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 "TRÄNENGAS"              P o l i z e i b e a m t e   b e i   s c h w e r e r   k ö r p e r l i c h e r   A r b e i t  ! ! !              "GUMMIGESCHOSSE" 


A u s   Z ü r i c h   n i c h t s   N e u e s :
Folter mit "Tränengas" 1980
Plus: Gleichschaltung, Unterschlagung, Zensur:
Das
(nicht ganz grundlose) Schweigen der Medien
Komplizenschaft des Universitätsspitals
 Fälle aus der Dokumentation der Autonomen Sanität und der
Vereinigung unabhängiger ÄrztInnen Zürich (VUA)
(vergriffen),
Auszüge aus Reto Hännys zensiertem Magazin-Bericht
Tages-Anzeiger vom 17.10.80 u. 8.11.80
Auszug Interview der Videogruppe 1980

  >>>PigBrother-Intro: Zusammenfassung<<<
1.) Auszug Pressemappe PK 18.8.1980 (Doku S. 29-31)
 1a) Einleitung (Doku S. 29)
 1b) Zeugenbericht Universitätsspital 12./13.7.80 (Doku S. 30)
 1c) Zeugenbericht 1.6.80 (Doku S. 30)
 1d) Zeuginnenbericht 12.7.80 (Doku S. 30)
2.) Der zensierte Magazin-Artikel (Doku S. 38-48)
 2a) Auszug Bericht 6.9.80 (Doku S. 39-40)
 2b) Vorwort der Redaktion zum Privatdruck (Doku S. 38)
3.) Autonome Sanität 6.9.80 (Doku S. 16)
4.) Das Schweigen der Medien Part 2 (Doku 50-51)
 4a) Einleitung (Doku S. 50)
 4b) Auszug TA 17.10.80 (Doku S. 50)
 4c) Kommentar (Doku S. 51)
 4d) [Ergänzug: Repressalien gegen Tages-Anzeiger]
5.) Auszug Pressemappe PK 20.9.1980 (Doku S. 54)
 5a) Zeugenbericht 6.9.80 (Doku S. 54)
6.) Tages-Anzeiger 8.11.80 (Doku S. 63)
7.) >> Zeugenbericht 31.1.81
8.) >> "Tränengas"-Exzesse in Polizeikesseln 1980-2003

>>>Folter und Verletzungen durch "Tränengas" 1980-81:
Täter allesamt "nicht eruierbar" (und falls doch freigesprochen
)

Die hier dokumentierten Fälle von "Tränengas"-Folter liegen mittlerweile 20 Jahre zurück – und sind trotzdem noch erschreckend aktuell. Ihnen allen (wie auch den jüngeren aus den Jahren 2002 und 2001) ist der Umstand gemeinsam, dass es offensichtlich Polizeibeamte gab und gibt, die aus Jux oder Spass an der Freude vor Folter nicht zurückschrecken, solange sie davon ausgehen können, dafür nicht belangt zu werden (wofür die Handhabung rsp. glatte Leugnung des Problems durch Kommando, Polizeivorstand und Staatsanwaltschaft nach wie vor Gewähr bieten), und die – glaubt man den offiziellen Beteuerungen von der gründlichen Ausbildung sämtlicher BeamtInnen – offensichtlich wider besseren Wissens Gesundheit oder gar das Leben zahlreicher BürgerInnen mutwillig gefährden, indem sie Stoffe der Giftklasse 1 (CN) und 2 (CS) handhaben, als handle es sich dabei um "harmlose" Scherzartikel wie etwa Juckpulver o.ä. >> Siehe dazu ebenfalls die seit Jahrzehnten systematische betriebene, pauschale "Eingasung" auch bewilligter, friedlicher Demos sowie alternativer Kulturzentren.

Damals wie heute zeigt sich, dass sowohl verantwortliche Vorgesetzte und PolitikerInnen wie auch die Justiz dieses Fehlverhalten weder im Griff haben, noch ernsthafte Anstalten zu treffen gewillt sind, um es wenigstens vielleicht künftig in den Griff zu bekommen. Im Gegenteil: Obwohl (genau aus diesen Gründen) beispielsweise die Kennzeichnung sämtlicher BeamtInnen mittels Namensschildern oder Nummern seit Jahren (bald Jahrzehnten) vorgeschrieben wäre, pfeift die Polizei auch in dieser Beziehung wie gewohnt auf Vorschriften, Recht und Gesetz.

