Das
(nicht ganz
grundlose) Schweigen der Medien 1980-2003
>>>
Verletzungen und Folter durch "Tränengas"
wurden bereits in den 80er-Jahren thematisiert durch
die Gruppe Gas der Vereinigung unabhängiger ArztInnen
Zürich (VUA) in einer Broschüre
sowie durch die Autonome Sanität u.a. an mehreren
Pressekonferenzen. Sämtliche
Medien schwiegen dazu.
Seit Jahrzenten gehört das pauschale und rücksichtslose
"Eingasen" auch bewilligter,
friedlicher Demos sowie von alternativen Kulturzentren zum
Standardrepertoire diverser schweizer Polizeikorps. Parlament
und sämtliche Medien schweigen dazu.
--> Zensur: Im September '80 greift die
Geschäftsleitung des Tages-Anzeigers in die redaktionelle
Freiheit des Magazins ein und zensiert einen Augenzeugenbericht
über Folter und Misshandlungen des Schriftstellers Reto
Hänny unter dem Titel «Zürich,
Anfang September». Als der Tages-Anzeiger sich
am sich am 27.10.80 schliesslich doch noch getraut, unter dem
Titel «Harte Vorwürfe wegen
Polizeiübergriffen [
]» eine Light-Version
einiger von der Autonomen Sanität dokumentierter
Fälle zu publizieren, kommt die Quittung umgehend:
U.a. macht die Geschäftsleitung des Jelmoli ihre Drohung
wahr und halbiert ihr Inseratevolumen im Tagi. Diese
Lektion in Sachen «Presse"freiheit" in der "freien"
Marktwirtschaft» wirkt offensichtlich bis heute nach:
Am
10.5.01 berichtete PigBrother über schwere
"Tränengas"-Verätzungen anlässlich
des 1. Mai '01. Weitere Meldungen und Pressemitteilungen von PigBrother
folgten, im September '01 zusätzlich ein detaillierter
Bericht mit Fotos, welche diese Verletzungen eindeutig belegen.
Polizei und Universitätsspital verweigerten jegliche
Auskunft, sämtliche Medien schwiegen dazu.
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Fotos 1 &
2: Ca. 4 Stunden nach dem "Wasser"werfer-Beschuss.
Deutlich ist anhand der auf die Körpermitte begrenzten
beginnenden Verätzung zu erkennen, dass es sich um einen
vorschriftswidrigen Direktbeschuss handelt. (Vom männlichen
Opfer stehen z.Z. keine weiteren Fotos zur Verfügung.
In der Krankengeschichte des Unispitals heisst es zum Verlauf
der nächsten 8 Tage: «Flächige Rötung
und Blasenbildung am Rücken kranial und am Gesäss
mit Punktum maximum im Bereich der linken Gesässhälfte.
Nach Blasenablösung am Gesäss roter wegdrückbarer
Wundgrund.») |
Am
12.2.02 brachte PigBrother eine Meldung über
Verätzungen durch "Tränengas"
an der Anti-WEF-Demo vom 1.2.02, weitere Meldungen inkl. Fotos
folgten. Am 13.2.02 brachte indymedia.ch
einen Bericht (inzwischen offline). Polizei und Universitätsspital
verweigerten wie gehabt jegliche Auskunft. Sämtliche "offiziellen"
Medien schwiegen dazu, obwohl sie von den Betroffenen
selbst unmittelbar nach dem Vorfall benachrichtigt wurden,
LeserInnenbriefe an den TA wurden nicht abgedruckt.
Am 19.4.02 erscheint in der Zürcher StudentIn ein
Bericht unter Bezugnahme und mit einem Bild von PigBrother
(in der Online-Ausgabe
ohne Quellenangabe). Am 25.4.02 veröffentlichte die Wochenzeitung
(WoZ)
die von PigBrother aufgezeichnete Geschichte
von 2 Verletzten zusammen mit anderen Artikeln über "Tränengas".
Am 26.4.02 bringt auch der Vorwärts eine kurze Meldung
(mit einem von PigBrother heruntergeladenen Bild ohne Quellenangabe).
