermehren. 

Die 53 schweizerischen psychiatrischen Anstalten mit den rund 13000 ständig gefüllten Betten verfügen bei Tagesansätzen von mehr als 350 Franken pro Bett über ein jährliches Budget von weit über einer Milliarde Franken. Die Budgets der chemischen Fabriken, welche ihre Gifte für die Zwangsbehandlungen beisteuern, sind ebenfalls nicht von Pappe. Alle, die an diesem Kuchen schlecken, werden im Chor die Vorwürfe unserer zwangspsychiatrisierten KlientInnen, sie würden ihrer Freiheit beraubt und gefoltert, strikt zurückweisen und behaupten, sie hätten nur deren Fürsorge und Wohl im Auge. Ihr grosses Geschrei wird jede Kritik ersticken. Während wir hier aus der Wüste rufen, schiesst die riesige Propagandaflut der Plutokraten durch ihre Medien. Es ist schon geschehen und es wird sicher nicht an weiteren Versuchen fehlen, unsere Beschreibung der Wirklichkeit und die von uns gezogenen Schlüsse als falsch, stümperhaft, verschroben, realitätsfremd oder naiv zu deklassieren.

Was ficht's uns an. Wir wissen, was wir mit eigenen Augen gesehen, mit unseren Ohren gehört und mit unserer Nase gerochen haben.


Revolution oder individueller Widerstand?

Stellt man sich den Zustand der Welt als ein riesiges, noch ungelegtes Mosaikbild vor, haben wir ein halbes Jahrhundert lang Zeit und Gelegenheit gehabt, die passenden Steinchen - Stück für Stück - zu suchen und zu setzen. Langsam ist das Werk gewachsen. Mit jedem Stein wird das Bild schärfer und es wird einfacher, die richtige Stelle für jeden noch nicht gesetzten Stein zu finden.

Natürlich sind wir weder an den Tafeln derjenigen gesessen, welche den Billionen zusteuern, noch haben wir an den Verhandlungen im Kreml oder Pentagon teilgenommen. Das brauchen wir auch gar nicht. Die Resultate der Entscheide, die dort gefällt werden, sind - jeweils zeitverschoben - unübersehbar. Aus der Weltgeschichte wissen wir, zu welchen Monstern sich die Menschen steigern können. Die Gegenwart ist voll von ihren Spuren.

Von den beiden Möglichkeiten, ein diktatorisches System radikal zu stürzen oder dem Diktat von Fall zu Fall Paroli zu bieten, haben wir uns für letztere entschieden. Revolutionen bringen nichts. Auch wenn sich die Pyramide von Zeit zu Zeit mit Getöse zu wälzen pflegt - eine Spitze bleibt immer oben. Aus diesem Grund haben wir bloss unsere eigene Souveränität ausgerufen. In einer Welt, die seit Urzeiten durch und durch diktatorisch funktioniert, erwarten wir nicht, dass solche Freistaaten nun wie Pilze aus dem Boden spriessen.


"Tritt mir aus der Sonne!"

Jäger und Sammler sind täglich höchstens zwei bis drei Stunden auf Nahrungssuche. Seit die Plutokraten die Erdkruste mit Asphalt und Beton überziehen lassen, steht die Menschheit fünf Tage lang acht Stunden in ihren Diensten und spurtet die übrige Zeit die Köder ab, welche sie auslegen lassen.         

Wir versuchen uns irgendwie durchzuschlagen. Unsere Familie besteht aus vier Köpfen und wir sind gezwungen, dem plutokratischen System gerade soviel abzuzwacken, wie wir in der von ihm usurpierten Welt zur Deckung unserer Grundbedürfnisse brauchen.


Wohnung

Unser Dach über dem Kopf entspricht dem Traum jenes kleinen, die grossen kopierenden Spekulanten, der vor über dreissig Jahren einem Bauern in einem Vorort der Metropole eine Wiese von 50 auf 100 Meter abgekauft, darauf sechzehn Renditenhäuschen errichtet und eines davon unserer später ebenfalls in die Metropole gezogenen Mutter verschachert hat. Sie musste den Kaufpreis als Kredit bei den Plutokraten aufnehmen. Auf allen vier Grenzen steht ein Zaun, gebaut von unseren vier gutbürgerlichen Nachbarn. Als uns unsere Mutter das Objekt verkaufen wollte, lehnten wir ab. Unsere beiden Töchter sind die Besitzerinnen und auch die Kreditschuldnerinnen geworden. Nach helvetischem Sachenrecht können nicht wir ihnen, sondern sie uns die Türe weisen. Diese Macht wollten wir ihnen in die Hände spielen, um den Vorsprung, der sich aus unserem Alter und unserer Erfahrung ergibt, halbwegs wettzumachen.

Weiterer, wichtiger Vorteil: Wir sind nicht erpressbar. Unsere persönlichen Verfolger laufen vollkommen auf, wenn sie uns finanziell an den Kragen wollen.

Die Bankkreditzinsen bezahlen wir den Plutokraten. Mit jeder Rate wächst unsere Wut. Permanent sinnen wir nach Mitteln und Wegen, uns dieser Tribute zu entledigen.

Die Situation ist geradezu grotesk. In der Schweiz sind die überwältigende Mehrheit der Bewohner Hypothekar- und Mietzinsschuldner. Die Gläubiger machen eine verschwindend kleine Minderheit aus. Nichts wäre für die Mehrheit einfacher, als in einem Gesetz beispielsweise auf einen Schlag die Abschaffung sämtlicher Zinspflichten für das Wohnen anzuordnen oder aber im Sinne eines allmählichen übergangs zu bestimmen, die Hypothekarzinse seien automatisch Amortisationszahlungen der Hypothekarschuld und die Mietzinse Anzahlungen auf den Kauf der Mietwohnung bei zwingender grundbuchamtlicher überschreibung vom Eigentümer auf den Kreditschuldner bzw. Mieter nach einer Zeitspanne von beispielsweise 15 Jahren.