Eine weitere beängstigende Parallele zeigt sich im ebenfalls seit den 80ern dokumentierten vorschriftswidrigen Verwenden von illegalen Waffen (Stahlruten etc.), welche damals wie heute dank korrupten BeamtInnen in Staats- und Bezirksanwaltschaft selbstverständlich ungeahndet bleibt.

Einmal mehr ist auch zu konstatieren, dass die Medien betreffend Polizeiübergriffe in ihrer Aufgabe als öffentliche Wächter des "Rechtsstaats" damals wie heute schmählich versagen
(Ausnahmen bestätigen die Regel) – die einen aus ideologischen Gründen, die anderen "wegen dem Geld". Umso nötiger wäre eine wirklich unabhängige Kontroll-, Untersuchungs- und Beschwerdestelle, wie sie z.B. Amnesty International nicht ganz zufällig schon seit langem fordert.



1.) Auszug Pressemappe PK 18.8.1980
(Doku 29-31)

1a) Einleitung (Doku S. 29)

Verschiedene Länder haben 1977 einen Beschluss des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes unterzeichnet, der das Rote Kreuz auch bei innerstaatlichen Konflikten zum eingreifen verpflichtet. Die Schweiz hielt es bisher nicht für nötig, diese Konvention zu unterzeichnen. Während Demonstrationen zeigte es sich, dass wegen der brutalen Polizeieinsätze ein Sanitätsdienst unumgänglich ist. Am 12. Juli 1980 wurde eine freiwillige Sanitätsgruppe trotz deutlicher Kennzeichnung durch Armbinden und bezeichneten Autos von der Polizei am Einsatz gehindert, ja sogar brutal zusammengeschlagen. Darüber berichtete die Presse am 14. Juli. Auf Grund dieser Schweinerei beschwerten wir uns beim Kommandanten der Zürcher Stadtpolizei Dr. Bärtschi und forderten, dass bei zukünftigen Einsätzen an Demonstrationen eine Autonome Sanitätsgruppe ungehindert arbeiten dürfe. Die Bewilligung traf am 22. Juli bei uns ein. Während unserer Arbeit vom 30. Mai bis 1. Juni, am 9. Juni, 22. Juni und 12. Juli [1980] ergaben sich durch brutalen Polizeieinsatz unter anderem folgende Verletzungen:

- Das Tränengas verursachte Verätzungen und Verbrennungen II. und I. Grades. Auch bei den Augen haben wir Verätzungen festgestellt und diese Leute in die Augenklinik geschickt. Wir bemühten uns um Informationen aus der Augenklinik, bis jetzt aber erfolglos.

-Gummigeschosse verursachten böse Rissquetschwunden. Dazu gab es Fälle von: Ohrmuschelprellung und Augenverletzung.

- Bei Verhaftungen wurden Knüppel und von den Zivilen auch Stahlruten eingesetzt. Bei diesen Spezialbehandlungen gab es Nasenbeinbrüche, Prellungen, Striemen, Platzwunden am Körper, Schädel und Gesicht. Gehirnerschütterungen waren an der Tagesordnung.

- Faustschläge und Beintritte vor und während Verhaftung verursachten ebenfalls erhebliche Prellungen an Kopf, Hals, Gesicht und Körper. Es gab abgebrochene Zähne, Blutergüsse, offene Wunden und Kiefergelenkquetschungen. Des weiteren Fusstritte in die Geschlechtsteile und in Die Nierengegend.

Die betroffenen Patienten gaben uns die Vollmacht, diese Informationen aus ihrem Arztzeugnis oder direkt beim Arzt einzuholen.

Es gab noch andere Verletzungen, nämlich die gegen die PSYCHE und die ETHIK. Unserer Meinung nach hat jeder Mensch ein gesundes Verhältnis zu seinen Menschenrechten. Wenn diese verletzt werden, ist er ethisch und psychisch verletzt. Verletzung en in diesem Sinne wurden durch Aussagen von Verhafteten offenbar.