Am 30.4.02 berichtete PigBrother, die Verletzten hätten
nunmehr Anzeige eingereicht. Am
3.5.02 berichtete auch die WoZ darüber. Sämtliche
anderen Medien schwiegen weiterhin.
Nach
3 1/2 Monaten kontinuierlicher Berichterstattung und Pressemitteilungen
durch PigBrother greifen schliesslich am 16.5.02 Tages-Anzeiger,
Radios und SFDRS die «Story» auf (selbstverständlich
ohne Quellenangabe), wobei sich die Berichterstattung auf Kritik
an der nach den Übergriffen auf Kurt
von Allmen und Eldar S. angeschlagenen
Polizeivorsteherin Maurer konzentriert. Am 17.5.02 zieht der
Zürich Express nach.
PigBrother hält
es für billig und bewusst politisch
blind, dieses bedeutsame Thema (das innerhalb beider Zürcher
Polizeikorps eine jahrzehntelange
Tradition hat) unter völliger Ausklammerung der alles
andere als unbescholtenen Kantonspolizei,
der verantwortlichen Kommandanten beider Polizeikorps und
sämtlicher anderen, vergleichbaren Fälle einzig an
der Person der aktuellen Vorsteherin der Stadtpolizei aufzuhängen.
>>>Ausführlicher
Bericht: Esther Maurer allein schuld?
Folter
mit "Wasser"werfer
Am 1.2.02 wollten zahlreiche junge BürgerInnen in Zürich
friedlich ihre Meinung über das "World Economic Forum"
öffentlich kundtun. Dadurch machten sie sich strafbar
wegen Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration juristisch
ein ähnlich schwerwiegendes Delikt wie falsch parkieren oder
leicht überhöhte Geschwindigkeit. Beim darauffolgenden
Polizeieinsatz kam es einmal mehr zu zahlreichen Übergriffen.
Ein Demonstrant starb wahrscheinlich
an Tränengas, mindestens 10 wurden zum
Teil schwer verletzt. Dies ist die Geschichte von zwei von
ihnen. (Aufgezeichnet von PigBrother.hirnfick.com)
HINTERGRÜNDE
«Mir geht es eigentlich vor allem darum, dass in der Globalisierung
so mies vorgegangen wird, und das wird dann ja genau beim WEF
abgesprochen, während die ärmeren Länder dort wenig
bis gar nicht vertreten sind und so ihre Meinung zu diesem Prozess
gar nicht einbringen können. Das ist gar nicht wirklich eine
Globalisierung, sondern eine Öffnung der Welt für diejenigen
Märkte, die an so einem Treff überhaupt mitmachen können.»
«Ich war jetzt gerade 10 Monate in Südamerika und habe
das Problem dort auch wirklich gesehen, wie das jetzt dort abgeht,
wie die Länder kaputt gemacht werden durch die Dollarisierung.
Das ist keine Globalisierung, sondern eine Besserstellung der
durch die bestehenden Machtverhältnisse ohnehin schon Privilegierten,
eine Vergrösserung der Absatzmöglichkeiten für
die jetzt schon Grossen.»
|
Foto 3: Nach
einem Tag. Die Haut beginnt abzusterben und wird violett.
Auch hier ist deutlich zu sehen, dass das Opfer im verbotenen
Direktbeschuss abgeduscht wurde. |
«Das
wird einem ja sogar an der Uni beigebracht, dass sich die Situation
für viele Menschen laufend verschlechtert. Das relative Einkommen
hat z.B. in Südamerika in den meisten Fällen abgenommen.
Ich besuchte einmal mit einer Gruppe von Studenten eine Uno-Konferenz,
eine Arbeitsgruppe im Rahmen der Bio-Diversitätskonvention,
"Openended Adhoc-Working-Group on Access and Benefitsharing" hiess
das genau. Zuvor hatten verschiedene europäische NGOs Geld
gesammelt und finanzierten eine Vorbereitungskonferenz für
40 Vertreter von indigenen Völkern aus der ganzen Welt, die
sich eine Woche vorher trafen und ein Positionspapier entwarfen.
