A u s
Z ü r i c h n i c h t s
N e u e s :
Folter mit "Tränengas"
1980
Plus: Gleichschaltung,
Unterschlagung, Zensur:
Das (nicht ganz grundlose)
Schweigen der Medien
Komplizenschaft des Universitätsspitals
Fälle
aus der Dokumentation der Autonomen Sanität und der
Vereinigung unabhängiger ÄrztInnen Zürich (VUA)
(vergriffen),
Auszüge aus Reto Hännys zensiertem Magazin-Bericht
Tages-Anzeiger vom 17.10.80 u. 8.11.80
Auszug Interview der Videogruppe 1980
>>>Folter
und Verletzungen durch "Tränengas" 1980-81:
Täter allesamt "nicht eruierbar" (und falls doch freigesprochen)
Die hier dokumentierten Fälle von "Tränengas"-Folter
liegen mittlerweile 20 Jahre zurück und sind trotzdem
noch erschreckend aktuell. Ihnen allen (wie auch den jüngeren
aus den Jahren 2002 und 2001)
ist der Umstand gemeinsam, dass es offensichtlich Polizeibeamte
gab und gibt, die aus Jux oder Spass an der Freude vor Folter nicht
zurückschrecken, solange sie davon ausgehen können,
dafür nicht belangt zu werden (wofür die Handhabung
rsp. glatte Leugnung des Problems durch Kommando, Polizeivorstand
und Staatsanwaltschaft nach wie vor Gewähr bieten), und die
glaubt man den offiziellen Beteuerungen von der gründlichen
Ausbildung sämtlicher BeamtInnen offensichtlich wider
besseren Wissens Gesundheit oder gar das Leben zahlreicher BürgerInnen
mutwillig gefährden, indem sie Stoffe der Giftklasse 1 (CN)
und 2 (CS) handhaben, als handle es sich dabei um "harmlose"
Scherzartikel wie etwa Juckpulver o.ä. >> Siehe dazu
ebenfalls die seit Jahrzehnten systematische betriebene, pauschale
"Eingasung" auch bewilligter, friedlicher Demos
sowie alternativer Kulturzentren.
Damals
wie heute zeigt sich, dass sowohl verantwortliche Vorgesetzte und
PolitikerInnen wie auch die Justiz dieses Fehlverhalten weder im Griff
haben, noch ernsthafte Anstalten zu treffen gewillt sind, um es wenigstens
vielleicht künftig in den Griff zu bekommen. Im Gegenteil:
Obwohl (genau aus diesen Gründen) beispielsweise die Kennzeichnung
sämtlicher BeamtInnen mittels Namensschildern oder Nummern
seit Jahren (bald Jahrzehnten) vorgeschrieben wäre, pfeift
die Polizei auch in dieser Beziehung wie gewohnt auf Vorschriften,
Recht und Gesetz.
Eine
weitere beängstigende Parallele zeigt sich im ebenfalls seit
den 80ern dokumentierten vorschriftswidrigen
Verwenden von illegalen Waffen (Stahlruten
etc.), welche damals wie heute dank korrupten
BeamtInnen in Staats- und Bezirksanwaltschaft selbstverständlich
ungeahndet bleibt.
Einmal mehr ist auch zu konstatieren, dass die Medien
betreffend Polizeiübergriffe in ihrer Aufgabe als öffentliche
Wächter des "Rechtsstaats" damals wie heute schmählich
versagen (Ausnahmen
bestätigen die Regel) die einen aus ideologischen Gründen,
die anderen "wegen dem Geld". Umso nötiger wäre
eine wirklich unabhängige Kontroll-, Untersuchungs- und Beschwerdestelle,
wie sie z.B. Amnesty International nicht ganz zufällig schon
seit langem fordert.