Folgende Rechte wurden missachtet auf dem Polizeiposten :

Anspruch auf Arzt, Telefon, WC-Papier, Kaffee, Essen. Es wurden Verhaftete verprügelt und beschimpft. Die Einnahme wichtiger persönlicher Medikamente wurde verweigert.

Wir und auch die Polizei wissen, dass nasse, mit Tränengas durchtränkte Kleider auf der Haut weiter ätzen. In den meisten Fällen hielt es die Polizei jedoch nicht für nötig, den Gefangenen auf dem Posten die Möglichkeit zum Kleider wechseln zu geben.

Zum Teil wurden die Verhafteten in kalten Zellen untergebracht und erhielten auch auf Verlangen hin keine Wolldecken.

Während längerer Inhaftierung und in Untersuchungshaft wurden Zigaretten und Spaziergang verweigert.

Dies sind klare Verstösse gegen die Verordnung über kantonale Polizeigefängnisse vom 25.6.1975, respektive gegen die Abänderung dieser Verordnung vom 9.3.1977.

Bezüglich Uebertritte gegen die Ethik stehen die Spitäler auch nicht sauber da. Aus Zeugenaussagen haben wir Kenntnis über unverhältnismässig lange Wartezeiten und Beleidigungen von Demonstranten, während Polizisten bevorzugt behandelt wurden. Zum Glück gibt es auch Ärzte, bei denen ALLE Patienten die gleichen Rechte haben.


1b) Zeugenbericht Notaufnahme Universitätsspital 12./13.7.80 (S. 30)

Ich begab mich wegen Schwartenriss in den Notfall des Kantonsspitales Zürich. Während der zwei Stunden Wartezeit machte ich im Aufnahmeraum folgende Beobachtungen:

- Ein Patient mit einer offenen Wunde am Hals, von einem Gummigeschoss herrührend, musste über zwei Stunden warten, ehe er versorgt wurde.

- Einem Patienten mit Verbrennungen an der Hand wurde die Schmerzbehandlung verweigert mit dem Spruch, der wolle ja sowieso nur eine Spritze! Der solle die Hand unters kalte Wasser halten, was der Betroffene dann auch tat, und zwar ca. 2 Stunden lang.

- Sieben Personen kamen von Tränengas/ Wassergemisch völlig durchnässt in die Notfallaufnahme. Auf eventuelle Verätzungen wurden sie nicht untersucht, sondern als Simulanten beschimpft und nach Hause geschickt zum Duschen.

- Auch im Spital sind nicht alle Menschen gleich. Handelte es sich beim Verletzten um einen Polizisten, wurde er hinter einen Vorhang geführt und so den Blicken der übrigen Patienten entzogen. Ein Typ in "ausgeflippter" Kleidung, offensichtlich ohne Verletzung, bespitzelte die Anwesenden und begab sich zwischen hinein hinter den Vorhang zu den wartenden Polizisten.

- Die Polizisten wurden im Spital bevorzugt behandelt. Keiner musste länger als eine halbe Stunde warten. Nach meinen Beobachtungen gab es unter ihnen keine schweren Verletzungen, ganz im Gegensatz zu Demonstranten und Passanten.

- Während der Wundversorqung im Behandlungsraum mussten wir uns etwelche dummen Sprüche gefallen lassen, so über Erschiessen, nach Sibirien schicken, selber schuld etc. etc., und zwar von Seiten der Schwester wie auch von der behandelnden Aerztin. Ein Mitpatient ertrug das nicht mehr und rief aus, worauf er von einem Pfleger recht brutal "zurechtgewiesen" wurde.

Deprimiert und um einige Illusionen ärmer verliess ich das Spital. Allergrösste Anstrengungen brauchte es dann noch, um ein ärztliches Zeugnis zu erhalten.