Diese Vertreter besuchten dann die Uno-Konferenz, waren dort aber
nur Zaungäste, obwohl es eigentlich um ihre Rechte und Lebensräume
ging. Genau zweimal hatten sie die Möglichkeit zu einem Statement,
wobei sie z.T. auch heftige Kritik anbrachten, z.B. dass alle
ihre Vorschläge abgelehnt wurden und wieder aus dem Entwurf
verschwanden, und dass sie kein Vertrauen in die Arbeit der Kommission
haben könnten, weil diese sich ihnen gegenüber nicht
einmal an die eigenen Regeln halte, einmal sage sie das und dieses
und nun plötzlich etwas anderes, was die Vertreter auch konkret
erläuterten. Danach ging es einfach weiter, keiner der vor
allem aus Juristen und Wirtschaftsleuten bestehenden offiziellen
Kommissionsmitglieder ging auf diese Vorwürfe überhaupt
ein, alles prallte einfach ab. Dabei war es schon eine ungewohnte
Ausnahme, dass die indigenen Vertreter nur schon dort waren, wenn
die NGOs nicht für die Tickets und so aufgekommen wären,
hätten sie an der Konferenz faktisch überhaupt keinen
Zutritt gehabt.»
«In Ecuador zum Beispiel ist 2.50 $ am Tag ein normaler
Lohn, auf alle Fälle bestimmt kein schlechter. Das Krasse
dabei ist, dass die Kosten dort so hoch sind. Vor einem Jahr wurde
der Dollar eingeführt, seither sind die Kosten um das vierfache
gestiegen. Ich bin wirklich billig gereist, doch ich hätte
nie mit 2.50 $ am Tag leben können, ich habe z.B schon 1
$ am Tag ausgegeben für Zigaretten. Dabei ist Ecuador verglichen
mit Peru und Bolivien noch viel moderner, alles sieht viel reicher
und grösser aus, aber die Leute sind nicht wirklich reicher.
Das ist neu, früher hatten sie wirklich mehr, doch das wird
jetzt einfach kaputt gemacht mit dem Dollar.»
DIE DEMO
«Und man kann ja nichts dagegen machen, alle denken, man
kann nichts dagegen machen. Und ja, man kann wenigstens dagegen
demonstrieren, zeigen, dass man damit nicht einverstanden ist.
Ich habe sonst noch keine andere Möglichkeit gefunden, wie
man irgendetwas dagegen machen könnte. Weil es ist ja wirklich
eine Schweinerei. Für mich spielt es auch keine Rolle, ob
das WEF jetzt in Davos oder in New York ist, weil das ändert
nichts, wie wir darin involviert sind, und dass es sowieso von
der Schweiz ausgeht.»
«Es geht um die Praktiken, die angewendet werden bei so
einem Forum, und wir wollten diese Meinung auch äussern und
kundtun. Deshalb gingen wir an diesem Freitag auf die Strasse.»
«Darum haben wir auch die Pfannendeckel mitgenommen, als
ein Zeichen. Das war ja grad nach dem Währungs-Zusammenbruch
in Argentinien, dort veranstalteten von Banken und Regierung Betrogene
sogenannte Cazerolazos, lautstarke Demos mit Pfannen und Deckeln.
Wir wollten zeigen, dass das WEF an vielen Orten seine Finger
im Spiel hat, wenn sowas passiert.»
«Wir wussten gar nicht, dass die Demo nicht bewilligt war,
hatten sogar noch ein Transparent mitnehmen wollen. Auch auf dem
Aufruf war ja nichts Provokatives.»
«Nachdem wir einmal das Limmatquai hinunter- und wieder
heraufgezogen waren, wurde die Demo dann beim Seefeld von der
Polizei gesprengt. Die militanteren Teilnehmer zogen darauf in
Richtung Kunsthaus. Nach einem weiteren Einsatz ohne Vorwarnung
gegen die noch am Bellevue verbliebenen, vollkommen friedlichen
Demonstranten wurde diese Gruppe von etwa 200 Leuten dann quasi
von der Polizei das Limmatquasi hinuntergeschleust zum Bahnhof
und nachher in den Kreis 5.»
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Bild
4: Nach 2 Tagen.
Noch mehr Haut stirbt ab, erste Blasenbildung.