1.) Auszug Pressemappe PK 18.8.1980
(Doku 29-31)
1a) Einleitung (Doku S. 29)
Verschiedene
Länder haben 1977 einen Beschluss des Internationalen Komitees
des Roten Kreuzes unterzeichnet, der das Rote Kreuz auch bei innerstaatlichen
Konflikten zum eingreifen verpflichtet. Die Schweiz hielt es bisher
nicht für nötig, diese Konvention zu unterzeichnen. Während
Demonstrationen zeigte es sich, dass wegen der brutalen Polizeieinsätze
ein Sanitätsdienst unumgänglich ist. Am 12. Juli 1980 wurde
eine freiwillige Sanitätsgruppe trotz deutlicher Kennzeichnung
durch Armbinden und bezeichneten Autos von der Polizei am Einsatz
gehindert, ja sogar brutal zusammengeschlagen. Darüber berichtete
die Presse am 14. Juli. Auf Grund dieser Schweinerei beschwerten wir
uns beim Kommandanten der Zürcher Stadtpolizei Dr. Bärtschi
und forderten, dass bei zukünftigen Einsätzen an Demonstrationen
eine Autonome Sanitätsgruppe ungehindert arbeiten dürfe.
Die Bewilligung traf am 22. Juli bei uns ein. Während unserer
Arbeit vom 30. Mai bis 1. Juni, am 9. Juni, 22. Juni und 12. Juli
[1980] ergaben sich durch brutalen Polizeieinsatz unter anderem folgende
Verletzungen:
- Das Tränengas verursachte Verätzungen
und Verbrennungen II. und I. Grades. Auch bei den Augen haben wir
Verätzungen festgestellt und diese Leute in die Augenklinik geschickt.
Wir bemühten uns um Informationen aus der Augenklinik, bis jetzt
aber erfolglos.
-Gummigeschosse verursachten böse Rissquetschwunden. Dazu gab
es Fälle von: Ohrmuschelprellung und Augenverletzung.
-
Bei Verhaftungen wurden Knüppel und von
den Zivilen auch Stahlruten eingesetzt.
Bei diesen Spezialbehandlungen gab es Nasenbeinbrüche, Prellungen,
Striemen, Platzwunden am Körper, Schädel und Gesicht. Gehirnerschütterungen
waren an der Tagesordnung.
- Faustschläge und Beintritte vor und während Verhaftung
verursachten ebenfalls erhebliche Prellungen an Kopf, Hals, Gesicht
und Körper. Es gab abgebrochene Zähne, Blutergüsse,
offene Wunden und Kiefergelenkquetschungen. Des weiteren Fusstritte
in die Geschlechtsteile und in Die Nierengegend.
Die betroffenen Patienten gaben uns die Vollmacht, diese Informationen
aus ihrem Arztzeugnis oder direkt beim Arzt einzuholen.
Es gab noch andere Verletzungen, nämlich die gegen die PSYCHE
und die ETHIK. Unserer Meinung nach hat jeder Mensch ein gesundes
Verhältnis zu seinen Menschenrechten. Wenn diese verletzt werden,
ist er ethisch und psychisch verletzt. Verletzung en in diesem Sinne
wurden durch Aussagen von Verhafteten offenbar.
Folgende Rechte wurden missachtet auf dem Polizeiposten :
Anspruch auf Arzt, Telefon, WC-Papier, Kaffee, Essen. Es wurden Verhaftete
verprügelt und beschimpft. Die Einnahme wichtiger persönlicher
Medikamente wurde verweigert.
Wir
und auch die Polizei wissen, dass nasse, mit Tränengas durchtränkte
Kleider auf der Haut weiter ätzen. In den meisten Fällen
hielt es die Polizei jedoch nicht für nötig, den Gefangenen
auf dem Posten die Möglichkeit zum Kleider wechseln zu geben.
Zum Teil wurden die Verhafteten in kalten Zellen untergebracht und
erhielten auch auf Verlangen hin keine Wolldecken.
Während längerer Inhaftierung und in Untersuchungshaft wurden
Zigaretten und Spaziergang verweigert.
Dies sind klare Verstösse gegen die Verordnung über kantonale
Polizeigefängnisse vom 25.6.1975, respektive gegen die Abänderung
dieser Verordnung vom 9.3.1977.
Bezüglich Uebertritte gegen die Ethik stehen die Spitäler
auch nicht sauber da. Aus Zeugenaussagen haben wir Kenntnis über
unverhältnismässig lange Wartezeiten und Beleidigungen von
Demonstranten, während Polizisten bevorzugt behandelt wurden.