Dass solche absolut naheliegende Lösungen weder diskutiert, geschweige denn umgesetzt werden, belegt das Raffinement, mit welchem die Plutokraten das Volk in die Zange genommen haben. Würde eine solche Diskussion einsetzen, würden sie wie die Wölfe zu heulen beginnen, in ihre Schafspelze schlüpfen und jedem Einzelnen pausenlos ins Ohr dröhnen, die ganze Wirtschaft krache zusammen, alle verlören ihre Existenz und würden den Hungertod erleiden.

Was selbstverständlich überhaupt nicht stimmt!

Den Beweis liefert jede Zeit des Umbruchs. In Deutschland haben die Bewohner der zerbombten Häuser keine Mietzinse mehr bezahlt. Während die westdeutschen Plutokraten nach Ende des Krieges sofort die Schraube anzuziehen begannen und aus den Mietern wieder Zinsen für die Wohnungen pressten, wurde in Ostdeutschland das Wohnen praktisch frei. Die Ostdeutschen sind nicht verhungert. Wer die Verhältnisse unbeeindruckt vom Störgeflüster der Plutokraten betrachtet, stellt fest, dass Westdeutschland quantitativ zwar zugelegt hat, die Lebensqualität jedoch enorme Rückschritte verzeichnet. In Ostdeutschland war das quantitative Wachstum bescheiden. Dafür sind sie den Westdeutschen punkto Lebensqualität weit überlegen. Wir haben beide Länder bereist und können uns daher aus eigener Anschauung ein Urteil bilden. Wir ziehen die aufgeweckten, interessierten und gastfreundlichen Ostdeutschen den übersättigten, gehetzten und kaum mehr ansprechbaren Westdeutschen entschieden vor. Bei den Ostdeutschen stöhnen nur jene, welchen die Plutokraten schon den Speck durchs Maul gezogen haben. Wenn sie ihn gefressen haben werden, werden wir uns wieder mit ihnen unterhalten.

Bei den Südslawen, deren Leben wir schon seit über zwei Jahrzehnten aus allernächster Nähe beobachten, herrscht zur Zeit Krieg. Vor dem Ausbruch strömten massenhaft Touristen an die adriatische Küste und pumpten jährlich Milliarden von Devisen ins Land. Neben all den übrigen Gründen sind letztlich diese Milliarden für den Krieg verantwortlich. Den kroatischen Plutokraten hat ganz einfach nicht mehr gepasst, dass die serbischen Plutokraten einen erklecklichen Teil davon in ihre Börsen gelenkt haben. Warum denn auch mit denen teilen? Also haben sie - dem Vorbild ihrer westlichen Genossen folgend und in Absprache mit ihnen - in Kroatien die "Demokratie" und Unabhängigkeit ausgerufen und die Grenzen zu Serbien geschlossen. Ganz klar, dass die dortigen direktbetroffenen Böcke sich das nicht haben bieten lassen. Wer von den westlichen Plutokraten - Hand aufs Herz! - würde solches denn schon dulden? Auch sie würden augenblicklich mit Krieg reagieren, würden ihre Pfründe blockiert. Mit der richtigen Hetzpropaganda lässt sich jede Armee mobilisieren. So ist auch die serbische in Marsch gesetzt worden. Ein paar vor allem auf die touristischen Hochburgen in Kroatien gezielte Granaten haben die ausländischen Gäste so erschreckt, dass ihr Strom jäh versiegte.

Unsere ununterbrochenen Inspektionen an Ort und Stelle haben ergeben, dass es den Bewohnern der Adriaküste, was die Lebensqualität anbelangt, trotz der schlagartig ausgefallenen Tourismusmilliarden um keinen Deut schlechter geht. Im Gegenteil. Früher waren sie während der vier Monate dauernden Saison praktisch nicht mehr zu erkennen. Wie die gehetzten Affen sind sie in der Gegend herumgerast und haben immense Arbeit geleistet: die Touristen gemolken und erst noch ihre Felder bestellt oder im Meer gefischt. Heute haben sie plötzlich Zeit in Hülle und Fülle. Die ganze mühsame Melkerei ist weggefallen. Vom Geld, welches sie mit ihrer Plackerei erzielt haben, ist der grösste Brocken ohnehin in die Kassen der kroatischen und serbischen Plutokraten geflossen. Den bei ihnen hängen gebliebenen Rest haben ihnen diese über den Verkauf von Autos, Televisionsapparaten, Stereoanlagen und dergleichen mehr alsogleich wieder abgeknöpft. Damit haben sie ihnen nur noch zusätzliche Arbeit aufgehalst; denn nun mussten alle diese Geräte unterhalten, repariert und von Zeit zu Zeit ersetzt werden.

So wie die Adriabewohner das Versiegen der Tourismusmilliarden spielend verkraftet haben, würden auch die Schweizer den Ausfall der Zinsmilliarden für das Wohnen leicht überhauen. Sie würden sich wieder auf die wesentlichen, leicht zu deckenden Bedürfnisse besinnen und, von weniger Geld angetrieben, Beschäftigung und Musse, die nichts kostet, in Hülle und Fülle finden.

Aber es will einfach nicht sein. Wir werden unser kleines Zinsproblem, wenn die Zeit gekommen sein wird, wie üblich individuell und mit den Mitteln unseres eigenen Freistaates lösen müssen.


Nahrung

Wir ernähren uns von den scheusslichen Lebensmitteln, wie sie die Plutokraten in ihren Kaufhäusern anbieten.


Kleidung

Unsere Kleidung ist schon zur Sprache gekommen. Die Textilindustrie macht magere Geschäfte mit uns. Tonnenweise werden alte Klamotten entsorgt. Wir bedienen uns.