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«Eigentlich
wollten wir auf den Zug, wie wohl die meisten, doch im letzten
Moment fuhren Beamte vor, riegelten alles ab und erklärten
per Megaphon, der Bahnhof wäre geschlossen, und wiesen uns
an weiterzugehen. Das war das erste Mal, dass eine Durchsage kam.
Dass die Demo unbewilligt sei, haben sie auch da nicht gesagt.»
«Einzig der Weg in den Kreis 5 war noch frei, dorthin rannten
die meisten, als ein Wasserwerfer auffuhr. Die Polizei liess uns
uns die Limmastrasse herauf bis zur Haltestelle Museum für
Gestaltung, dort wurden wir eingekesselt.»
DIE "WASSER"WERFER
«Plötzlich kam uns auf der Limmatstrasse ein Wasserwerfer
entgegen, während andere Beamte hinter uns die Strasse sperrten.
Darauf rannten die Leute nach rechts quer über den Platz,
doch auf der Ausstellungsstrasse stand bereits ein anderer Wasserwerfer
und spritzte sofort ohne Vorwarnung los. Wir rannten dann ein
kleines Weglein durch zum Sihlquai, wollten immer noch auf den
Zug nach Hause, doch dort stand in Richtung Bahnhof ebenfalls
ein Wasserwerfer, der losspritzte, während Beamte mit Gummigeschossen
die andere Richtung sperrten.»
«Die andern, die mit uns durch das Weglein gekommen waren,
konnten sich seitwärts durch einen Garten oder Hinterhof
absetzen, und plötzlich waren wir nur noch zu zweit auf der
Strasse und rannten vor dem Wasserwerfer davon auf die anderen
Beamten zu, die sofort mit Gummischrot das Feuer auf uns eröffneten.»
>>In
einem Interview
hält Polizeivorsteherin Esther Maurer fest:
- «Der Mann, der den Wasserwerfer bedient, kann mit
einem Knopfdruck entscheiden, ob er das pure oder das Wasser
mit Gasgemisch einsetzen will.»
- «Bei Tränengas gibt es zwei Möglichkeiten
des Spritzens: Vor die Leute auf den Boden oder ein Sprühnebel
über den Köpfe hinweg. [
] Aber was für
mich absolut inakzeptabel ist, ist das Abduschen von Personen
mit Reizstoff.»
- «Ja, die Bilder, die ich gesehen habe, lassen die
Vermutung zu, dass sie direkt abgeduscht wurden.»
>>In einer Interpellationsantwort
verspricht die Polizeivorsteherin grossspurig:
«Ein strafrechtlich relevantes Verhalten»
von PolizeibeamtInnen «würde wie bei jeder anderen
Bürgerin/jedem anderen Bürger eine strafrechtliche
Untersuchung nach sich ziehen».
>>PigBrother fordert Taten
statt leerer Versprechungen! |
«Als
wir die ersten Geschosse spürten, drehten wir uns wieder
um und rannten in die andere Richtung, versuchten von der Strasse
wegzukommen. Doch vorher hat uns dann der Wasserwerfer voll erwischt.»
«Zum Glück spritzte er zuerst etwas neben uns, dadurch
konnten wir uns noch umdrehen und mit dem Gesicht zur Bauwand
am Strassenrand stellen. So wurden wir grösstenteils nur
hinten und an der Seite getroffen.»
«Der Strahl hielt direkt auf uns zu, und nachdem er uns
erreicht hatte, hielt er sicher mal 3 Sekunden geballt auf uns,
dass wir gegen die Wand gedrückt und durchgeschüttelt
wurden, bis wir dann über die Abschrankung flüchten
konnten.»
DIE VERLETZUNGEN
«Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht gewusst, dass es
da Tränengas im Wasserwerfer drin hat. Aber grad als uns
das Wasser traf, hat es sich so richtig hineingebrannt, das kam
nicht erst später, es hat sofort wahnsinnig gebrannt und
weh getan. Wir versteckten uns dann etwa eine halbe Stunde hinter
der Abschrankung, bis die Polizei weg war. Es war etwa Null Grad,
doch ich hielt es nicht aus in den Kleidern und habe sie dann
ausgezogen.»
«Es hat wirklich total krass gebrannt auf der Haut, es war
nicht auszuhalten. Lieber in der Unterwäsche bei Null Grad
als mit dem, was in den Kleidern war.»