1c) Zeugenbericht 1.6.80 (Doku S. 30)

Ich bin am frühen Morgen des 1. Juni 1980 zufällig in die Demonstration geraten. Als plötzlich alle Leute um mich herum davonrannten, blieb ich mit erhobenen Armen stehen und rief sofort, sie, d.h. die Polizei, solle mich in Ruhe lassen, ich habe nichts mit der Demonstration zu tun. Eine Gruppe von ca. 5-8 Polizisten rannte auf mich zu und verprügelte mich so, dass ich stürzte, schrie, mich möglichst klein machte und zusammenkrümmte, um so wenig wie möglich abzukriegen. Wie lange- ich noch verprügelt wurde, weiss ich nicht mehr, der Transport zum Gefängniswagen ist mir nicht mehr in Erinnerung. Ich war zwar nicht bewusstlos, habe meine Verhaftung aber nur noch schemenhaft in Erinnerung. Im Gefängniswagen kam ich wieder zu Bewusstsein, allerdings noch etwas getrübt. Nach mir wurden noch weitere Verhaftete in den Wagen geschafft. In der tränengasgesättigten Luft sassen wir ruhig, als die Türe kurz geöffnet wurde, ein neuer Gefangener in den Wagen geladen wurde und gleichzeitig ein Polizist aus einer Spraydose Tränengas von draussen in unsere fahrende Zelle spritzte. Ca. 1 Stunde befand ich mich im Gefängniswagen. Auf dem Posten öffneten die Beamten während der Vernehmung die Fenster, um den unerträglichen Tränengasgestank etwas zu mildern. Am Mittag wurde ich entlassen. Ich ging zur Arbeit. Nach drei Stunden musste ich aufgeben und ging ins Kantonsspital. Der Arzt stellte in seinem Befund folgendes fest: 8 Striemen auf dem Rücken, Prellungen an der Stirne, Oberschenkel rechts und Unterschenkel links. Schneidezahn oben rechts auf der linken Seite abgebrochen.


1d) Zeuginnenbericht 12.7.80 (Doku S. 30)

Am späten Abend des 12. Juli war ich auf dem Weg nach Hause, als mir in einer verlassenen Strasse eine Wand von Polizisten entgegenkam. Ich wich auf die andere Strassenseite aus und passierte. Plötzlich wurde ich von hinten mit Tränengas vollgespritzt, aus einer Distanz von höchstens 4 Metern. Ich spurtete davon und brachte mich um die nächste Ecke herum in Sicherheit. Hier setzte ich mich mich auf den Boden. Offenbar hatten mich ca. 4 Polizisten verfolgt, denn plötzlich standen sie vor mir und schlugen mich mit den Fäusten auf den Kopf, während ich immer noch am Boden sass. Dann wurde ich an Haaren und Armen aufgerissen.

Dabei schlug mich ständig einer mit dem Knüppel auf den Kopf. Da sie mich hin und her zerrten, strauchelte ich und ging zu Boden. Da versetzte mir von hinten ein Polizist einen starken Fusstritt in die Nieren. Auf der Fahrt zum Posten lag ich im Mittelgang des grauen Ford Transit. Auch 4 Polizisten befanden sich im hinteren Abteil. Die Fahrt musste unterbrochen werden, da der Tränengasgestank für die Schmier unerträglich wurde. Sie stiegen aus und spuckten. Nur einer kam zurück ins Zellenabteil, die anderen verzogen sich. Folgende Verletzungen resultierten aus meiner Verhaftung :

Offene Wunde in der Nierengegend vom Fusstritt her, Verätzungen im Kreuz, Gesäss und Beine vom Tränengas. Viele Blutergüsse am Kopf und über der linken Augenbraue. Einige Tage lang heftige Kopfschmerzen, noch zwei Monate nach der Verhaftung häufig Kopfschmerzen .

In einem Stadtspital wurden die Verätzungen als Ekzem bezeichnet, und auch die Blutergüsse wurden bagatellisiert.



2.) Der zensierte Magazin-Artikel (Doku S. 38-48)

2a) Auszug (Doku S. 39-40)

Zürich,
Anfang September
Tage in Polizeigewahrsam

VON RETO HÄNNY

«Es gibt einen menschlichen Massstab, den wir nicht
verändern, sondern nur verlieren können.»
Max Frisch