Zum Glück gibt es auch Ärzte, bei denen ALLE Patienten die
gleichen Rechte haben.
1b) Zeugenbericht Notaufnahme Universitätsspital
12./13.7.80 (S. 30)
Ich begab mich wegen Schwartenriss in den Notfall des Kantonsspitales
Zürich. Während der zwei Stunden Wartezeit machte ich im
Aufnahmeraum folgende Beobachtungen:
- Ein Patient mit einer offenen Wunde am Hals, von einem Gummigeschoss
herrührend, musste über zwei Stunden warten, ehe er versorgt
wurde.
- Einem Patienten mit Verbrennungen an der Hand
wurde die Schmerzbehandlung verweigert mit dem Spruch, der wolle ja
sowieso nur eine Spritze! Der solle die Hand unters kalte Wasser
halten, was der Betroffene dann auch tat, und zwar ca. 2 Stunden lang.
- Sieben Personen kamen von Tränengas/ Wassergemisch völlig
durchnässt in die Notfallaufnahme. Auf eventuelle Verätzungen
wurden sie nicht untersucht, sondern als Simulanten beschimpft und
nach Hause geschickt zum Duschen.
- Auch im Spital sind nicht alle Menschen gleich. Handelte es sich
beim Verletzten um einen Polizisten, wurde er hinter einen Vorhang
geführt und so den Blicken der übrigen Patienten entzogen.
Ein Typ in "ausgeflippter" Kleidung, offensichtlich ohne Verletzung,
bespitzelte die Anwesenden und begab sich zwischen hinein hinter den
Vorhang zu den wartenden Polizisten.
- Die Polizisten wurden im Spital bevorzugt behandelt. Keiner musste
länger als eine halbe Stunde warten. Nach meinen Beobachtungen
gab es unter ihnen keine schweren Verletzungen, ganz im Gegensatz
zu Demonstranten und Passanten.
- Während der Wundversorqung im Behandlungsraum mussten wir uns
etwelche dummen Sprüche gefallen lassen, so über Erschiessen,
nach Sibirien schicken, selber schuld etc. etc., und zwar von Seiten
der Schwester wie auch von der behandelnden Aerztin. Ein Mitpatient
ertrug das nicht mehr und rief aus, worauf er von einem Pfleger recht
brutal "zurechtgewiesen" wurde.
Deprimiert und um einige Illusionen ärmer verliess ich das Spital.
Allergrösste Anstrengungen brauchte es dann noch, um ein ärztliches
Zeugnis zu erhalten.
1c) Zeugenbericht 1.6.80 (Doku S. 30)
Ich bin am frühen Morgen des 1. Juni 1980 zufällig in die
Demonstration geraten. Als plötzlich alle Leute um mich herum
davonrannten, blieb ich mit erhobenen Armen stehen und rief sofort,
sie, d.h. die Polizei, solle mich in Ruhe lassen, ich habe nichts
mit der Demonstration zu tun. Eine Gruppe von ca. 5-8 Polizisten rannte
auf mich zu und verprügelte mich so, dass ich stürzte, schrie,
mich möglichst klein machte und zusammenkrümmte, um so wenig
wie möglich abzukriegen. Wie lange- ich noch verprügelt
wurde, weiss ich nicht mehr, der Transport zum Gefängniswagen
ist mir nicht mehr in Erinnerung. Ich war zwar nicht bewusstlos, habe
meine Verhaftung aber nur noch schemenhaft in Erinnerung. Im Gefängniswagen
kam ich wieder zu Bewusstsein, allerdings noch etwas getrübt.
Nach mir wurden noch weitere Verhaftete in den Wagen geschafft. In
der tränengasgesättigten Luft sassen wir ruhig, als
die Türe kurz geöffnet wurde, ein neuer Gefangener in den
Wagen geladen wurde und gleichzeitig ein Polizist aus einer Spraydose
Tränengas von draussen in unsere fahrende Zelle spritzte.