«Trotzdem mussten wir sie schliesslich wieder anziehen um
nach Hause zu gehen, und es ging nochmals über eine Stunde,
bis wir dort waren und endlich duschen konnten.»
«Im Zug hatten wir ein Abteil ganz für uns allein.
Allen rings um uns kamen sofort die Tränen, auch bei offenen
Fenstern.»
«Zuerst dachten wir noch, wir kommen jetzt nach Hause, gehen
duschen, und dann wird es wieder gut. Beim Duschen habe ich dann
gemerkt, dass ich nicht mehr warm duschen konnte. Warm duschen
war der Horror, das tat weh wie Schwein und ging unmöglich.»
|
Foto 5: Nach
5 Tagen sind
die Blasen voll entwickelt, die ersten platzen auf. Siehe
auch die grosse Blase (Pfeil, siehe auch Foto
6). |
«Ich
hielt es die ganze Nacht nicht länger als eine Viertelstunde
aus ohne mich eiskalt zu duschen, weil sonst begann es dermassen
zu brennen. Es war wirklich kalt draussen, doch ich hatte alle
Fenster auf und musste dauernd kühlen, sobald die Haut nur
ein bisschen warm wurde, hat es so wahnsinnig weh getan. Nachdem
ich acht Mal geduscht hatte, dachte ich, jetzt muss ich etwas
anderes finden, und hab mich schliesslich mit dem Rücken
nach draussen aufs Fenstersims gesetzt, so dass ich die nicht
betroffenen Stellen doch noch zudecken und etwas wärmen konnte.
Die Stellen, die ich am besten kühlen konnte, wurden dann
auch später nicht so schlimm wie andere, die zuerst gar nicht
so weh taten. Drei Tage lang konnte ich vor Schmerzen gar nicht
schlafen, bis wir ins Spital gingen.»
«Wir
hatten schon von Anfang an knallrote Haut, noch in Zürich,
als wir das erste Mal schauten. Als wir nach Hause kamen, war
es noch schlimmer. Trotzdem sah die Haut erst massiv gereizt aus
und noch nicht abgestorben. Am nächsten Tag wurde es violett
und eine Kollegin riet uns dringend zum Arzt zu gehen.»
«Der Pikettarzt war ziemlich schockiert und holte am Unispital
und im Toxzentrum Erkundigungen ein. Die dermatologische Station
vom Unispital meinte, sie hätten keine weiteren Fälle,
gaben ihm aber Anweisungen, wie die Behandlung zu erfolgen habe.
Das Toxzentrum meinte, sie hätten aktuell zwar noch keine
Anfragen bekommen, solche Anfragen kämen jedoch öfters
vor.»
«Der Arzt gab uns dann die Medikamente, doch als wir am
Sonntag die Salbe das erste Mal einschmieren wollten, bekamen
wir mittlerweile überall Blasen. Darauf wurde uns gesagt,
man könne keine Creme mehr drauftun. Ich hatte die ganze
Zeit nicht schlafen können, und der Pikettarzt konnte uns
auch kein Schmerzmittel geben, da er Wechselwirkungen befürchtete.
So gingen wir am Montag schliesslich ins Uni-Spital. Die gaben
uns dann starke Schmerzmittel und meinten, wir müssten dortbleiben.»
«Schon im Verlauf des Sonntags war uns klar geworden, dass
es sich hier um Verbrennungen 2. Grades handelte, also um etwas
Gravierendes, und in der Nacht auf den Montag waren auch schon
die ersten Blasen aufgeplatzt.»
|
Foto 6: Nach 5 Tagen, Detailaufnahme der grossen
Blase an der Hüfte. |
«Eine
Nacht im Spital hab ich auch voll gekotzt, und eine Ärztin
sagte mir, sie nehme an, dies sei, weil das CN in den Blutkreislauf
überginge, dies geschehe erst nach einer Weile.»
«Der Arzt sagte nachher, wir hätten mit der Heilung
voll Glück gehabt. Er hatte eigentlich erwartet, dass mindestens
ein Teil sich noch entzünden würde, da die Verletzung
so grossflächig war, ca. 1/3 der Körperoberfläche,
und etwa in der Hälfte der Fälle verheile so etwas nicht
richtig.»