6. September 1980

[…] dass eine Verhaftung so ausschaut, wird mir in Erinnerung bleiben: Mit Fäusten und Fusstritten und durch die Luft pfeifenden Gummiknüppeln wurde über einen eingedroschen, jeder Hilferuf und jeder Schmerzschrei zu noch Eifrigerem anfeuernd, auf alles einhauend, was sich noch irgendwie bewegt, alles niederhauend, was längst nur noch verzweifelt sein Leben zu schützen versucht - was man in so einem Moment empfindet, ist dies Todesangst? Ich bitte aufzuhören, ein besonders heftiger Schlag mit dem Knüppel trifft mich hinter dem linken Ohr; im Eck kauernd, wird mir schwarz; als ich wieder bei mir bin, werde ich zu einem Wagen komplimentiert, traktiert entspräche eher der Wahrheit, zu meinem schmerzenden Kopf hinzu kommen Schmerzen in der linken Achsel, ich werde in einen Ford Transit geknebelt, etwa sechs bis acht Leute sind schon drin, an die Wände gekauert, ausser Reichweite der weiterprasselnden Schläge Schutz suchend, weitere werden zum Wagen gezerrt, Schweine zum Schlachthof führt man weit zarter und überschüttet sie mit weniger jenseits aller Würde liegenden Ausdrücken, dann werden auch die in den Wagen gepfercht, noch mehr werden hereingeprügelt, den Polizisten scheinen alle Sicherungen durchgegangen zu sein, was für eine Ausbildung müssen diese Menschen, man möchte sie Furien heissen, griffe dieser Ausdruck nicht zu kurz, hinter sich haben, um, sind die Barrieren erst mal gebrochen, sich derart gebärden zu können, wort- und schlagkräftig in ihren Ausführungen unterstützt von am Wagen stehenden Leuten in ziviler Kleidung; sind dies nun die Bürger? Hilfeschreie werden mit Flüchen beantwortet; nein, was wir, die in den Wagen Gepferchten, sind, wieviel sind wir schon drin, bald zwanzig, ist nicht mal mehr Abfall, wir sind, schenkt man den über einen herhagelnden Flüchen Glauben, weniger als Abfall; Schreie, Flüche, Bilder, die mir die Augen aufreissen und die Sprache verschlagen. Ein Mädchen, das sich zu wehren versucht, wird an den Haaren, ein Knie ins Kreuz gestemmt, nach hinten gezerrt, Prügel kreuz und Prügel quer über ihren ungeschützten Busen gezogen, sie strampelt verzweifelt, man packt sie an den Beinen, nein, es ist nicht allein Angstschweiss, Schläge zwischen ihre gespreizten Beine, nein, dies darf ja nicht wahr sein, dann an Armen und Beinen gepackt in den Wagen geworfen, du Sau, wie ein Tuchballen, auf uns, die wir übereinanderliegen, mir gelingt es, mich an der Wand oben zu halten, und immer wieder diese Flüche, eine Fremd-Sprache, die ich, und wenn es meine Mutter-Sprache, eine Väter-Sprache, sein soll, nicht länger verstehen will; einer zieht aus der Brusttasche seiner Uniform eine Spraydose, rasierschaumdosenähnlich, weiss, neutral, schriftzuglos, und sprüht ausgiebig über uns Abschaum, ein ätzend brennender Spray. Ist es nur Tränengas? Dann die Türe verrammelt. Kann man sich die Panik vorstellen? Nein, man kann es nicht, nicht in Wörtern, nur das Erlebnis vermag dies auszudrücken, Wörter vermögen da nichts mehr, ich sitze da und denke, es sei aus. […]

RETO HÄNNY, 1947 in Chur geboren, lebt als freier Schriftsteller in Zürich und wird das nächste Jahr auf Einladung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin verbringen. Sein erster Roman, «Ruch», ist im letzten Herbst im Suhrkamp-Verlag erschienen.


2b) Vorwort zum Privatdruck
(Doku S. 38)

[Im Suhrkamp-Verlag erschien der Text später als Taschenbuch. Der Bericht wurde auch von der Magazin-Redaktion als Privatdruck auf der Strasse verteilt mit folgendem Kommentar:]

Hier ist der Text, den Sie im TA-Magazin nicht lesen können.