Transport

Die zwanzig Kilometer zu unserem Büro in der Metropole hin und zu unserem Dach zurück trägt uns sommers und winters und bei jeder Witterung unser Velo. Wir finden, wenn ein Pferd keinen Regenschirm braucht, brauchen auch wir keinen. Unsere besten Ideen fallen uns auf dem Fahrrad ein. Im Büro, in den Justizpalästen und den Anstalten brauchen wir sie nur noch umzusetzen.

Es hat sich in der helvetischen Plutokratie eingebürgert, dass die Menschen sich vorzugsweise mit dem Auto fortbewegen. Ein Durchschnittsverdiener muss einen ganzen Tag pro Woche arbeiten, um sich ein solches Vehikel leisten zu können. Wer darauf verzichtet, darf ohne schlechtes Gewissen pro Jahr 2,4 Monate auf der faulen Haut liegen. Der ärger der Automobilfabrikanten soll ihn nicht weiter stören.


Heizung

Die Wärme unseres Hauses, welches wir eigenhändig isoliert haben, erzeugen wir mit Holz, das wir im Wald sammeln und mit dem Veloanhänger heimkarren. Die grosse Holzbeige, Vorrat für drei Jahre, passt ganz und gar nicht ins Quartier.

Der Spekulant, der unserer Mutter das Haus verkauft hat, hatte einen Ölbrenner installieren lassen. Wir haben ihn herausgerissen. Als der Heizkessel zu rinnen begann, hätten wir nicht gewusst, woher das Geld für einen neuen nehmen. Genau in jener Zeit boxten wir jedoch einen Mann aus der Anstalt, der ausnahmsweise Geld hatte. Der Rechnungsbetrag für die neue Holzheizung und unser Honorar waren praktisch gleich gross.

Solche Koinzidenzen gehören bei uns zur Tagesordnung.


Vergnügen

Unsere Ausgaben für die Vergnügungsindustrie liegen bei Null. Unsere Leben ist aufregender als jeder Kriminalroman. Zeitungen abonnieren wir keine, der Fernseher ist in der Mülltonne gelandet.


Gesundheit

Seit einem Vierteljahrhundert seuchen wir alle unsere Beschwerden und Krankheiten durch, ohne die Dienste eines Arztes oder Apothekers in Anspruch zu nehmen. Unsere Krankenversicherung haben wir gekündigt.


Reparaturen

Da wir wenig anschaffen, gibt es wenig zu reparieren. Alle Reparaturen, die wir irgendwie selber ausführen können, machen wir auch selber.


Ausgaben

Summa summarum [lat. = alles in allen] entsprechen unsere Ausgaben weniger als der Summe, welche in der helvetischen Plutokratie als das betreibungsrechtliche Existenzminimum bezeichnet wird.


Arbeit

Unser Büro ist, wie unser Staat, ein Einmannbetrieb. Das Mobiliar stammt aus dem Brockenhaus oder ist zusammengebettelt.

Unsere Arbeit wird vom Grundsatz "weniger ist mehr" und vom Erledigungsprinzip beherrscht: Wir nehmen nicht, wie der Hauptharst der Anwälte, Klienten an, bis wir nicht mehr wissen, wo uns der Kopf steht, so dass alle zu kurz kommen, sondern dosieren sorgfältig. Diejenigen, welche unsere Künste in Anspruch nehmen, verlassen mit dem, was sie wünschen, unser Büro. Wir komponieren den Brief, die Klage, Beschwerde oder was auch immer zusammen mit ihnen. Geht es in eine Verhandlung, ergeben sich die Argumente aus den Gesprächen und der gemeinsamen Lektüre der Akten. Was wichtig ist, bleibt in unserem Kopfe hängen und wird auch vorgetragen. Was uns nicht in den Sinn kommt, ist offensichtlich auch unwichtig gewesen. Den Rest des Futters liefern uns die Gegenparteien und Instanzen am Ort des Geschehens. Die bei der Anwaltschaft grassierende Furcht, etwas zu vergessen, kennen wir nicht. Die ehrlichste Begründung einer Klage, einer Antwort, einer Beschwerde oder eines Urteils ist für uns das knappe "weil es Uns so gefällt". Was darüber hinausgeht, ist Juristengeschwätz und der Sand, den sich alle gegenseitig in die Augen schaufeln. Wir haben die Fähigkeit entwickelt, einen Gerichtsentscheid genau an jener Stelle aufzuschlagen, wo nach vielen Umschweifen die knallharte Behauptung steht, welche nicht weiter begründet werden kann und die auch in keinem Gesetzestext eine Stütze findet. Diese Texte sind angesichts der unendlichen Vielfalt des Lebens - es gibt keine zwei Fälle, welche sich decken - ohnehin beliebig manipulierbar.

Den Ausgabeposten "Bibliothek" kennen wir nicht. Wir wissen, was wir wollen. Das brauchen wir bei keinem Kommentator nachzulesen. Als feudalbesoldete Ministranten der Plutokraten tragen diese sowieso nur Argumente gegen unsere Klientschaft zusammen.

Post und Telefonate werden sofort erledigt, Fehlentscheide wenn immer möglich noch gleichentags weitergezogen. Tendenziell setzen wir uns allerdings vom "Rechtsweg" ab. Bereits haben wir den Europ. Gerichtshof und das Bundesgericht definitiv abgebucht. Wir spüren, dass auch die niedere Gerichtsbarkeit in Bälde das Vergnügen unserer Anwesenheit wird missen müssen. Wir wollen uns doch nicht bis zu unserem seligen Ende auf die justizialen Leimspuren kleben lassen!

Unser Stil führt dazu, dass wir praktisch jeden Tag den Punkt erreichen, wo uns die Arbeit ausgeht. Neben unseren täglichen Velofahrten ist das die fruchtbarste Zeit. Was wir als ein solch "Arbeitsloser" anreissen, wird die Plutokraten und ihre Adlaten besonders stören.