Ca. 1 Stunde befand ich mich im Gefängniswagen. Auf dem Posten
öffneten die Beamten während der Vernehmung die Fenster,
um den unerträglichen Tränengasgestank etwas zu mildern.
Am Mittag wurde ich entlassen. Ich ging zur Arbeit. Nach drei Stunden
musste ich aufgeben und ging ins Kantonsspital. Der Arzt stellte in
seinem Befund folgendes fest: 8 Striemen auf dem Rücken, Prellungen
an der Stirne, Oberschenkel rechts und Unterschenkel links. Schneidezahn
oben rechts auf der linken Seite abgebrochen.
1d) Zeuginnenbericht 12.7.80 (Doku S. 30)
Am späten Abend des 12. Juli war ich auf dem Weg nach Hause,
als mir in einer verlassenen Strasse eine Wand von Polizisten entgegenkam.
Ich wich auf die andere Strassenseite aus und passierte. Plötzlich
wurde ich von hinten mit Tränengas vollgespritzt, aus einer Distanz
von höchstens 4 Metern. Ich spurtete davon und brachte
mich um die nächste Ecke herum in Sicherheit. Hier setzte ich
mich mich auf den Boden. Offenbar hatten mich ca. 4 Polizisten verfolgt,
denn plötzlich standen sie vor mir und schlugen mich mit den
Fäusten auf den Kopf, während ich immer noch am Boden sass.
Dann wurde ich an Haaren und Armen aufgerissen.
Dabei schlug mich ständig einer mit dem Knüppel auf den
Kopf. Da sie mich hin und her zerrten, strauchelte ich und ging zu
Boden. Da versetzte mir von hinten ein Polizist einen starken Fusstritt
in die Nieren. Auf der Fahrt zum Posten lag ich im Mittelgang des
grauen Ford Transit. Auch 4 Polizisten befanden sich im hinteren Abteil.
Die Fahrt musste unterbrochen werden, da der Tränengasgestank
für die Schmier unerträglich wurde. Sie stiegen aus und
spuckten. Nur einer kam zurück ins Zellenabteil, die anderen
verzogen sich. Folgende Verletzungen resultierten aus meiner Verhaftung
:
Offene Wunde in der Nierengegend vom Fusstritt her, Verätzungen
im Kreuz, Gesäss und Beine vom Tränengas. Viele Blutergüsse
am Kopf und über der linken Augenbraue. Einige Tage lang heftige
Kopfschmerzen, noch zwei Monate nach der Verhaftung häufig Kopfschmerzen
.
In
einem Stadtspital wurden die Verätzungen als Ekzem bezeichnet,
und auch die Blutergüsse wurden bagatellisiert.
2.) Der zensierte Magazin-Artikel (Doku
S. 38-48)
2a) Auszug (Doku S. 39-40)
Zürich,
Anfang September
Tage in Polizeigewahrsam
VON RETO HÄNNY
«Es gibt einen menschlichen Massstab, den
wir nicht
verändern, sondern nur verlieren können.» Max Frisch
6. September 1980
[
] dass eine Verhaftung so ausschaut, wird
mir in Erinnerung bleiben: Mit Fäusten und Fusstritten und durch
die Luft pfeifenden Gummiknüppeln wurde über einen eingedroschen,
jeder Hilferuf und jeder Schmerzschrei zu noch Eifrigerem anfeuernd,
auf alles einhauend, was sich noch irgendwie bewegt, alles niederhauend,
was längst nur noch verzweifelt sein Leben zu schützen versucht
- was man in so einem Moment empfindet, ist dies Todesangst? Ich bitte
aufzuhören, ein besonders heftiger Schlag mit dem Knüppel
trifft mich hinter dem linken Ohr; im Eck kauernd, wird mir schwarz;
als ich wieder bei mir bin, werde ich zu einem Wagen komplimentiert,
traktiert entspräche eher der Wahrheit, zu meinem schmerzenden
Kopf hinzu kommen Schmerzen in der linken Achsel, ich werde in einen