DER FOLGENDE BERICHT DES SCHRIFTSTELLERS RETO HAENNY HAETTE IM TA-MAGAZIN ERSCHEINEN SOLLEN. DIE GESCHAEFTSLEITUNG DES "TAGES-ANZEIGERS" HAT ENTSCHIEDEN, DASS DIESER BERICHT IN DER GEGNWAERTIGEN KOMMUNALPOLITISCHEN SITUATION UNTER ANDEREM VOM UNTERNEHMENSINTERESSE HER IM TA-MAGAZIN NICHT VEROEFFENTLICHT WERDEN KANN. DIE GESCHAEFTSLEITUNG IST ZWAR DER MEINUNG, DASS DIE THEMATIK DES TEXTS IM "TAGES-ANZEIGER" BEHANDELT WERDEN KOENNE, ABER NICHT IN DIESER FORM.

DIE REDAKTION DES TA-MAGAZINS IST DER MEINUNG, DASS RETO HAENNY UEBER SACHVERHALTE BERICHTET, DIE IN DIESER STADT NICHT VERBORGEN BLEIBEN DUERFEN UND HAT DESHALB, UM DIE DISKUSSION ZU ERMOEGLICHEN, PRIVAT DIESEN SONDERDRUCK HERSTELLEN LASSEN.

RETO HAENNY IST SCHRIFTSTELLER; IM LETZTEN HERBST ERSCHIEN IM SUHRKAMP VERLAG SEIN ERSTER ROMAN "RUCH". AM SAMSTAG, DEN 6. SEPTEMBER WURDE HAENNY IN ZUERICH-FLUNTERN VERHAFTET. ER HATTE SICH, ALS SCHREIBENDER ZEITGENOSSE INTRESSIERT AN DEN JUGENDDEMONSRATIONEN UND BEIM VERSUCH, SIE ZU DOKUMENTIEREN, ZU NAHE BEI DEN EREIGNISSEN AUFGEHALTEN. VOR DER POLIZEI HATTE ER SICH MIT ANDEREN ZIVILISTEN IN EINEN HAUSEINGANG GEFLUECHTET. HIER HAENNYS PROTOKOLL, IN DER ZELLE NOTIERT UND SPAETER INS REINE GESCHRIEBEN.




3.) Autonome Sanität 6.9.80
(Doku S. 16)

Gegen 22 Uhr beschlossen wir, noch einen Rundgang zu machen, mit einem gekennzeichneten Sani-Auto. Wir kamen nur bis zur Urania, wo uns ein Motorradpolizist anhielt und uns befahl, zur Urania [Hauptwache Stapo] hinauf zu fahren. Hinter uns sperrten sie die Strasse ab, um eine angenommene Flucht zu verhindern. Die Ausweiskontrolle wurde sehr oberflächlich durchgeführt, wogegen das Auto sehr gründlich nach Steinen usw. durchsucht wurde. Ein leerer Benzinkanister erregt nur einen Gedanken: "Mollis!" Als nach längerem Suchen natürlich nichts gefunden wurde, führte man uns in die Hauptwache, wo man uns mit der Erklärung, unsere Personalien müssten überprüft werden, warten liess. Nach längerer Zeit wunderte sich ein vorgesetzter Ziviler darüber, dass die Sanität hier festgehalten werde. Dann endlich, nach ca. 20 Minuten, durften wir gehen. Als wir losfahren wollten, bemerkten wir, dass das Auto in der Zwischenzeit mit Tränengas "behandelt" worden war. Als wir darauf unsere Gasmasken aufsetzten, atmeten wir nur noch mehr Tränengas ein. Wir fuhren in einem Höllentempo zu unserem "Stützpunkt". Währenddessen versuchten wir uns gegenseitig die Augen auszuspülen, was wir besser unterlassen hätten, denn auch die Spritzflaschen ware mit diesem Giftzeug in Kontakt gekommen. Gottlob trotz Sehbehinderung ohne Unfall angekommen, konnten wir uns endlich die Augen auswaschen.

Wir protestieren energisch gegen diese Verletzung der Genfer Konvention durch die Polizei, die nach der Ausweiskontrolle im besten Wissen, dass wir von der Autonomen Sanität sind, nicht davon abliess, uns vorsätzlich und hinterlistig zu gefährden und zu behindern.