Buchhaltung

Wir kommandieren keine Knechte und besitzen kein Vermögen. Unser administrativer Aufwand ist minimal. Wir müssen niemanden kontrollieren. Also brauchen wir, um ein Beispiel zu nennen, keine doppelte Buchhaltung. Ein einfaches "Milchbuch" reicht vollkommen, um gegen den Steuervogt anzutreten. Rechnungen stellen wir, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen, schon seit über einem Jahrzehnt keine mehr. Unsere Klientschaft besitzt kein Geld und könnte sich deshalb gar keinen Anwalt leisten. Es ist für uns selbstverständlich geworden, unser Honorar selbst zu organisieren. Es besteht praktisch ausschliesslich aus den geringen oder wacker gekürzten Entschädigungen, welche uns aus den gewonnen Prozessen und den nicht abgewiesenen Armenrechtsgesuchen zugesprochen werden.


Einnahmen

Summa summarum entsprechen unsere Einnahmen haargenau dem Betrag unserer Ausgaben. Wir haben nicht den geringsten Grund, unzufrieden zu sein.


Insel

Seit 13 Jahren ziehen wir uns jedes Jahr für rund drei Monate auf eine Insel im Mittelmeer zurück und leben in einem hundertjährigen, eigenhändig instandgestellten Haus, welches in einem halbverlassenen Dorf steht. Wie die Mücken ans Licht, sind seine Bewohner in die Städte aller Erdteile gezogen worden.

Auf der Insel erholen wir uns von unserem bürdevollen Engagement, schaffen Distanz, schöpfen die neuen Phantasien und Kräfte, um die Attacken gegen unsere KlientInnen und uns parieren und unsere Gegenschläge führen zu können. Ohne diese Rückzüge hätten wir uns schon längst verhauen und den Wächtern der Plutokraten ausgeliefert. Sie sind obligatorischer Bestandteil unserer Staatspolitik geworden.

Wir können die Elektro-, Wasserinstallation und alle Haushaltgeräte reparieren, weshalb wir bei unseren Nachbarn im Dorf gern gesehen sind, wenn wir mit unserer Werkzeugkiste auftauchen. Sie tauschen unsere Dienste mit ihren frischen Feldfrüchten. Von deren Verzehr leiten wir unsere Kompetenz ab, die miese Qualität der Lebensmittel in den helvetokratischen Supermärkten beurteilen zu können.

Mit der Tauschwirtschaft kommen wir unserem Idealstaat am allernächsten. Wir haben keine Einnahmen, aber auch keine Ausgaben. Wir erfahren selbst, wie erstaunlich wenig der Mensch zum Leben eigentlich braucht. Kaum klarer als hier auf der Insel können uns die dem Volk abgeknöpften Tribute und der aberwitzige Aufwand ins Bewusstsein treten, welchen die Plutokraten mit ihrem Luxus und dessen Absicherung beispielsweise durch das Militär und die Polizei betreiben.

Da ja auch wir mit jedem von uns ausgegebenen Rappen deren Herrschaft stützen, entwickeln wir immer raffiniertere Methoden, um den Geldfluss einzudämmen.

Wir steuern leidenschaftlich gern ein Segelboot durchs Meer und in die neckische Harmonie von Wind und Wellen. üblich wäre, mit ordinärer Anwaltsarbeit soviel Geld aus unserer Klientschaft zu schinden, dass wir eine Yacht kaufen oder chartern könnten. So etwas käme uns nie im Traum in den Sinn. Statt dessen haben wir eine ausgediente, uns überlassene Jolle mit minimalsten Mitteln hochseetauglich gemacht, sodass wir uns das Abenteuer einsamer Fahrten im offenen Meer leisten können. Kentern wir durch, tauchen wir ins Cockpit und ziehen am Spinackerfall einen in der -glocke verstauten Ball ans Masttop „hinunter“. So erhalten wir den notwendigen Auftrieb, um die Kiste in die horizontale Lage zu bringen und können sie alsbald, indem wir aufs Schwert stehen, vollends aufzurichten. Die Gefühle, welche uns dort draussen besuchen, helfen uns nicht schlecht, uns im Sumpf der helvetischen Finanzmetropole zu bewegen. 


Geld und Liebe

Dem herrschenden Prinzip, möglichst viel Geld zu verdienen, setzen wir unseres gegenüber, nämlich möglichst nichts auszugeben. Entsprechend brauchen wir auch kein Geld zu scheffeln. Wir legen keinen Rappen beiseite, was dazu geführt hat, dass die Anwaltswächter, welche uns einmal wegen einer uns aufgebrummten Busse betrieben hatten, nur einen vom Betreibungsbeamten ausgestellten Verlustschein erfochten haben. Flugs haben sie auch das zum Gegenstand eines Verfahrens gegen uns gemacht. (Wir glauben, es gibt bald keine Vorwürfe mehr, welche nicht schon gegen uns erhoben  worden sind.)

Unsere Geldarmut ist kein aus der Not geborenes Prinzip. In den Anstalten sind wir mit dem Zeug, welches es für das Amt eines Ministranten der Plutokraten braucht, perfekt ausgerüstet worden. Vom Toilettenputzer bis zum Generaldirektor könnten wir jeden Posten besetzen, alle Löhne zusammen kassieren und uns im Gelde baden. Es hat auch nicht an Versuchen von Plutokraten gefehlt, uns anzulocken und in den Dienst ihrer Interessen zu stellen. Wir haben sie alle zum Teufel gejagt.

Wir wüssten auch nicht, wofür es sich lohnte, Geld auszugeben.