Ford Transit geknebelt, etwa sechs bis acht Leute sind schon drin, an
die Wände gekauert, ausser Reichweite der weiterprasselnden Schläge
Schutz suchend, weitere werden zum Wagen gezerrt, Schweine zum Schlachthof
führt man weit zarter und überschüttet sie mit weniger
jenseits aller Würde liegenden Ausdrücken, dann werden auch
die in den Wagen gepfercht, noch mehr werden hereingeprügelt, den
Polizisten scheinen alle Sicherungen durchgegangen zu sein, was für
eine Ausbildung müssen diese Menschen, man möchte sie Furien
heissen, griffe dieser Ausdruck nicht zu kurz, hinter sich haben, um,
sind die Barrieren erst mal gebrochen, sich derart gebärden zu
können, wort- und schlagkräftig in ihren Ausführungen
unterstützt von am Wagen stehenden Leuten in ziviler Kleidung;
sind dies nun die Bürger? Hilfeschreie werden mit Flüchen
beantwortet; nein, was wir, die in den Wagen Gepferchten, sind, wieviel
sind wir schon drin, bald zwanzig, ist nicht mal mehr Abfall, wir sind,
schenkt man den über einen herhagelnden Flüchen Glauben, weniger
als Abfall; Schreie, Flüche, Bilder, die mir die Augen aufreissen
und die Sprache verschlagen. Ein Mädchen, das sich zu wehren versucht,
wird an den Haaren, ein Knie ins Kreuz gestemmt, nach hinten gezerrt,
Prügel kreuz und Prügel quer über ihren ungeschützten
Busen gezogen, sie strampelt verzweifelt, man packt sie an den Beinen,
nein, es ist nicht allein Angstschweiss, Schläge zwischen ihre
gespreizten Beine, nein, dies darf ja nicht wahr sein, dann an Armen
und Beinen gepackt in den Wagen geworfen, du Sau, wie ein Tuchballen,
auf uns, die wir übereinanderliegen, mir gelingt es, mich an der
Wand oben zu halten, und immer wieder diese Flüche, eine Fremd-Sprache,
die ich, und wenn es meine Mutter-Sprache, eine Väter-Sprache,
sein soll, nicht länger verstehen will; einer
zieht aus der Brusttasche seiner Uniform eine Spraydose, rasierschaumdosenähnlich,
weiss, neutral, schriftzuglos, und sprüht ausgiebig über uns
Abschaum, ein ätzend brennender Spray. Ist es nur Tränengas?
Dann die Türe verrammelt. Kann man sich die Panik vorstellen?
Nein, man kann es nicht, nicht in Wörtern, nur das Erlebnis vermag
dies auszudrücken, Wörter vermögen da nichts mehr, ich
sitze da und denke, es sei aus. [
]
RETO HÄNNY, 1947 in Chur geboren,
lebt als freier Schriftsteller in Zürich und wird das nächste
Jahr auf Einladung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin
verbringen. Sein erster Roman, «Ruch», ist im letzten Herbst
im Suhrkamp-Verlag erschienen.
2b) Vorwort zum Privatdruck (Doku
S. 38)
[Im Suhrkamp-Verlag erschien der Text später
als Taschenbuch. Der Bericht wurde auch von der Magazin-Redaktion als
Privatdruck auf der Strasse verteilt mit folgendem Kommentar:]
Hier ist der Text,
den Sie im TA-Magazin nicht lesen können.
DER
FOLGENDE BERICHT DES SCHRIFTSTELLERS RETO HAENNY HAETTE IM TA-MAGAZIN
ERSCHEINEN SOLLEN. DIE GESCHAEFTSLEITUNG DES "TAGES-ANZEIGERS"
HAT ENTSCHIEDEN, DASS DIESER BERICHT IN DER GEGNWAERTIGEN KOMMUNALPOLITISCHEN
SITUATION UNTER ANDEREM VOM UNTERNEHMENSINTERESSE HER IM TA-MAGAZIN
NICHT VEROEFFENTLICHT WERDEN KANN. DIE GESCHAEFTSLEITUNG IST
ZWAR DER MEINUNG, DASS DIE THEMATIK DES TEXTS IM "TAGES-ANZEIGER"
BEHANDELT WERDEN KOENNE, ABER NICHT IN DIESER FORM.