«Die Blasen selbst gingen noch relativ schnell weg, die
tote Haut fällt dann mal weg, das war nach 1-2 Wochen fort,
aber was nicht weg war, was wirklich am langsamsten heilte, waren
die Stellen, an denen die grossen Blasen gewesen waren, weil die
Haut darunter verkrustete nachher, und das waren die Stellen,
an denen es am meisten mal wieder geeitert hat, und wo jetzt noch
die Narben sind. Auch nach 2 1/2 Monaten kann ich Dir immer noch
zeigen, wo die grossen Blasen waren.»
«Es ist wie ausgetrocknet, die ganze Schicht, und blätterte
dann so ab. Zuerst gab es Risse darüber, und da, wo die Blasen
waren, fiel die Haut ab, obwohl sie noch nicht sollte. Zum Teil
verkrustete dann die zweite und die dritte Schicht wieder und
wieder. Es dauerte etwa einen Monat, bis wir wieder normal sitzen
und liegen konnten.»
«Dann wurde es langsam anähernd so, wie es auch jetzt
noch ist. Ich glaube nicht, dass es da noch gross eine Änderung
gibt. Ich bin ehrlich gesagt verdammt froh, wie gut es überhaupt
verheilte, weil es sah wirklich ganz krass aus und tat ohne Schmerzmittel
extrem weh.»
ÄRZTINNEN, SPITAL UND POLIZEI
«Im Unispital war ich dann seltsamerweise auf der Herz-Lungen-Station,
obwohl sie ja eine spezielle dermatologische Abteilung haben,
möglicherweise um uns abzuschotten. Bei der Notaufnahme hatte
noch jemand gesagt, wenn wir grad nach der Demo gekommen wären,
hätte man noch mehr machen können, jedoch ohne genaueres
zu sagen. Die behandelnden Ärzte sagten uns dann immer, wir
wären ein Einzelfall, sowas hätten sie noch nie gesehen,
wahrscheinlich sei bei der Polizei etwas falsch gemischt worden.
Nur ein einziger Arzt sagte uns, dies wären typische Symptome,
und er hätte sowas schon ein paarmal nach Demos gesehen.»
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Foto 7: Nach 5 Tagen. Detailaufnahme
Blasen an Oberschenkel.
|
«Offiziell
wollten sie aber noch nie von solchen Verätzungen gewusst
haben. Eine Ärztin reagierte sogar ziemlich panisch, nachdem
eine Schwester mit dem Tox-Zentrum telefonisch über unseren
Fall geredet hatte, ob sie auch zurückgerufen habe, und ob
das wirklich das Tox-Zentrum gewesen sei.»
«Sowohl der Arzt im Uni-Spital wie auch das Tox-Zentrum
hatten bei der Polizei angerufen und wollten wissen, was da für
Stoffe eingesetzt worden seien und in welcher Konzentration. Die
Polizei gab jedoch niemandem Auskunft. Jemand gab uns dann den
Tipp, die Polizei setze jeweils CS und CN ein, wir sollten uns
mal erkundigen, doch die Ärztin blockte jegliche Fragen ab.»
«Dafür bekamen wir im Spital einen Brief von der Polizei.
Dieser war an den Arzt gerichtet, der ihn an uns weitergab. Darin
stand, sie hätten gern vom Arzt unsere Personalien, also
mit unserer Einwilligung, oder wir sollten uns bei einer Telefonnummer
melden. Ich rief dann vom Spital aus dort an, allerdings ohne
meinen Namen zu nennen. Dort war ein Beamter, der aber keine grosse
Ahnung hatte. Ich sagte ihm, dass wir verätzt worden waren.
Er wollte dann wissen, wo das gewesen war, und sagte, dass aufgrund
des Anrufs des Arztes eine interne Untersuchung im Gang sei. Ich
soll ihm doch einen Rapport schreiben, mit meinem Namen und allem,
warum ich an diese Demonstration gegangen sei, mit einer Beschreibung
des Ablaufs des ganzen Abends und wie wir dann verätzt wurden,
dann würden sie mir nachher einen Schadenersatz zahlen. Ich
habe ihn dann auch gefragt, ob ich mit einer Anzeige rechnen müsse,
wenn ich meinen Namen angebe, worauf er meinte, er könne
mir das nicht versprechen, nehme es aber eigentlich nicht an.