4.) Das Schweigen der Medien Part 2
(Doku S. 50-51)
--> «Zufälle» gibts: Folgenreicher Inserateboykott nach Artikel über Polizeigewalt

4a) Der Tages-Anzeiger nach dem Publikationsverbot im Magazin durch die Geschäftsleitung (Doku S. 50)

In dieser Situation - Mitte September, nach äusserst brutalen Schmiereinsätzen im Zuge der AJZ-Besetzung, der Hammer der Zensur prügelt die Pressefreiheit zu Tode, viele Leute wollen mit ihren Erlebnissen an die Oeffentlichkeit - beschloss die Autonome Sanitätsgruppe, eine zweite Pressekonferenz zu veranstalten [abgehalten am 20.9.80]. Dabei wollten wir nicht nur die Polizeimethoden anklagen, vielmehr ging es uns darum, mit Aussagen direkt Betroffener eine Politik anzuprangern, welche erst zu diesen Zuständen à la Bananenrepublik geführt hat. Die Aussagen der 12 Zeugen deckte das ganze Feld polizeistaatlicher Repression ab: VERPRÜEGELUNG AUF DER STRASSE, FOLTER IM KNAST, SPITZEL UND SCHMIERFOTOGRAFEN IM SPITAL, FALSCHE UND UNVOLLSTAENDIGE AERZTLICHE GUTACHTEN, ROTER DRAHT KANTI - POLIZEI, FALSCHE ZEUGENAUSSAGEN VON POLIZISTEN etc. Die Pressevertreter waren alle schriftlich und z.T. noch telefonisch eingeladen worden. Wir hatten ihrem Wunsch nach Vorstellung direkt Betroffener entsprochen. Von den "grossen" Tageszeitungen erschien kein Schwein, das Interesse hatte wohl etwas nachgelassen - aus bekannten Gründen. Wo zu jedem kritischen Bericht ein Schmiercommunique und dazu ein ver"mitte"lndes Geplapper des Chefredaktors nötig wird, vergeht einem ev. noch aufgeschlossenen Schurnalisten die Freude am Beruf. Die Alternativpresse war anwesend und berichtete ausführlich. Dem Tagesanzeiger verkauften wir einen Tonbandmitschnitt der ganzen Pressekonferenz, worauf dann ca. 4 WOCHEN SPAETER ein Artikel erschien als das Produkt EIGENER SORGFAELTIGER RECHERCHIERARBEIT ...... (Siehe dazu unten: TA vom 17. Oktober 80)

4b) Auszug TA 17.10.80 (Doku S. 50)



4c) Kommentar (Doku S. 51)

Deutlicher gehts wohl nicht mehr. Da sagen Leute aus, die sich wohl als Opfer verstanden, aber nicht nur im medizinischen Sinne. Tages-Anzeiger und Konsorten bemühen sich um Objektivität, brauchen einen Monat, um die Länge eines Schwartenrisses auszumessen, und unterdrückt so die von den Betroffenen und von der Sanigruppe ihr aufgezeigten Ursachen, die erst zu solchen Verletzungen führen: Ein Polizeistaat, der die elementarsten Menschenrechte mit Füssen und Knüppeln prügelt, ganze Stadtquartiere im Gas ersticken lässt, ein unkontrollierter Justizapparat, ein Spital im Dienste der Polizei, eine unfähige Regierung (wie halt alle Regierungen sind!), die ausser Schmiereinsätzen nichts mehr zu bieten hat und hinter und über allem die Bonz-Pig Co. von Kirche, Züribäärg und Zunft, im Gleichschritt mit grossen Teilen der manipulierten schweigenden Mehrheit.

4d) Ergänzung: Repressalien & Zensur


Nach Erscheinen des Artikels vom 17.10.80 machte u.a. die Geschäftsleitung des Jelmoli ihre Drohung wahr und halbierte ihr Inseratevolumen im Tagi. Diese Lektion in Sachen «"Pressefreiheit" in der "freien" Marktwirtschaft» wirkt offensichtlich bis heute nach.