DIE REDAKTION DES TA-MAGAZINS IST DER MEINUNG, DASS RETO HAENNY UEBER
SACHVERHALTE BERICHTET, DIE IN DIESER STADT NICHT VERBORGEN BLEIBEN
DUERFEN UND HAT DESHALB, UM DIE DISKUSSION ZU ERMOEGLICHEN, PRIVAT DIESEN
SONDERDRUCK HERSTELLEN LASSEN.
RETO HAENNY IST SCHRIFTSTELLER; IM LETZTEN HERBST ERSCHIEN IM SUHRKAMP
VERLAG SEIN ERSTER ROMAN "RUCH". AM SAMSTAG, DEN 6. SEPTEMBER
WURDE HAENNY IN ZUERICH-FLUNTERN VERHAFTET. ER HATTE SICH, ALS SCHREIBENDER
ZEITGENOSSE INTRESSIERT AN DEN JUGENDDEMONSRATIONEN UND BEIM VERSUCH,
SIE ZU DOKUMENTIEREN, ZU NAHE BEI DEN EREIGNISSEN AUFGEHALTEN. VOR DER
POLIZEI HATTE ER SICH MIT ANDEREN ZIVILISTEN IN EINEN HAUSEINGANG GEFLUECHTET.
HIER HAENNYS PROTOKOLL, IN DER ZELLE NOTIERT UND SPAETER INS REINE GESCHRIEBEN.
3.) Autonome Sanität 6.9.80 (Doku
S. 16)
Gegen
22 Uhr beschlossen wir, noch einen Rundgang zu machen, mit einem gekennzeichneten
Sani-Auto. Wir kamen nur bis zur Urania, wo uns ein Motorradpolizist
anhielt und uns befahl, zur Urania [Hauptwache Stapo] hinauf zu fahren.
Hinter uns sperrten sie die Strasse ab, um eine angenommene Flucht zu
verhindern. Die Ausweiskontrolle wurde sehr oberflächlich durchgeführt,
wogegen das Auto sehr gründlich nach Steinen usw. durchsucht wurde.
Ein leerer Benzinkanister erregt nur einen Gedanken: "Mollis!"
Als nach längerem Suchen natürlich nichts gefunden wurde,
führte man uns in die Hauptwache, wo man uns mit der Erklärung,
unsere Personalien müssten überprüft werden, warten liess.
Nach längerer Zeit wunderte sich ein vorgesetzter Ziviler darüber,
dass die Sanität hier festgehalten werde. Dann endlich, nach ca.
20 Minuten, durften wir gehen. Als wir losfahren
wollten, bemerkten wir, dass das Auto in der Zwischenzeit mit Tränengas
"behandelt" worden war. Als wir darauf unsere Gasmasken aufsetzten,
atmeten wir nur noch mehr Tränengas ein. Wir fuhren in einem
Höllentempo zu unserem "Stützpunkt". Währenddessen
versuchten wir uns gegenseitig die Augen auszuspülen, was wir besser
unterlassen hätten, denn auch die Spritzflaschen ware mit diesem
Giftzeug in Kontakt gekommen. Gottlob trotz Sehbehinderung ohne
Unfall angekommen, konnten wir uns endlich die Augen auswaschen.
Wir protestieren
energisch gegen diese Verletzung der Genfer Konvention durch die Polizei,
die nach der Ausweiskontrolle im besten Wissen, dass wir von der Autonomen
Sanität sind, nicht davon abliess, uns vorsätzlich und hinterlistig
zu gefährden und zu behindern.