Überhaupt gab er eigentlich die ganze Zeit keine klaren Antworten.
Ich habe ihm darauf meinen Namen nicht gesagt und mich bei dieser
Schadensstelle nicht nochmals gemeldet.»
«Später sagte mir die Polizeivorsteherin Esther Maurer,
wir könnten schon eine Anzeige machen, die Entschädigung
würde dann grad etwa reichen, um die Busse zu bezahlen.»
«Während einzelne Ärzte entsetzt waren und dachten,
man müsse da etwas machen, sagten uns andere gleich, dass
allfällige Verfahren gegen die Polizei sowieso sofort im
Keim erstickt würden.»
«Da die Verätzungen so grossflächig waren, konnten
uns die Ärzte im Unispital auch gar nicht wirklich helfen,
beispielsweise die Blasen aufschneiden und desinfizieren, wie
das bei kleineren Verletzungen üblicherweise gemacht wird,
doch unsere Verletzungen waren dafür zu gross. So verschrieben
sie uns lediglich ein starkes Schmerzmittel und später eine
Salbe. Da haben wir uns am Mittwoch dann ein Rezept geben lassen
und sind nach Hause uns weiter zu kurieren.»
«Jetzt bekam ich einen Brief von der Krankenkasse, der Winterthur,
sie wollen die 4500 Franken nicht bezahlen, da im Kleingedruckten
stehe, bei Demonstrationen bestehe grundsätzlich keine Leistungspflicht.
Ich müsse ihnen deshalb einen Rapport abliefern, ob ich absichtlich
an der Demo gewesen sei, ob ich Sachbeschädigungen begangen
habe, ob die Polizei vor dem Einsatz eine Warnung durchgegeben
habe, ob ich wusste, dass die Demo unbewilligt war usw.»
DAS SCHWEIGEN DER MEDIEN
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Foto 8: Nach
9 Tagen. Die Haut trocknet immer wieder aus, kommt
buchstäblich in Fetzen runter, das Fleisch liegt bloss
und beginnt sich zu entzünden. (Beachte die aufgerollten
Hautreste am Rand der offenen Stellen.) |
«Ich
hatte zum Glück keine verätzten Finger, konnte noch
schreiben. So setzte mich am Sonntag gleich an den Computer und
schrieb diverse Zeitungen an, grosse Zeitungen, die wir auch lesen,
die wir kennen. Ich dachte, das wäre unerhört, was da
passiert war, nachdem das der Arzt auch gemeint hatte und dann
zwei Tage nach der Demo am Sonntag die Blasen kamen. Doch ich
bekam von niemandem eine Antwort, von keiner Zeitung ausser dem
"Blick", dort meldete sich einer und wollte dann nochmals zurückrufen,
was er aber nie mehr tat. Ich war wirklich enttäuscht, dass
das offensichtlich niemanden von denen interessierte.»
«Mehrere Kollegen schrieben darauf Leserbriefe an den "Tages-Anzeiger",
doch es wurde keiner abgedruckt. Ich wäre zuerst gar nicht
auf die Idee gekommen, dass sie das nicht bringen. Dass sie von
solchen Verätzungen wahrscheinlich schon öfters erfahren
hatten und es einfach als unwichtig abtun. Dass da so eine miese
Politik gemacht wird. Das ist für mich fast wie etwas Falsches
schreiben, wenn man gezielt politisch Sachen nicht schreibt. Ich
war schwer enttäuscht von den Zeitungen, die ich täglich
lese.»
«Ich war noch nicht an so vielen Demos, und ich hätte
nie gedacht, dass es in einem Wasserwerfer so etwas drin hat.
Ich hatte immer gemeint, ein Wasserwerfer würde einfach pures
Wasser auf die Demonstranten spritzen mit dem Effekt sie zurückzudrängen.