Wir sind bald nach der Entlassung aus der Erziehungsanstalt der Liebhaber einer steinreichen, lebenserfahrenen Frau gewesen. Sie hat uns nach London in ihre Privatsuite eingeladen. Zuerst liess sie uns in ein Bekleidungsgeschäft an bester Adresse chauffieren und unter ihrer kundigen Anleitung ausstaffieren. Mit einem eleganten jungen Herrn kehrte sie in ihre Gemächer zurück. Als wir ohne ihre Begleitung auf einem unserer ersten Streifzüge - wir hatten uns den höchsten Turm vorgenommen, um von dort die Stadt zu überblicken - nicht wie empfohlen das Taxicab, sondern die U-Bahn benutzten und in unserer Brusttasche nach Geld für die Fahrkarte kramten, hielten wir 10000 englische Pfund in den Händen. Das war damals in den 60-er Jahren noch ein ziemlicher Haufen Geld. Abends pflegten wir in nobler Gesellschaft in ebensolchen Lokalen zu dinieren. Von all diesen Anlässen ist uns nur noch in Erinnerung, dass wir auf eine derart zuvorkommende Art bedient worden sind, wie nie zuvor oder nachher in unserem Leben. Ein kleines Zucken und schon stand so ein Kerl da. Von der Tafel ging's zum Roulettetisch. Als wir dort die Dame wegen des "Zustupfs" zur Rede stellten, schob sie uns als Antwort unauffällig einen Stapel Chips herüber. Wir haben ihn nicht angerührt. Nicht an jenem, aber an einem anderen Abend haben wir beobachtet, wie sie den Tisch gesprengt hat, sodass das vorhandene Bargeld des Etablissements nicht mehr ausreichte und sie es mit einem Check verlassen musste. Wir besuchten die Konzerte, Kabaretts,  Filmpremieren und sassen immer auf den besten Plätzen. Wir haben gesehen, was die Engländer in den Kolonien abmontiert und in ihre Museen gestellt haben.

Zufälligerweise fiel unsere Affäre in eine Zeit, da uns die Armee der helvetischen Plutokraten aufgeboten hatte, einen militärischen Wiederholungskurs zu absolvieren. Auf Versäumnis stand Knast. Wir besprachen das Problem mit unserer Mäzenin. Noch am gleichen Tag hielten wir das Zeugnis eines Arztes in den Händen, welcher uns Kerngesundem ohne uns je gesehen zu haben eine Krankheit bescheinigte. Wir schickten es per Luftpost dem Oberbefehlshaber unserer Kompanie. Im Büchlein steht, wir seien in absentia vom Dienst dispensiert worden.

Die Dame hat uns in die Kunst der Liebe eingeweiht. Unsere Erwiderungen haben sie bezaubert. Das wiederum hat uns berührt. Und so ging das immer weiter. Drei Monate schon gab sie jeden Tag Unmengen Geld aus und zeigte nicht die geringsten Ermüdungserscheinungen.

Uns ist nicht die Liebe, aber das Drum und Dran zuviel geworden.

Wir reisten ins Renditenhaus des Spekulanten zurück.

Sie hat uns noch einmal gerufen und wir sind diesem Ruf gefolgt, um wehmütig Abschied zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit hat sie uns prophezeit, wir würden ein wunderschönes junges Mädchen zur Frau nehmen.

Die Prophezeiung hat sich erfüllt.


Geld und nochmals Geld

Seit sich herumgesprochen hat, wir seien ein überaus hartnäckiger Anwalt, werden wir immer wieder mit Angeboten konfrontiert, Aufträge zu übernehmen, in welchen um viel, sehr viel Geld gestritten wird. Wiewohl wir von Anfang an wissen, dass wir das Mandat nie führen werden, lassen wir uns doch umfassend instruieren. Es geht um Erbschaften, Gütertrennungen, Geschäftsteilungen und vieles andere mehr. Einer hat uns anheuern wollen, welcher einer Schweizer Bank vorgeworfen hat, sie habe ihn um mehrere Millionen betrogen. Ihn haben wir absichtlich längere Zeit warm gehalten, um uns genaueren Einblick in das Bankgebaren verschaffen zu können.

Bei allen Eigentumsdelikten gibt es immer einen "Geschädigten", der einen "Vermögensschaden" erleiden muss.

Der Arme!

Uns fehlt jegliche Einsicht, sein Möchtegernplutokratenprinzip zu bewundern und seinen Schaden zu bedauern.

Wir hatten und haben Gelegenheit bis zum Verdruss, die Wirkungen und Implikationen des Geldes auf die Menschen global und einzeln zu verfolgen. Unser Schluss ist unumstösslich: Geld bringt Unglück.

Diejenigen, welche es haben, müssen sich ein ganzes Leben lang pausenlos darum kümmern, um es sich zu bewahren. Und diejenigen, die keines haben, verzehren sich lebenslänglich danach.

Wir verspüren nicht die geringste Lust, unsere kostbaren Tage mit solchem Blödsinn zu verplämpern.


Freigeist

Das herausragendste Element unseres eigenen Freistaates ist unser Bewusstsein, ein gewöhnlicher Sterblicher zu sein. Uns begegnende Probleme knacken wir mit der einfachen Feststellung, dass unser Tod unmittelbar bevorsteht. Augenblicklich hat sich das Problem erledigt. Nur was im Angesicht unseres Todes noch Wichtigkeit für sich beanspruchen kann, ist auch wirklich wichtig. Es sind dies die Fragen nach dem woher und wohin und nach den Geheimnissen des Lebens überhaupt.

Wir betrachten nicht bloss uns, sondern jeden Menschen als gewöhnlichen Sterblichen. Wer auch immer sich vor uns in seiner Herrlichkeit aufzubauen trachtet, reduzieren wir auf den Moment seines letzten Atemzuges. Mit der ganzen Herrlichkeit ist's sofort aus und vorbei.

Im Gegensatz zu all diesen Staaten, die mit Stolz auf die Jahrhunderte ihrer Vergangenheit zurückblicken, unermüdlich die grosse Zukunft heraufbeschwören und doch nichts anderes als beständig ihre jämmerliche Gegenwart verdecken müssen, wissen wir, dass unser Freistaat uns keine einzige Sekunde überdauern wird.