4.) Das Schweigen der Medien Part 2 (Doku
S. 50-51)
--> «Zufälle»
gibts: Folgenreicher Inserateboykott nach Artikel über Polizeigewalt
4a)
Der Tages-Anzeiger nach dem Publikationsverbot im
Magazin durch die Geschäftsleitung (Doku S. 50)
In dieser Situation - Mitte September, nach äusserst brutalen Schmiereinsätzen
im Zuge der AJZ-Besetzung, der Hammer der Zensur prügelt die Pressefreiheit
zu Tode, viele Leute wollen mit ihren Erlebnissen an die Oeffentlichkeit
- beschloss die Autonome Sanitätsgruppe, eine zweite Pressekonferenz
zu veranstalten [abgehalten am 20.9.80]. Dabei wollten wir nicht nur
die Polizeimethoden anklagen, vielmehr ging es uns darum, mit Aussagen
direkt Betroffener eine Politik anzuprangern, welche erst zu diesen
Zuständen à la Bananenrepublik geführt hat. Die Aussagen
der 12 Zeugen deckte das ganze Feld polizeistaatlicher Repression ab:
VERPRÜEGELUNG AUF DER STRASSE, FOLTER IM KNAST, SPITZEL UND SCHMIERFOTOGRAFEN
IM SPITAL, FALSCHE UND UNVOLLSTAENDIGE AERZTLICHE GUTACHTEN, ROTER DRAHT
KANTI - POLIZEI, FALSCHE ZEUGENAUSSAGEN VON POLIZISTEN etc. Die Pressevertreter
waren alle schriftlich und z.T. noch telefonisch eingeladen worden.
Wir hatten ihrem Wunsch nach Vorstellung direkt Betroffener entsprochen.
Von den "grossen" Tageszeitungen erschien kein Schwein, das Interesse
hatte wohl etwas nachgelassen - aus bekannten Gründen.
Wo zu jedem kritischen Bericht ein Schmiercommunique und dazu ein ver"mitte"lndes
Geplapper des Chefredaktors nötig wird, vergeht einem ev. noch
aufgeschlossenen Schurnalisten die Freude am Beruf. Die Alternativpresse
war anwesend und berichtete ausführlich. Dem Tagesanzeiger verkauften
wir einen Tonbandmitschnitt der ganzen Pressekonferenz, worauf dann
ca. 4 WOCHEN SPAETER ein Artikel erschien als das Produkt EIGENER
SORGFAELTIGER RECHERCHIERARBEIT ...... (Siehe dazu unten: TA vom 17.
Oktober 80)
4b) Auszug TA 17.10.80 (Doku S. 50)
4c) Kommentar (Doku S. 51)
Deutlicher gehts wohl nicht mehr. Da sagen Leute aus, die sich wohl
als Opfer verstanden, aber nicht nur im medizinischen Sinne. Tages-Anzeiger
und Konsorten bemühen sich um Objektivität, brauchen einen
Monat, um die Länge eines Schwartenrisses auszumessen, und unterdrückt
so die von den Betroffenen und von der Sanigruppe ihr aufgezeigten Ursachen,
die erst zu solchen Verletzungen führen: Ein Polizeistaat, der
die elementarsten Menschenrechte mit Füssen und Knüppeln prügelt,
ganze Stadtquartiere im Gas ersticken lässt, ein unkontrollierter
Justizapparat, ein Spital im Dienste der Polizei, eine unfähige
Regierung (wie halt alle Regierungen sind!), die ausser Schmiereinsätzen
nichts mehr zu bieten hat und hinter und über allem die Bonz-Pig
Co. von Kirche, Züribäärg und Zunft, im Gleichschritt
mit grossen Teilen der manipulierten schweigenden Mehrheit.
4d) Ergänzung: Repressalien &
Zensur
Nach Erscheinen des Artikels vom 17.10.80
machte u.a. die Geschäftsleitung des Jelmoli ihre Drohung wahr
und halbierte ihr Inseratevolumen im Tagi. Diese Lektion in Sachen
«"Pressefreiheit" in der "freien" Marktwirtschaft»
wirkt offensichtlich bis heute nach.
5.) Auszug Pressemappe PK 20.9.1980
(Doku S. 54)
5a) Zeugenbericht 1.9.80 (Doku S. 54)
Mit meinem 20-jährigen Sohn spazierte ich um 21.15h über die
Rudolf Brun Brücke Richtung Urania auf dem rechten Trottoir. Unruhen
waren zu dieser Zeit um Central und Rathaus; auf der Rudolf Brun Brücke
keine Menschenansammlungen, recht reger Autoverkehr. Beim Fussgängerstreifen,
der von der Rudolf Brun Brücke zur Auffahrt der Stadtpolizei-Hauptwache
führt, warteten wir bis das Grün Fussgänger aufleuchtete;
dann überquerten wir auf dem Fussgängerstreifen die Strasse.