5.) Auszug Pressemappe PK 20.9.1980
(Doku S. 54)

5a) Zeugenbericht 1.9.80 (Doku S. 54)

Mit meinem 20-jährigen Sohn spazierte ich um 21.15h über die Rudolf Brun Brücke Richtung Urania auf dem rechten Trottoir. Unruhen waren zu dieser Zeit um Central und Rathaus; auf der Rudolf Brun Brücke keine Menschenansammlungen, recht reger Autoverkehr. Beim Fussgängerstreifen, der von der Rudolf Brun Brücke zur Auffahrt der Stadtpolizei-Hauptwache führt, warteten wir bis das Grün Fussgänger aufleuchtete; dann überquerten wir auf dem Fussgängerstreifen die Strasse.

In der Mitte der Strasse sah ich plötzlich 2-3 Gestalten auf meinen Sohn zu springen: blitzartig erhob ich meine Arme, um ihn zu schützen; mein Sohn sprang davon, mich schlug ein Polizist mit einem Gummiküppel auf die Stirn, ich sank zusammen und blutete ziemlich intensiv aus einer Rissquetschwunde an der Stirn. An den Armen und an meinen langen Haaren rissen mich die Polizisten auf und schleppten mich, obschon ich mich nicht wehrte, die ganze Rampe in gebückter Haltung hinauf bis vor das Portal der Hauptwache. An jeder Seite riss ein Polizist an meinen langen Haaren, dazu erhielt ich immer wieder Fusstritte ins Gesäss und wurde mit Schlötterlingen überhäuft. Dann wurde ich in eine Zelle verbracht. Fahndungschef Zaugg erschien, ich beschwerte mich bei ihm wegen Misshandlung nach Verhaftung.

Inzwischen hatte mein Sohn von Passanten erfahren, dass ich verhaftet worden sei. Er kam zurück und erkundigte sich nach mir. Er wurde von einem Polizisten am Arm zum Hauptportal geführt. Am Haupteingang sagte ihm ein anderer Polizist, er solle ihn ansehen, was mein Sohn tat - im gleichen Moment spritzte dieser Polizist meinem Sohn eine Tränengaslösung ins linke Auge. Mein Sohn reagierte nicht, fragte aber den Polizisten wozu dies gut sei.

Nachher wurden wir zur Kripo gebracht, mein Sohn konnte nach Hause. Ich wurde durch die Kripo geschleust mit Protokollaufnahmen, Eingepfercht sein in einer unbelüfteten Zelle, Erkennungsdienst und Kantonspolizeigefängnis. Um 05.40 Uhr wurde ich am 7.9.80 kommentarlos entlassen.

Die Kantonspolizei hat sich im allgemeinen korrekt verhalten. Die Stadtpolizei misshandelte einen sich nicht wehrenden Verhafteten und einen sich völlig ruhig verhaltenden Besucher.



6.) Tages-Anzeiger 8.11.80 (Doku S. 16)

Bezirksanwalt bestätigt Übergriffe der Polizei

[…] Bezirksanwalt Altherr befasst sich mit 29 der rund 50 eingegangenen Strafanzeigen gegen Polizisten. Aufgrund seiner Ermittlungen kam Altherr zum Schluss, dass Übergriffe von Polizisten nicht abgestritten werden können. Bisher seien fünf Strafuntersuchungen definitiv und und acht weitere mangels Eruierung des Täters einstweilen sistiert worden. Laut Altherr handelt es sich meist um Fälle, bei denen Leute mit Tränengas bespritzt wurden.
Die 50 Strafanzeigen im Zusammenhang mit angeblichen Übergriffen der Polizei richten sich richten sich praktisch alle gegen Unbekannt. Die Untersuchungen erwiesen sich deshalb als sehr schwierig. […]

[Soweit PigBrother bekannt wurde damals schon (Warum wohl?) kein einziger der Folter-Polizisten verurteilt. (vgl. Regeln 1-6)]


7.) Zeugenbericht 31.1.81

In einem von der Videogruppe aufgezeichneten, aber nie veröffentlichten Interview erzählt ein bei einem Fluchtversuch aus dem Kessel vom 31.1.81 vor dem Landesmuseum Verhafteter, wie ihm ein Beamter eine brennende Tränengaspetarde an den Kopf drückte und dazu meinte: «Schrei nur, schreien tut gut!»


"Tränengas"-Exzesse in Polizeikesseln 1980-2003

"Tränengas"-Folter 1.2.2002

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Dossier 1: "TRÄNENGAS"

Dossier 2: "GUMMIGESCHOSSE"

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