Wenn auch immer wir Angehörige fremder Staaten mit unserer Innen- und Aussenpolitik konfrontieren, rennen wir offene Türen ein. Im Grunde ihres Herzens wissen oder ahnen die Menschen, dass sie von den wasserpredigenden und weinsaufenden Volksverführern gewaltig übers Ohr gehauen werden. Was den meisten fehlt, sind lediglich die paar den Betrug kurz und bündig umschreibenden Sätze. Dass wir ihnen den Text liefern, schafft Erleichterung. Stellen wir schliesslich noch gemeinsam fest, dass die imposanten Fassaden der Mächtigen dieser Erde ausnahmslos hohl sind, kommt schon fast ein bisschen Mitleid für sie auf. Die Betrüger betrügen sich letztlich selbst.  


Der Sinn des Lebens

Wir haben Theorie und Praxis unseres eigenartigen Freistaates ausgebreitet. Es sind keine Anleitungen, wie mit minimalem Aufwand maximaler Gewinn zu scheffeln ist. Klar dürfte geworden sein, dass wir weder ein an einer Kasse Sitzender, mit der linken Hand die Ware aufs Förderband Legender, die Preise Ablesender, sie mit der rechten Eintippender, das Total Nennender, Münzen und Noten Einsammelnder noch ein das alles überwachender Direktor und schon gar nicht der das Geld einsackende Plutokrat sein wollen.

Rekapitulieren wir Sinn und Zweck unseres bisherigen Lebens, so sind wir die eine Hälfte darauf abgerichtet worden, zu Nutzen und Frommen der Geldherren Funktionen in der Herstellung, im Vertrieb, in der Beseitigung von Waren oder im Dienstleistungssektor zu übernehmen.

Statt nun aber einen tüchtigen Erfolgsratensteigerungsgehilfen abzugeben, haben wir uns die andere Hälfte unseres Lebens auf die Seite jener Menschen geschlagen, welche die Unternehmungen der Plutokraten permanent stören und sabotieren.

Vom schulökonomischen Standpunkt aus betrachtet handelt es sich bei uns um eine glatte Fehlinvestition.

Wir wissen nicht, wie lange wir noch auf dieser Erde wandern werden. Unser Ziel ist, den Rest unseres Lebens als jener vollkommene Anarchist zu verbringen, welcher seine Hütte neben seinem Acker aufstellt und sämtliche Brücken zu den „Demokratien“ oder dergleichen abbricht.

Vielleicht gelingt es uns so, auf einem stillen Flecken dieser Erde den eigentlichen Sinn unseres Lebens zu entdecken. 

Hvar 1993


Die Krönung

Prophetische Worte! Just, als ich sie niedergeschrieben hatte, erreichte mich in Hvar ein anonymes Schreiben des Inhalts, man hätte zwar nichts gegen mich, aber meine Frau sei Serbin und die Serben würden Krieg gegen die Kroaten führen und Kroaten töten. Meine Frau habe schleunigst aus dem Land zu verschwinden. Das hat uns veranlasst, in Serbien ein gut eine Hektare grosses Bauernhöfchen zu suchen. Wir haben es gefunden.

Der unmittelbare Anlass, meine Zelte in Blutgeldmetropolien definitiv abzubrechen, hätte typischer nicht sein können. Bekanntlich stehen die dortigen Untertanen permanent unter der Knute von Steuervögten. Auch mich versuchten sie zu behelligen. Gemäss Steuergesetz ist jeder Selbständigerwerbende verpflichtet, seine Einnahmen und Ausgaben zu verzeichnen und zu belegen. Meine Bilanzen fielen aus den schon dargestellten Gründen regelmässig derart kläglich aus, dass lediglich eine minimale Kopfsteuer in den Staatssäckel floss. Weil niemand mir als Anwalt dies abnehmen wollte, bin ich Jahr für Jahr vor den für mich zuständigen Kommissar zitiert worden.

Das Ritual war das immer gleiche: In sein tristes Kämmerchen bin ich mit dem schon erwähnten "Milchbüchlein", meinem Belegsordner und einem vorbereiteten A3-Blatt angerückt, in welches ich mit der Schere ein kleines Fensterchen geschnitten hatte, gross genug, um eine Zahl zu zeigen. Im Büchlein gab es nur zwei mit "Ein" und "Aus" bezeichnete Spalten und den dazugehörenden Text "Honorar" bzw. "Spesen" sowie eine Ordnungsnummer, welche dem im Ordner verstauten jeweiligen Beleg entsprach.

Bereitwillig überreichte ich es dem Beamten, erläuternd, das Steuergesetz verlange lediglich eine minimale Aufstellung, welchem Erfordernis meine Zahlenreihen spielend genügten. "Zeigen Sie mir den Beleg für den Einnahmeposten soundso", eröffnete er seine Prüfung. Ich liess mir die Ordnungsnummer nennen, öffnete mit einem Griff meinen Ordner und verdeckte den Inhalt der Urkunde mit meinem vorbereiteten Blatt. Das Fensterchen führte ich auf ihr zur Stelle, wo die im Büchlein notierte Zahl aufschien. Darauf durfte er dann einen Blick werfen. "Alles andere ist Anwaltsgeheimnis", habe ich mit keinen Widerspruch erheischendem Ton nachgedoppelt. Nach ein paar weiteren Stichproben, bei welchen die Eintragungen im Buch und auf den Belegen ziffernmässig haargenau übereinstimmten, pflegte er sich umzuwenden, den meine Steuererklärung bekräftigenden Einschätzungsentscheid in seine Schreibmaschine zu hacken und ihn mir mit der Bemerkung zur Unterschrift hinzustrecken: "Ausser Spesen nichts gewesen".

Dieser Beamte hatte offensichtlich kapiert, dass ich kein ordinärer Anwalt gewesen bin und dass meine ausgeklügelte Ökonomie nicht Theorie, sondern Praxis war.