Oder vielleicht auch, dass man dann nach Hause muss die Kleider
wechseln, weil es kalt ist. Als solches wäre es ja auch noch
wie ein angemessenes Mittel. Aber ich hatte keine Ahnung, dass
es da Chemie drin hat. Es ist doch krass und irreführend,
da von Tränengas und Wasserwerfern zu reden, denn eigentlich
haben sie uns da ein Nervengas angespritzt. Tränengas ist
so ein verharmlosender Name.»
«Es wird einem ja auch in den Medien immer so vermittelt,
aus dem Wasserwerfer kommt Wasser, und aus den Petarden kommt
Tränengas, und alle glauben das ja auch so ausser
denjenigen, die selber schon mal bei einen Wasserwerfer reinkamen
oder sonst Leute kennen, denen das schon mal passiert ist. Wenn
ich jetzt die gleichen Verletzungen gehabt hätte in einer
Fabrik von einem Chemieunfall, dann hätten die Medien es
wahrscheinlich sogar gebracht, aber so ist es etwas Politisches,
und dann bringen sie es lieber nicht.»
MEINUNGSFREIHEIT «NACH SCHWEIZER ART»
«Uns ging es darum, unsere Meinung kundzutun. Wir dachten,
wir leben hier doch zum Glück in einer Demokratie und haben
Meinungsfreiheit, haben ein Recht darauf, unsere Meinung auch äussern
zu dürfen. Deshalb gingen wir mit den Pfannendeckeln auf
die Strasse.»
«Bevor wir nachher ins Spital mussten, sagte mir eine Bekannte:
«Aber man geht auch nicht an die WEF-Demo!» Ja, klar
geht man nicht an die WEF-Demo das ist es ja gerade. Ich
meine, es ist doch krass, dass ich für meine Meinung nicht
mehr auf die Strasse gehen kann, für eine andere Meinung
kann man aber auf die Strasse gehen. Da stimmt doch etwas nicht.
Wenn jemand genau die Meinung der SVP hat oder genau die der SP,
dann kann er damit auf die Strasse gehen, aber ich kann das nicht,
das ist doch ungerecht.»
[Obwohl die Polizei wie geschildert sowohl vom Universitätsspital
wie auch von den Betroffenen selbst über diese Verletzungen
informiert wurde, stellte sich die Pressestelle bis zum letzten
Moment offiziell auf den Standpunkt, keinerlei Kenntnis von Verätzungen
zu haben, da keine namentliche Anzeige eingegangen sei. Danach
lautet die auch in anderen Fällen übliche Antwort, über
ein laufendes Verfahren werde keine Auskunft erteilt entgegen
dem Umstand, dass die Polizei in anderen Verfahren, in denen sie
nicht gegen sich selbst ermittelt muss, sehr wohl Auskunft erteilt
und sogar von sich aus informiert.
Nach 3 1/2 Monaten kontinuierlicher Berichterstattung und Medienmitteilungen
durch PigBrother erschien im Tages-Anzeiger am 16.5.02 eine «Light-Version»
der «Story».]
STAND ANFANG MÄRZ 2003
>> Im Sommer 2002 waren die 2 Verletzten einvernommen
worden. Seither hat sich sich in der Strafuntersuchung nichts
mehr getan (vgl. Regeln 1-6: Was
geschieht, wenn Normalsterbliche Strafanzeige einreichen gegen
die Polizei?).
>> Die Neue Zürcher Zeitung berichtete
im Frühsommer 2002 anlässlich einer Debatte im Kantonsrat
betreffend der Verätzungen genüsslich menschenverachtende
Voten wie, wer an eine unbewilligte Demo gehe (strafrechtlich
wie gesagt ähnlich gravierend wie z.B. falsches Parken oder
leicht erhöhte Geschwindigkeit), sei «selber schuld»
und solle sich «nicht beklagen» ...
sowieso alles nur «Judentliche» ... unter Adolf
wär das nicht passiert ... da herrschte noch Ordnung ...
>> Mitte Januar 03 hat der Anwalt der Verletzten Staatshaftungsklage
eingereicht (zivilrechtliches Verfahren um Schadenersatz). Auch
hier sind zumindest bisher keine konkreten Resultate bekannt.
>>>Verletzungen
und Folter durch "Tränengas" in den 80ern<<<
>>>"Tränengas"-Exzesse
in Polizeikesseln 1980-2003<<<
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