In der Mitte der Strasse sah ich plötzlich 2-3 Gestalten auf meinen
Sohn zu springen: blitzartig erhob ich meine Arme, um ihn zu schützen;
mein Sohn sprang davon, mich schlug ein Polizist mit einem Gummiküppel
auf die Stirn, ich sank zusammen und blutete ziemlich intensiv aus einer
Rissquetschwunde an der Stirn. An den Armen und an meinen langen Haaren
rissen mich die Polizisten auf und schleppten mich, obschon ich mich
nicht wehrte, die ganze Rampe in gebückter Haltung hinauf bis vor
das Portal der Hauptwache. An jeder Seite riss ein Polizist an meinen
langen Haaren, dazu erhielt ich immer wieder Fusstritte ins Gesäss
und wurde mit Schlötterlingen überhäuft. Dann wurde ich
in eine Zelle verbracht. Fahndungschef Zaugg erschien, ich beschwerte
mich bei ihm wegen Misshandlung nach Verhaftung.
|
Inzwischen hatte
mein Sohn von Passanten erfahren, dass ich verhaftet worden sei. Er
kam zurück und erkundigte sich nach mir. Er wurde von einem Polizisten
am Arm zum Hauptportal geführt. Am Haupteingang
sagte ihm ein anderer Polizist, er solle ihn ansehen, was mein Sohn
tat - im gleichen Moment spritzte dieser Polizist meinem Sohn eine Tränengaslösung
ins linke Auge. Mein Sohn reagierte nicht, fragte aber den Polizisten
wozu dies gut sei.
Nachher wurden wir zur Kripo gebracht, mein Sohn konnte nach Hause.
Ich wurde durch die Kripo geschleust mit Protokollaufnahmen, Eingepfercht
sein in einer unbelüfteten Zelle, Erkennungsdienst und Kantonspolizeigefängnis.
Um 05.40 Uhr wurde ich am 7.9.80 kommentarlos entlassen.
Die Kantonspolizei hat sich im allgemeinen korrekt verhalten. Die Stadtpolizei
misshandelte einen sich nicht wehrenden Verhafteten und einen sich völlig
ruhig verhaltenden Besucher.
6.)
Tages-Anzeiger 8.11.80
(Doku S. 16)
Bezirksanwalt bestätigt Übergriffe der Polizei
[
] Bezirksanwalt Altherr befasst sich mit 29 der rund 50 eingegangenen
Strafanzeigen gegen Polizisten. Aufgrund seiner
Ermittlungen kam Altherr zum Schluss, dass Übergriffe von Polizisten
nicht abgestritten werden können. Bisher seien fünf
Strafuntersuchungen definitiv und und acht weitere mangels
Eruierung des Täters einstweilen sistiert worden. Laut Altherr
handelt es sich meist um Fälle, bei denen Leute mit Tränengas
bespritzt wurden.
Die 50 Strafanzeigen im Zusammenhang mit angeblichen Übergriffen
der Polizei richten sich richten sich praktisch alle gegen Unbekannt.
Die Untersuchungen erwiesen sich deshalb als sehr schwierig. [
]
[Soweit PigBrother bekannt wurde damals schon (Warum wohl?) kein
einziger der Folter-Polizisten verurteilt. (vgl.
Regeln 1-6)]
7.) Zeugenbericht 31.1.81
In einem von der Videogruppe aufgezeichneten, aber nie veröffentlichten
Interview erzählt ein bei einem Fluchtversuch aus dem Kessel
vom 31.1.81 vor dem Landesmuseum Verhafteter, wie
ihm ein Beamter eine brennende Tränengaspetarde an den Kopf drückte
und dazu meinte: «Schrei nur, schreien tut gut!»
"Tränengas"-Exzesse
in Polizeikesseln 1980-2003
"Tränengas"-Folter
1.2.2002
Tagi
goes «PigBrother light»
|