1994 hat sich das Blatt gewendet. Ein neuer, ausgerechnet in der gleichen Anstalt wie ich erzogener Steuerkommissar war für mich zuständig geworden, ein Grünschnabel und Karrierist in einer Person, welcher gleich zu Beginn der Prüfung grossspurig hinausposaunte, seine scharfen Methoden hätten dem Staat schon Millionen eingebracht. Die Art, ihn in meine Karten blicken zu lassen, behagte ihm überhaupt nicht. Nach wenigen Proben brach er die übung ab und erklärte, ich würde schriftlich Bescheid bekommen. Prompt flatterte eine Verfügung ins Haus, wonach ich ihm sämtliche Bankunterlagen einzureichen hatte. Meine Telefonate bei rund zehn Kollegen ergaben, dass dies noch keinem untergekommen war. Also schnitt ich aus dem Telefonbuch die Seiten mit der Anwaltsrubrik aus und stellte den Beweisantrag, es seien sämtliche gemäss Beilage aufgelisteten rund eintausend Anwälte der Blutgeldmetropole als Zeugen darüber einzuvernehmen, ob sie in einem Steuerverfahren ihre Bankunterlagen vorzuweisen hatten. Falls dies nicht der Fall sei, würde ich willkürlich ungleich behandelt, was gegen das verfassungsmässige Gleichheitsgebot verstosse.

Natürlich hat der Vogt sehr wohl gewusst, dass ein solches Beweisverfahren für ihn höchst ungünstig verlaufen wäre, weshalb er ohne Federlesen zum nächsten Streich ausgeholt und mich selbstherrlich mit irgendeiner Phantasiezahl eingeschätzt hat, welche der Staatskasse das rund Tausendfache meiner üblichen Kopfsteuer beschert hätte.

Da hat er mich aber schwer unterschätzt! Um mich über die honorigen Herren noch lustig zu machen, habe ich seinen Entscheid angefochten, so dass es zu einer Verhandlung vor der zuständigen Rekurskommission kam. Damals hatte ich während meiner jährlichen Retraiten gerade Gelegenheit, auch noch mit Yachten weit über die Meere zu segeln, was ich mir gratis und franko ermöglichte, indem ich sie Tausende von Meilen überführte. Die blanke Willkür des Beamten habe ich in meiner Schelte gegen den Steuerbescheid nur am Rande gestreift. Mit dem weisen Volksmund, wonach eine Krähe der andern kein Auge aushackt, sah ich das Verdikt klar voraus. Das habe ich auch gebührend betont. Meine Argumente gipfelten in der heiter vorgetragenen Erklärung, es werde mir eine Ehre sein, einen schweizerischen Betreibungsbeamten auf hoher See zu empfangen. "Müssen wir uns das überhaupt anhören", entfuhr es einem Mitglied. Die Sitzung war geschlossen.

Da mein Exodus bereits programmiert war, meldete ich mich sofort in der Schweiz ab. Auf die Frage, wohin, antwortete ich, das gehe niemanden etwas an. Während ich schon im Ausland war, flatterte die gesalzene Rechnung des Steueramtes an meine alte Adresse. Sie ist bis heute unbeglichen geblieben. Die Behörden haben gar nicht erst versucht, ihr "Guthaben" einzutreiben. Aufgrund meiner Steuerakten wussten sie zuverlässig, dass mangels pfändbarem Vermögen lediglich ein Verlustschein resultiert hätte.

Also doch: "Ausser Spesen nichts gewesen..."

Jetzt brauche ich keine Steuererklärungen mehr auszufüllen, Krankenkassen zu bereichern, auf Schritt und Tritt das Portemonnaie oder eine Kreditkarte zu zücken. Es ist mir sogar gelungen, die Hypothekarschulden meiner Kinder und damit auch die Zinslast zu liquidieren - wie, das bleibt mein Staatsgeheimnis.

In einer ersten Phase nach meinem glänzenden Abtritt pendelte ich noch zwischen dem neuen Mittelpunkt meiner Lebensbeziehungen und dem Ort meines früheren Wirkens hin und her, um ab der Jahrtausendwende nur mehr jeden zweiten Winter nach Alpengermanien zu reisen und - wie schon Tucholsky für seine Zeit - jedes Mal erneut festzustellen, dass "noch alles beim Alten" ist.

Es ist für mich keine Frage, dass ich als Urbauer zur überhaupt effizientesten Lebensstrategie zurück gefunden und damit meiner eigenen Souveränität die Krone aufgesetzt habe.


Der geniale Pakt mit der Natur

Während ich in der Schweiz zu hundert Prozent von der Landwirtschafts-, der Lebensmittel-, der übrigen Industrie, dem Zwischenhandel und den Dienstleistungen abhängig war, um meine Grundbedürfnisse zu decken, hat sich dieser Grad inzwischen auf rund fünf Prozent verringert. Meine Nahrung produziere ich - von Öl, Zucker und einigen wenigen anderen Produkten abgesehen - selber. Haus und Hof werden von mir unterhalten. Meine Kleidung stammt vorwiegend aus im Westen fortgeworfenerer Garderobe. Das Minimum an Geld, rund ein Zwanzigstel dessen, was ich in Plutokratien brauchen würde, verdiene ich mir, indem ich Zwangspsychiatrisierte und ihre Angehörigen berate, welche via Internet an den Verein PSYCHEX gelangen.

Mein Alltag ist spannend und abwechslungsreich. Um keinen Preis möchte ich mit einem Staatspräsidenten, Bankdirektor, Fabrikanten oder einem ihrer Lakaien tauschen. Ohne falsche Bescheidenheit kann ich sagen, dass ich - soweit dies menschenmöglich ist - weiss, was die Welt im Innersten zusammenhält.

28. Oktober 2004

Edmund Schönenberger



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Urbauer oder Städter?


Das Dasein als Urbauer - das ist ein Bauer, der nur sich selbst versorgt und nicht so blöd ist, noch bis zu einem halben Hundert Herren- und Lakaienmäuler in den Metropolen zu stopfen - ist schlicht genial!

Wenn ich in Zürich existieren will, muss ich die Nahrung kaufen. Sie ist von der Agrar- via Lebensmittelindustrie und Zwischenhandel im Gestell des Selbstbedienungsladens gelandet. Alle haben kräftig abgesahnt. Ich bezahle die ganze Zeche. Und obendrein muss ich Aufbau und Unterhalt der für den Zirkel und die Wasserköpfe erforderlichen gewaltigen Infrastruktur mitfinanzieren. Um solvent zu sein, muss ich mich irgendeinem Arschloch verkaufen oder einen Einfältigen übers Ohr hauen. Die Maschinen der Fabriken legen den Takt vor. Ein unendlicher Stress herrscht, um das Rohmaterial zum Fliessband und das Endprodukt zum Konsumenten zu schleusen. Jeder überschreit jeden, um seine Ware als die Beste anzupreisen. Erziehung und Medienterror waschen mein Gehirn. Gestank und Lärm verpesten die Umwelt. Die Technik und ihr Zerstörungspotential speien Tod und Verderben. Die nationalen und globalen Ungleichgewichte reissen einen Konflikt, einen Krieg nach dem andern vom Zaune. Hilf- und machtlos bin ich dem Irrsinn, Getümmel und Leerlauf ausgeliefert.

Hier in Knezevac spanne ich locker mein Pferd vor den Pflug, ziehe die Furchen, setze die Kartoffeln und mein übriges Gemüse, jäte gelegentlich, ernte im Überfluss, brate und koche einen Teil laufend auf meinem Holzherd und versorge den Rest als Vorrat im Keller. Oder ich strecke im Obstgarten einfach die Hand aus. Meine Hühner zeigen mir durch Gackern an, wo sie ihre Eier für mich versteckt haben. Ich streife durch Feld und Wald und labe mich an den wilden Beeren. Alles ist für den Menschen wie geschaffen. Zauber und Faszination der Natur übertreffen die - letztlich simplen - zivilisatorischen Errungenschaften. Niemand treibt mich an, niemand macht mir meine kleine Scholle streitig. Sie ist nicht mit Chemie, sondern, mit Pferde-, Schaf- und Hühnermist gedüngt. Keine Reklamen, keine Preisetiketten, keine Produktinformationen, kein Zwischenhandel, keine Infrastruktur, keine Staatsverwaltung, keine Fabrikanten samt ihren Adlaten sind allgegenwärtig. Ich brauche nicht beständig nach dem Portemonnaie greifen. Das Leben ist überschaubar.

Mit dem Industriezeitalter und seinen Auswüchsen ist zweifellos die bisher grösste Tragödie und Katastrophe über die Menschheit hereingebrochen.

Ich sitze in der Küche unseres kleinen Häuschens. Es ist Jagdzeit. Mein Nachbar hat vor ein paar Tagen 5 Hasen geschossen und uns einen geschenkt. Wir haben ihn in Wein eingelegt und gestern im Tontopf mit vielerlei Zutaten gar gekocht. Jetzt habe ich gerade seinen Kopf verschlabbert. Zacki, unsere Hündin, wird sich über die Knochen freuen.

Mit Mera, meiner Stute, mache ich häufige Ausritte. Ein Zaumzeug braucht es nicht. Sie reagiert zuverlässig auf den rechts und links am Halfter befestigten Strick, die Fusshilfen und Zurufe. Querfeldein geht's über abgeerntete Äcker und Wiesen oder durch die unberührte Landschaft. Ich trainiere sie, damit ich mich in zwei, drei Jahren ohne Sattel und Halfter auf sie schwingen und losreiten kann.

Der Umgang mit meinen Nachbauern ist herzlich und unkompliziert. Unabhängig davon, dass sie sich ihr Leben vollkommen unnötig erschweren, indem sie die Städter füttern, sind sie alle Meister ihres Faches und ich profitiere von ihrem jahrhundertealten Erfahrungsschatz.

Am westlichen "Standard" gemessen hause ich hier unheimlich "primitiv". Was für die meisten Menschen unerträglich wäre, ist für mich eine regelrechte Erleichterung. Ich bleibe davon verschont, all diesen enormen (und perversen) Aufwand betreiben zu müssen, um elegant, modisch, gepflegt oder sonst wie zu erscheinen.

Natürlich behaupte ich nicht, das Paradies gefunden zu haben. Auch mir bleibt nichts erspart, was dem Menschen, egal ob Urbauer oder Stadtbewohner, eigen ist. Das alles teile ich mit allen. Lebensqualität und Bewusstsein jedoch, welche mit dem Urbauerntum verbunden sind, sind unüberbietbar.

Wenn die Menschen in den Metropolen das genau umgekehrt sehen, macht mir das allerdings nicht die geringste Mühe. Hauptsache, sie stören meine Kreise nicht.

So - nun habe ich wieder einmal ein bisschen resümiert. Es ist wenig und wohl kaum nachvollziehbar. Aber es gehört gerade eben auch zu diesem anderen Leben, dass es nicht beschrieben, sondern nur ge- und erlebt werden kann.

Schreiber und Urbauer zu sein, schliessen sich aus. Es reizt mich denn auch nur noch sporadisch, mit Glossen über jene herzufallen, mit welchen ich mich damals in Alpengermanien täglich herumgebalgt habe, wobei hüben und drüben zentnerweise mit Buchstaben übersäte Makulatur produziert worden ist.

Was für ein Blödsinn das doch gewesen ist!

Herbst 2003

Edmund Schönenberger


--> Fortsetzung: Teil 3
"Weil es Uns so gefällt!"
über die Schweiz und ihr Bundesgericht


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